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24. März. Wir haben dem Frühlingslicht den Eintritt in den Salon gestattet. Während des Winters war das Oberlicht zum Schutz gegen die Kälte mit Schnee bedeckt und außerdem waren die Hundehütten rundherum aufgestellt. Jetzt haben wir die Glasscheiben freigemacht und geputzt.

      Montag, 26. März. Wir liegen ohne Bewegung; keine Drift.

      Die Sonne steigt empor und taucht die Eisebenen in ihren Glanz. Der Frühling kommt, bringt aber keine Freude. Hier ist es so einsam und kalt wie je. Die Seele erstarrt.

      Ich habe nicht den Mut an die Zukunft zu denken … Und wie wird es zu Hause werden, wenn Jahr auf Jahr vergeht und niemand kommt?

      Ich weiß, es ist alles krankhafte Stimmung; aber diese untätige, tote Einförmigkeit ohne jede Veränderung drückt mich. Alles ist so still und tot, so steif und starr unter der Eisdecke. Was gäbe ich nicht für einen einzigen Tag des Kampfes – ja selbst für einen Augenblick der Gefahr!

      Noch immer muss ich warten und die Drift beobachten; aber wenn sie die verkehrte Richtung einschlagen sollte, dann werde ich alle Brücken hinter mir abbrechen und alles auf einem Marsch nach Norden über das Eis wagen. Ich weiß nichts Besseres zu tun. Es wird gefährlich sein, eine Frage um Leben oder Tod; aber habe ich eine andere Wahl? Es ist des Mannes unwürdig, eine Aufgabe zu übernehmen und sie aufzugeben, wenn der Höhepunkt der Schlacht bevorsteht. Es gibt nur einen Weg und der ist »Vorwärts, Fram«!

      Immer wieder grübelte ich über Zukunft und Drift. Manchmal glaubte ich, dass alles so ging, wie wir gehofft und erwartet hatten. So war ich am 17. April überzeugt, dass eine Strömung durch das unbekannte Polarbecken ging, da wir entschieden nordwärts trieben. Das Ergebnis der Mittagsbeobachtung waren 80°20’, das heißt 9 Minuten seit dem 15. April. Seltsam! Vier ganze Tage anhaltender Nordwind versetzte uns nach Süden, während 24 Stunden dieser spärlichen Brise uns 9 Minuten nordwärts treiben.

      Vielleicht sind wir mit der Drift nach Süden zu Ende! Wenn ich noch die Wasserwärme, die wir in der Tiefe gefunden haben, berücksichtige, dann scheint mir die Lage wirklich lichter. Meine Gründe dafür sind folgende:

      Die Wassertemperatur in der ostgrönländischen Strömung ist selbst an der Oberfläche nirgends über 0°C (der mittleren Jahrestemperatur) und scheint in der Regel −1°C zu sein, auch noch auf 70° n.Br. Auf dieser Breite sinkt die Temperatur mit größerer Tiefe stetig; in Tiefen von mehr als 100 Faden (183 Meter) ist sie nirgends über −1°C, vielmehr in der Regel zwischen −1,5 und −1,7°C bis zum Grund hinab; außerdem ist die Temperatur auf dem Grund des ganzen Meeres nördlich von 60° unter −1°C; ausgenommen auf einem Streifen längs der norwegischen Küste und zwischen Norwegen und Spitzbergen. Hier ist die Temperatur von 160 Metern abwärts über −1°C und in 250 Meter Tiefe bereits +0,55°C, und zwar, wohlgemerkt, nördlich von 80° Breite in einem Meer, das den Kältepol umschließt.

      Dieses warme Wasser stammt schwerlich aus dem Polarmeer selbst, da die von dort nach Süden setzende Strömung eine mittlere Temperatur von −1,5°C hat. Es kann kaum anders sein, als dass der Golfstrom seinen Weg hierher findet und das Wasser ersetzt, das in den oberen Schichten nach Norden strömt und die Quelle der ostgrönländischen Polarströmung bildet. Alles das stimmt mit meinen früheren Annahmen gut überein und unterstützt die Theorie, auf der der Plan der Expedition aufgebaut war. Wenn man außerdem berücksichtigt, dass die Winde, wie erwartet, in der Regel aus dem Südosten wehen, wie es auch auf der internationalen Station bei Sagastir an der Lenamündung der Fall war, so erscheinen unsere Aussichten nicht ungünstig.

      Endlich glaubte ich oft auch unter dem Eis Zeichen einer stetigen, nordwestlich setzenden Strömung zu entdecken; das verbesserte meine Stimmung natürlich. Wenn aber der Strom wie oft wieder südlich setzte, kamen auch wieder Zweifel, und es schien mir keine Aussicht, unsere Aufgabe innerhalb einer angemessenen Zeit zu lösen.

      Freilich ist solches Treiben im Eis aufregend und es bildet wenigstens eine Tugend aus: die Geduld. Die ganze Expedition ist in Wirklichkeit eine einzige, lange Übung in dieser nützlichen Tugend.

      Im Frühjahr kamen wir etwas besser vorwärts als im Winter; im Großen und Ganzen aber war es stets derselbe ermüdende Krebsgang. Jedes Mal, wenn wir eine weite Strecke nach Norden zurückgelegt hatten, folgte eine Zeit des Rückschlags.

      Merkwürdig war, dass der Bug der »Fram« während der ganzen Zeit nach Süden, gewöhnlich Süd ¼ West stand und seine Richtung während der langen Drift nur sehr wenig änderte. Ich schrieb am 14. Mai: »Die ›Fram‹ geht ihrem Ziel im Norden rückwärts entgegen, mit der Nase immer nach Süden gekehrt. Es ist, als ob sie ihre Entfernung von der Welt zu vergrößern fürchte, als ob sie sich nach südlichen Breiten sehne, während eine unsichtbare Gewalt sie dem Unbekannten entgegenzieht. Ist dieses Rückwärtsschreiten nach dem Innern des Polarmeeres ein böses Omen? Ich denke: nein; selbst der Krebs erreicht schließlich sein Ziel.«

      Der allgemeine Verlauf unserer Drift ergibt sich am besten aus der Angabe unserer Länge und Breite an verschiedenen Tagen des Jahres 1894:

      Bis dahin waren wir erfreulich weit nach Norden gekommen; dann aber wendete sich das Blatt:

      Dann begannen wir wieder nordwärts zu treiben, wenn auch nicht sehr schnell.

      Wie früher hielten wir beständig Ausguck nach Land und aus manchen Anzeichen schlossen wir auch auf Landnähe, aber sie erwiesen sich als Einbildung, außerdem sprach auch die große Tiefe des Meeres dagegen, dass Land nahe war.

      Später, am 7. August, als ich 3850 Meter Tiefe gefunden hatte, schrieb ich in mein Tagebuch:

      »Ich glaube nicht, dass man ferner noch von einem seichten Polarmeer sprechen wird, in dem man überall Land erwarten kann. Sehr möglich, dass wir in den Atlantischen Ozean hinaustreiben, ohne einen einzigen Berggipfel zu sehen!«

      Der schon früher erwähnte Plan, mit Hunden und Schlitten über das Eis vorzudringen, beschäftigte mich sehr viel und ich prüfte während meiner täglichen Ausflüge, zum Teil auf Schneeschuhen, zum Teil mit Hunden, stets den Zustand des Eises und die Aussichten für einen Marsch über das Eis.

      Während des Aprils war das Eis für Hunde besonders geeignet. Die Oberfläche war gut, da die Kraft der Sonne sie glatter gemacht hatte als das starke Schneetreiben zu Anfang des Winters; außerdem hatte der Wind die Eisrücken ziemlich eben zugedeckt, schließlich waren auch nicht so viele Spalten und Rinnen im Eis, sodass man ohne viel Mühe meilenweit vordringen konnte.

      Das änderte sich jedoch im Mai. Schon am 8. Mai hatte der Wind das Eis vielfach aufgebrochen, sodass sich überall Rinnen bildeten, die die Fahrt mit Hunden sehr hemmten und aufhielten.

      Am 20. Mai schrieb ich: »War vormittags auf Schneeschuhen draußen. Das Eis ist infolge der beständigen Winde während der letzten Woche in verschiedenen Richtungen sehr stark aufgebrochen; die Rinnen sind schwer zu überschreiten, da sie voll kleiner, treibender Eisstücke sind. Wiederholt geriet ich mit den Schneeschuhen auf schwimmende Schneebänder, die plötzlich unter mir nachgaben, sodass ich Mühe hatte, auf das feste Eis zurückzukommen.«

      Am 5. Juni machte ich mit Sverdrup eine Schneeschuhfahrt nach Süden. Ich schrieb: »Das Eis hat sich verändert, aber nicht zum Besseren; die Oberfläche ist zwar hart und gut, aber die Eisketten sind sehr unangenehm und überall sind Spalten und Hügel. Eine Schlittenexpedition würde auf solchem Eis schlecht vorwärtskommen.«

      Am 13. Juni heißt es im Tagebuch: »Das Eis wird mit jedem Tag weicher. Rund um uns herum bilden sich große Wasserpfützen auf den Schollen. Kurz, die Oberfläche ist abscheulich; die Schneeschuhe brechen überall durch ins Wasser. Man würde heute an einem Tag nicht weit kommen, wäre man gezwungen, nach Süden oder Westen aufzubrechen. Jeder Ausgang ist verbaut. Wir sitzen hier fest.

      Manchmal kommt es mir ziemlich merkwürdig

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