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»Die armen verwundeten Franzosen!«

      Der Deutsche näherte sich von dem Bette her und griff die Sache auf, ehe der Engländer ein Wort sagen konnte.

      »Sie haben mit den verwundeten Franzosen nichts zu schaffen«, krächzte er in rauhestem Tone. »Sie sind unsere Gefangenen, und darum zu unserer Ambulanz gebracht worden. Ich heiße Ignaz Wetzel, bin Chefarzt des Regimentsstabes – und ich sage Ihnen dies hiermit. Seien Sie still.« Er wendete sich zur Schildwache und fügte auf deutsch hinzu: »Ziehet den Vorhang wieder vor; und wenn die Frau darauf besteht, schiebt sie eigenhändig wieder hier herein.«

      Mercy versuchte etwas einzuwenden. Der Engländer fasste ehrerbietig ihren Arm und zog sie aus der Nähe der Schildwache fort.

      »Es ist nutzlos, sich zu widersetzen«, sagte er. »Die deutsche Disziplin gibt nirgends nach. Übrigens haben Sie nicht nötig, sich wegen der Franzosen im geringsten Sorgen zu machen. Die Ambulanz unter Doktor Wetzel ist ausgezeichnet geleitet. Ich stehe dafür, dass die Leute gut behandelt werden.« Er sah die Tränen in ihren Augen, als er sprach; seine Bewunderung für sie stieg höher und höher. »Ebenso gut, als schön«, dachte er, »welch ein reizendes Geschöpf!«

      »Nun!« sagte Ignaz Wetzel, indem er Mercy durch seine Brille stier ansah. »Sind Sie zufrieden? Und wollen Sie jetzt still sein?«

      Sie gab nach; es war einfach umsonst, hier dem eigenen Willen folgen zu wollen. Wäre der Arzt ihr nicht mit diesem Widerstand entgegengetreten, vielleicht hätte ihre Hingebung für die Verwundeten sie auf dem Abweg aufgehalten, auf dem sie jetzt weiterschritt. Wäre es wieder möglich geworden, Geist und Körper durch das edle Wirken einer Krankenpflegerin wie früher zu beschäftigen, die Versuchung hätte sie dann doch vielleicht noch stark genug gefunden, um ihr zu widerstehen. So war durch die verhängnisvolle Strenge der deutschen Disziplin das letzte Band zerrissen, welches sie an ihr besseres Selbst geknüpft hätte. Ihr Gesicht nahm einen harten Ausdruck an, als sie stolz von Doktor Wetzel hinwegschritt, und sich auf einen Stuhl niederließ.

      Der Engländer folgte ihr und kam nochmals auf die Frage ihrer gegenwärtigen Lage zurück.

      »Denken Sie nicht, dass ich Sie beunruhigen will«, sagte er. »Es ist, ich wiederhole, nicht der leiseste Grund zur Besorgnis für die verwundeten Franzosen vorhanden, dagegen schweben Sie selbst in ernster Gefahr. Das Gefecht wird hier um dieses Dorf herum bei Tageshelle erneuert werden; Sie sollten sich wirklich an einen sicheren Ort begeben. Ich bin Offizier in der englischen Armee – und heiße Horace Holmcroft. Ich werde mich glücklich schätzen, Ihnen einen Dienst zu erweisen, wenn Sie es mir gestatten wollen. Darf ich fragen, ob Sie auf der Reise sind?«

      Mercy zog den Mantel, welcher ihre Pflegerinnentracht verbarg, noch dichter an sich und willigte stillschweigend in den ersten offenbaren Akt des Betruges. Sie neigte ihren Kopf bejahend.

      »Sind Sie auf dem Wege nach England?«

      »Ja.«

      »In diesem Falle kann ich Sie durch die deutsche Linie führen und auf Ihrer Reise gleich weiter befördern.«

      Mercy betrachtete ihn mit unverhohlener Überraschung. Er hielt das mächtige Gefühl seiner Teilnahme für sie in den engen Grenzen, welche gute Erziehung ihm gezogen hatte; er war unverkennbar ein Gentleman. Meinte er das auch ehrlich, was er eben gesagt hatte?

      »Sie können es mir ermöglichen, die deutsche Linie zu passieren?« wiederholte sie. »Da müssen Sie ungewöhnlichen Einfluss besitzen, mein Herr, um das zu vermögen.«

      Mister Horace Holmcroft lächelte.

      »Ich besitze den Einfluss, dem niemand widerstehen kann«, antwortete er, »den Einfluss der Presse. Ich bin hier in der Eigenschaft als Kriegskorrespondent einer unserer großen englischen Zeitungen. Wenn ich den Kommandanten darum ersuche, so wird er Ihnen einen Passierschein bewilligen. Er ist hier ganz in der Nähe. Nun, was meinen Sie?«

      Sie nahm ihre ganze Fassung zusammen – selbst jetzt geschah dieses nicht ohne Schwierigkeit – und nahm ihn beim Wort.

      »Ich nehme Ihr Anerbieten dankbar an, mein Herr.«

      Er trat einen Schritt vor, gegen die Küche zu und blieb stehen.

      »Es wird gut sein, unser Vorhaben so geheim als möglich zu halten«, sagte er. »Man wird mich allerlei fragen, wenn ich jenen Raum passiere. Kann man auf keinem anderen Weg von hier hinaus gelangen?«

      Mercy zeigte ihm die Tür, welche in den Hof führte. Er verbeugte sich – und verschwand.

      Sie blickte verstohlen nach dem deutschen Arzte hin. Ignaz Wetzel stand wieder an dem Bette, über die Leiche gebeugt und schien ganz vertieft in die Untersuchung der Wunde, welche der Granatsplitter geschlagen hatte.

      Mercys instinktiver Widerwille gegen den Alten wuchs jetzt, da sie mit ihm allein gelassen war, noch um das Zehnfache. Sie zog sich unbehaglich in die Fensternische zurück und blickte hinaus in das Mondlicht.

      Hatte sie sich denn mit dem Betrug einverstanden erklärt? Noch nicht ganz. Sie hatte nur eingewilligt, nach England zurückzukehren – nichts weiter. Darum war sie doch noch nicht gezwungen, sich an Graces statt in Mablethorpe-House zu zeigen. Es war noch immer Zeit, ihren Entschluss genauer zu erwägen, sie konnte noch immer, wie sie es vorgehabt, einen Bericht des ganzen Vorfalles schreiben und diesen zugleich mit der Brieftasche an Lady Janet Roy senden. Angenommen, sie entschlösse sich schließlich, diesen Weg einzuschlagen, was sollte dann aus ihr werden, wenn sie sich nun neuerdings in England befand? Es blieb ihr alsdann keine andere Wahl, als abermals bei der Hausmutter Zuflucht zu suchen. Sie musste wieder zurück in das Besserungshaus!

      Das Besserungshaus! Die Hausmutter!

      Welcher Erinnerung aus der Vergangenheit tauchte da ungebeten, im Zusammenhang mit diesen beiden Begriffen, in ihrer Seele auf und nahm sie bald ganz gefangen? Wer war das, an den sie jetzt dachte, an diesem fremden Orte und an diesem Wendepunkte ihres Lebens? Es war der Mann, dessen Worte damals in der Kapelle des Besserungshauses in ihr Herz gedrungen waren, dessen Einfluss auf sie ihr Kraft und Trost verliehen hatte. Eine der schönsten Stellen in Julian Grays Predigt war die, worin er die Versammlung, zu der er sprach, von den erniedrigenden Einflüssen von Unwahrheit und Betrug gewarnt hatte. Die Worte, mit welchen er sich an die unglücklichen Frauen vor ihm gewendet hatte – Worte des Mitgefühles und der Ermutigung, wie solche noch nie an sie gerichtet worden – klangen in Mercy Merrick wieder, als hätte sie sie eben erst gehört. Sie wurde totenblass, als sie ihren Sinn wieder recht erfasste. »O«, lispelte sie für sich, als sie bedachte, was sie beschlossen und beabsichtigt hatte; »was habe ich getan? Was habe ich getan?«

      Sie wendete sich vom Fenster ab mit dem unbestimmten Gedanken, Mister Holmcroft zu folgen und ihn zurückzurufen. Als sie hierbei gerade auf das Bett sah, stand sie auch Ignaz Wetzel gegenüber. Er war gerade im Begriffe, sich ihr zu nähern, um sie anzusprechen, und hielt ein weißes Taschentuch – dasselbe, welches sie Grace geliehen hatte – in seiner Hand empor.

      »Ich habe dies in ihrer Tasche gefunden«, sagte er. »Es steht ihr Name darauf. Sie muss eine Landsmännin von Ihnen sein.« Er las mit einiger Schwierigkeit den Namen, der auf das Taschentuch gemerkt war. »Sie heißt – Mercy Merrick.«

      Seine Lippen – nicht die ihrigen hatten es ausgesprochen! Er hatte ihr den Namen beigelegt. »Mercy Merrick ist ein englischer Name«, fuhr Ignaz Wetzel fort, seine Augen immer fest auf sie gerichtet. »Nicht wahr?«

      Ihr Geist, den bis dahin die Erinnerung an Julian Gray wie in Fesseln gehalten hatte, begann sich davon loszumachen. Eine momentane und drängende Frage bemächtigte sich jetzt des ersteren Platzes in ihrem Denken. Sollte sie den Irrtum, in welchem der Deutsche befangen war, berichtigen? Die Zeit war gekommen – wo sie sprechen musste und ihre Identität nachweisen oder schweigen und in den Betrug willigen.

      Horace Holmcroft trat in dem Augenblick in das Zimmer, als Doktor Wetzels stiere Augen noch auf sie geheftet waren und die Antwort auf seine Frage erwarteten.

      »Ich hatte nicht zu viel von meinem Einfluss erwartet«, sagte er, indem er auf einen kleinen Papierstreifen in seiner Hand deutete. »Hier ist der Passierschein. Haben Sie Tinte und Feder? Ich muss das Formular ausfüllen.«

      Mercy zeigte auf das

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