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Die Verwirrungen des Zöglings Törless. Robert Musil
Читать онлайн.Название Die Verwirrungen des Zöglings Törless
Год выпуска 0
isbn
Автор произведения Robert Musil
Жанр Зарубежная классика
Издательство Public Domain
». . . Du willst also nichts geben? Du . . .!«
»Schau, daß du hinaufkommst, du Dreckfink!«
»Was? So ein Bauernlümmel!«
Zur Antwort klaubte der Trunkene mit schwerfälliger Bewegung einen Stein auf: »Wenn du nicht gleich abfahrst, du dummes Mensch, so schlagʼ ich dir den Buckel ein!« und er holte zum Wurfe aus. Törleß hörte das Weib mit einem letzten Schimpfworte die Stiege hinaufflüchten.
Der Mann stand eine Weile still und hielt unschlüssig den Stein in der Hand. Er lachte; sah nach dem Himmel, wo zwischen schwarzen Wolken weingelb der Mond schwamm; dann glotzte er die dunkle Hecke der Gebüsche an, als überlege er darauf loszugehen. Törleß zog vorsichtig den Fuß zurück, er fühlte sein Herz bis zum Halse hinauf schlagen. Endlich schien sich der Trunkene doch besonnen zu haben. Seine Hand ließ den Stein fallen. Mit rohem, triumphierendem Lachen rief er eine grobe Unanständigkeit zu dem Fenster hinauf, dann drückte er sich um die Ecke.
Die beiden standen noch immer bewegungslos. »Hast du sie erkannt?« flüsterte Beineberg; »es war Božena.« Törleß gab keine Antwort; er horchte, ob der Betrunkene nicht wiederkehre. Dann wurde er von Beineberg vorwärts geschoben. Mit raschen, vorsichtigen Sätzen waren sie – an dem Lichtschein, der keilförmig durch die Fenster des Erdgeschosses fiel, vorbei – in dem dunklen Hausflur. Eine hölzerne Treppe führte in engen Windungen in das erste Stockwerk hinauf. Hier mußte man ihre Schritte auf den knarrenden Stufen gehört haben, oder hatte ein Degen gegen das Holz geschlagen: – die Türe der Schankstube wurde geöffnet und jemand kam nachsehen, wer im Hause sei, während die Ziehharmonika plötzlich schwieg und das Gewirr der Stimmen einen Augenblick wartend aussetzte.
Törleß preßte sich erschrocken um die Windung der Stiege. Aber man schien ihn trotz des Dunkels bemerkt zu haben, denn er hörte die spöttische Stimme der Kellnerin, während die Türe wieder geschlossen wurde, irgend etwas sagen, worauf ein unbändiges Gelächter folgte.
Auf dem Treppenabsatz des ersten Stockwerkes war es völlig finster. Weder Törleß noch Beineberg trauten sich einen Schritt vorwärts zu tun, ungewiß, ob sie nicht etwas umwerfen und dadurch Lärm verursachen würden. Von der Aufregung angetrieben, suchten sie mit hastenden Fingern nach der Türklinke.
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Božena war als Bauernmädchen in die Großstadt gekommen, wo sie in Dienst trat und später Kammerzofe wurde.
Es ging ihr anfangs ganz gut. Die bäurische Art, welche sie so wenig ganz abstreifte wie ihren breiten, festen Gang, sicherte ihr das Vertrauen ihrer Herrinnen, welche an diesem Kuhstalldufte ihres Wesens seine Einfalt liebten, und die Liebe ihrer Herren, welche daran das parfum schätzten. Wohl nur aus Laune, vielleicht auch aus Unzufriedenheit und dumpfer Sehnsucht nach Leidenschaft gab sie dieses bequeme Leben auf. Sie wurde Kellnerin, erkrankte, fand in einem eleganten öffentlichen Hause Unterkommen und wurde allgemach, in dem Maße, wie das Lotterleben sie verbrauchte, wieder – und immer weiter – in die Provinz hinausgespült.
Hier endlich, wo sie nun schon seit mehreren Jahren wohnte, nicht weit von ihrem Heimatsdorfe, half sie untertags in der Wirtschaft mit und las des Abends billige Romane, rauchte Zigaretten und empfing hie und da den Besuch eines Mannes.
Sie war noch nicht geradezu häßlich geworden, aber ihr Gesicht entbehrte in auffallender Weise jeglicher Anmut, und sie gab sich förmlich Mühe, dies durch ihr Wesen noch mehr zur Geltung zu bringen. Sie ließ mit Vorliebe durchblicken, daß sie die Eleganz und das Getriebe der vornehmen Welt sehr wohl kenne, nunmehr aber darüber hinaus sei. Sie äußerte gerne, daß sie darauf, wie auf sich selbst, wie überhaupt auf alles pfeife. Trotz ihrer Verwahrlosung genoß sie deswegen ein gewisses Ansehen bei den Bauernsöhnen der Umgebung. Sie spuckten zwar aus, wenn sie von ihr sprachen, und fühlten sich verpflichtet, mehr noch als gegen andere Mädchen grob gegen sie zu sein, im Grunde waren sie aber doch ganz gewaltig stolz auf dieses »verfluchte Mensch«, das aus ihnen hervorgegangen war und der Welt so durch den Lack geguckt hatte. Einzeln zwar und verstohlen, aber doch immer wieder kamen sie, sich mit ihr zu unterhalten. Dadurch fand Božena einen Rest von Stolz und Rechtfertigung in ihrem Leben. Eine vielleicht noch größere Genugtuung bereiteten ihr aber die jungen Herren aus dem Institute. Gegen sie kehrte sie absichtlich ihre rohesten und häßlichsten Eigenschaften heraus, weil diese – wie sie sich auszudrücken pflegte – ja trotzdem gerade so zu ihr gekrochen kommen würden.
Als die beiden Freunde eintraten, lag sie wie gewöhnlich rauchend und lesend auf ihrem Bette.
Törleß sog, noch in der Türe stehend, mit begierigen Augen ihr Bild in sich ein.
»Gott, was für süße Buben kommen denn da?« rief sie spöttisch den Eintretenden entgegen, die sie ein wenig verächtlich musterte. »Je, du Baron? Was wird denn die Mama dazu sagen?!« – Das war solch ein Anfang nach ihrer Art.
»Aber haltʼs . . .« brummte Beineberg und setzte sich zu ihr aufs Bett. Törleß setzte sich abseits; er ärgerte sich, weil Božena sich nicht um ihn bekümmerte und tat, als ob sie ihn nicht kennte.
Die Besuche bei diesem Weib waren in der letzten Zeit zu seiner einzigen und geheimen Freude geworden. Gegen Ende der Woche wurde er schon unruhig und konnte den Sonntag nicht erwarten, wo er am Abend zu ihr schlich. Hauptsächlich dieses Sicheinschleichenmüssen beschäftigte ihn. Wenn es zum Beispiel vorhin den trunkenen Burschen in der Schankstube eingefallen wäre, auf ihn Jagd zu machen? Aus bloßer Lust, dem lasterhaften jungen Herrchen eins auszuwischen? Er war nicht feig, aber er wußte, daß er hier wehrlos sei. Der zierliche Degen kam ihm entgegen diesen groben Fäusten wie ein Spott vor. Außerdem die Schande und die Strafe, die er zu gewärtigen hätte! Es bliebe ihm nur übrig zu fliehen oder sich aufs Bitten zu verlegen. Oder sich von Božena schützen zu lassen. Der Gedanke durchrieselte ihn. Aber das war es! Nur das! Nichts anderes! Diese Angst, dieses Sichaufgeben lockte ihn jedesmal von neuem. Dieses Heraustreten aus seiner bevorzugten Stellung unter die gemeinen Leute; unter sie – tiefer als sie!
Er war nicht lasterhaft. Bei der Ausführung überwogen stets der Widerwille gegen sein Beginnen und die Angst vor den möglichen Folgen. Nur seine Phantasie war in eine ungesunde Richtung gebracht. Wenn sich die Tage der Woche bleiern einer nach dem andern über sein Leben legten, fingen diese beizenden Reize an, ihn zu locken. Aus den Erinnerungen an seine Besuche bildete sich eine eigenartige Verführung heraus. Božena erschien ihm als ein Geschöpf von ungeheuerlicher Niedrigkeit und sein Verhältnis zu ihr, die Empfindungen, die er dabei zu durchlaufen hatte, als ein grausamer Kultus der Selbstaufopferung. Es reizte ihn, alles zurücklassen zu müssen, worin er sonst eingeschlossen war, seine bevorzugte Stellung, die Gedanken und Gefühle, die man ihm einimpfte, all das, was ihm nichts gab und ihn erdrückte. Es reizte ihn, nackt, von allem entblößt, in rasendem Laufe zu diesem Weibe zu flüchten.
Das war nicht anders als bei jungen Leuten überhaupt. Wäre Božena rein und schön gewesen und hätte er damals lieben können, so hätte er sie vielleicht gebissen, ihr und sich die Wollust bis zum Schmerz gesteigert. Denn die erste Leidenschaft des erwachsenden Menschen ist nicht Liebe zu der einen, sondern Haß gegen alle. Das sich unverstanden Fühlen und das die Welt nicht Verstehen begleitet nicht die erste Leidenschaft, sondern ist ihre einzige nicht zufällige Ursache. Und sie selbst ist eine Flucht, auf der das Zuzweiensein nur eine verdoppelte Einsamkeit bedeutet.
Fast jede erste Leidenschaft dauert nicht lange und hinterläßt einen bitteren Nachgeschmack. Sie ist ein Irrtum, eine Enttäuschung. Man versteht sich hinterher nicht und weiß nicht, was man beschuldigen soll. Dies kommt, weil die Menschen in diesem Drama einander zum größeren Teile zufällig sind: Zufallsgefährten auf einer Flucht. Nach der Beruhigung erkennen sie sich nicht mehr. Sie bemerken aneinander Gegensätze, weil sie das Gemeinsame nicht mehr bemerken.
Bei