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Max Havelaar oder Die Kaffee-Versteigerungen der NiederländischenHandels-Gesellschaft. Multatuli
Читать онлайн.Название Max Havelaar oder Die Kaffee-Versteigerungen der NiederländischenHandels-Gesellschaft
Год выпуска 0
isbn
Автор произведения Multatuli
Жанр Зарубежная классика
Издательство Public Domain
Höflich bot er einer Dame die Hand, um ihr beim Aussteigen behilflich zu sein, und nachdem diese von einem Herrn, der noch im Wagen saß, ein Kind entgegengenommen hatte, ein kleines blondes Knäblein von drei Jahren etwa, traten sie in die Pendoppo ein. Darauf folgte der Herr selbst, und wer auf Java heimisch war, dem mußte es aufgefallen sein, daß er am Wagenschlag wartete, um einer alten javanischen »Babu« das Aussteigen zu erleichtern. Drei Bediente hatten sich selbst aus dem wachsledernen Kasten losgelöst, der hinter dem Wagen festgemacht war, wie etwa eine junge Auster auf der alten.
Der Herr, der zuerst ausgestiegen war, hatte dem Regenten und dem Kontroleur Verbrugge die Hand geboten, die sie sehr ehrerbietig annahmen; und man merkte an ihrer Haltung, daß sie sich bewußt waren, in der Nähe einer wichtigen Person zu weilen. Es war der Resident von Bantam, dem großen Landstrich, von dem Lebak bloß ein Teil, eine Regentschaft oder offiziell gesagt: eine Adsistent-Residentschaft ist.
Ich habe beim Lesen erdichteter Geschichten mich öfters über den geringen Respekt geärgert, den viele Schriftsteller vor dem Geschmack des Publikums haben, und besonders war das der Fall, wenn es ihnen darum zu thun war, etwas zustande zu bringen, was komisch oder burlesk sein sollte. Man führt eine Person ein, die die Sprache nicht versteht, oder sie wenigstens falsch ausspricht; man läßt einen Franzosen sagen: »Ka kauw na de krote krak« oder »Krietje kooit keen kare kroente wek.« In Ermangelung eines Franzmanns nimmt man einen Stotterer, oder man »schafft« eine Person, die das Steckenpferd reitet, ein paar Worte fortwährend zu wiederholen. Ich habe ein dummes Stück Erfolg haben sehen, weil darin jemand vorkam, der fortwährend sagte: »Mein Name ist Meyer.« Ich finde diese Manier, witzig zu sein, etwas billig, und um die Wahrheit zu sagen, bin ich böse, wenn man so etwas drollig findet.
Aber nun habe ich euch selber so etwas zu bieten. Ich muß von Zeit zu Zeit jemand auf die Bildfläche bringen ich werde es so wenig als möglich thun der in der That eine Art zu sprechen hatte, die mir, fürchte ich, verdacht werden könnte als ein verunglückter Versuch, euch zum Lachen zu bringen. Und darum muß ich euch versichern, daß es nicht meine Schuld ist, wenn der höchst würdige Resident von Bantam, von dem hier die Rede ist, etwas so Eigenartiges in seiner Sprechweise hatte, daß es mir schwer fällt es wiederzugeben, ohne den Schein auf mich zu laden, als suche ich den Effekt des Witzes in einem »Kunstgriff.« Er sprach nämlich in einem Tone, als ob hinter jedem Wort ein Punkt stände, oder gar ein langer Gedankenstrich. Ich kann den Zwischenraum zwischen seinen Worten nicht besser schildern als mit der Stille, die in der Kirche auf das »Amen« nach einem langen Gebet folgt, welche, wie jeder weiß, ein Signal ist, daß man nun Zeit hat zu husten oder die Nase zu schnauben. Was er sagte, war gewöhnlich sehr überlegt, und wenn er sich hätte zwingen können, die unzeitigen Ruhepunkte wegzulassen, so würden seine Interpunktionen, vom rhetorischen Standpunkte wenigstens, meistens ein gesundes Ansehen gehabt haben; aber all das Abbröckeln, das Stolpern und Stottern machte das Anhören ungemütlich. Man stolperte denn auch selbst oft darüber; denn gewöhnlich, wenn man begonnen hatte zu antworten, in der Meinung, daß sein Satz aus war und daß er die Ergänzung des Fehlenden dem Scharfsinn des Zuhörers überließ, kamen die noch fehlenden Worte wie die Nachzügler einer geschlagenen Truppe hinterher, und man fühlte, daß man ihm in die Rede gefallen war, was immer unangenehm ist. Das Publikum zu Serang, sofern es sich nicht in den Dienst der Regierung stellte, weil das etwas Würdevolles giebt, nannte sein Gespräch »schleimig«; ich finde das Wort nicht sehr schön, aber ich muß zugeben, daß es die Haupteigenschaft an der Beredsamkeit des Residenten recht gut bezeichnete.
Ich habe von Max Havelaar und seiner Frau denn das waren die beiden Personen, die mit ihrem Kinde und der Babu aus dem Wagen gekommen waren noch nichts gesagt, und es wäre auch vielleicht genügend, die Beschreibung ihres Äußeren und ihres Charakters dem Gang der Ereignisse und eurer Phantasie zu überlassen; doch da ich nun einmal beim Beschreiben bin, will ich sagen, daß Mevrouw Havelaar nicht schön war, daß sie aber in Blick und Sprache etwas sehr Anmutiges hatte, und daß sie durch die leichte Ungezwungenheit ihres Benehmens das unverkennbare Zeichen gab, daß sie in der Welt gelebt hatte und in den höheren Klassen der Gesellschaft zu Hause war. Sie hatte nicht das Steife und Unbehagliche der bürgerlichen Mode, sich und anderen das Leben mit allerlei »Gêne« schwer zu machen, um für »distinguiert« zu gelten, und machte sich auch nichts aus Äußerlichkeiten, die für viele andere Frauen Wert haben. Auch in ihrer Kleidung war sie ein Vorbild von Einfachheit. Ein weißes »Badju« von Musselin mit blauer »Cordelière«– ich glaube, in Europa würde man solch ein Kleidungsstück Frisiermantel nennen war ihr Reisekleid. Um den Hals trug sie ein dünnes seidenes Bändchen, an dem zwei kleine Medaillons hingen, die ihr indessen nicht zu sehen bekamt, denn sie verschwanden in den Falten vor ihrer Brust: das Haar
»à la chinoise« mit einem Kränzchen »Melatti« in dem »Kondek«– siehe da, das war ihre Toilette.
Ich sagte, daß sie nicht schön war, und doch möchte ich nicht gern, daß ihr sie für das Gegenteil hieltet. Ich hoffe, ihr werdet sie schön finden, sobald ich Gelegenheit haben werde, sie euch vorzuführen, glühend vor Entrüstung über das, was sie »Mißachtung des Genies« nannte, wenn ihr Max im Spiel war, oder wenn sie ein Gedanke beseelte, der mit dem Wohlergehen ihres Kindes zusammenhing. Es ist schon zu oft ausgesprochen, daß das Antlitz der Spiegel der Seele ist, um noch der Porträtähnlichkeit eines unbewegten Gesichtes Wert beizulegen, das nichts zu spiegeln hat, weil keine Seele darin widerscheint. Nun also, sie hatte eine schöne Seele, und der mußte blind sein, der nicht auch ihr Gesicht für schön hielt, wenn die Seele darin zu lesen war.
Havelaar war ein Mann von fünfunddreißig Jahren. Er war schlank und lebhaft in seinen Bewegungen; außer seiner besonders kurzen und beweglichen Oberlippe und seinen großen hellblauen Augen, die, wenn er in ruhiger Stimmung war, etwas Träumerisches hatten, aber Feuer sprühten, wenn eine große Idee ihn beherrschte, war in seinem Aussehen nichts Besonderes. Seine blonden Haare hingen glatt an den Schläfen, und ich begreife wohl, daß man beim ersten Ansehen nicht auf den Gedanken kam, jemand vor sich zu haben, der, was Haupt und Herz anging, zu den Seltenheiten gehörte. Er war ein Gefäß voller Widersprüche: scharf wie ein Messer und sanft wie ein Mädchen, fühlte er immer die Wunde, die seine bitteren Worte geschlagen hatten, zuerst, und er litt mehr darunter als der Verwundete. Er war schnell von Begriffen, faßte sofort das Höchste, das Verwickelteste, hatte dafür alle Mühe, alles Studium, alle Anspannung übrig und manchmal begriff er die einfachste Sache nicht, die ihm ein Kind hätte erklären können. Voller Liebe zur Wahrheit und zum Recht, vernachlässigte er manchmal seine nächstliegenden Pflichten, um das Unrecht wieder gut zu machen, das höher oder ferner oder tiefer lag, und das durch die wahrscheinlich größere Anspannung ihn mehr lockte. Er war ritterlich und mutig, aber er verschwendete, ein zweiter Don Quixote, seine Tapferkeit oft eine Windmühle. Er glühte vor unersättlicher Ehrsucht, die ihm alle gewöhnlichen Unterscheidungen im gesellschaftlichen Leben als nichtig erscheinen ließ, und sah doch sein größtes Glück in einem stillen, häuslichen, vergessenen Leben. Er war ein Dichter im höchsten Sinne des Wortes, bei einem Funken träumte er sich Sonnensysteme, bevölkerte sie mit Geschöpfen seiner Hand, fühlte sich als Herr einer Welt, die er ins Leben gerufen hatte, und konnte doch augenblicklich, ohne die geringste Träumerei, eine Unterhaltung führen über den Preis von Reis, über die Regeln der Sprache und die ökonomischen Vorteile einer ägyptischen Hühnerbrüterei. Keine Wissenschaft war ihm ganz fremd: er »ahnte«, was er nicht wußte, und besaß in hohem Maße die Gabe, das wenige, was er wußte jeder weiß wenig, und er, obwohl er mehr wußte als mancher andere, machte davon keine Ausnahme das wenige auf eine Weise anzuwenden, die das Maß seiner Kenntnisse vervielfältigte. Er war präcis, ordnungsliebend und über die Maßen geduldig, aber gerade, weil Genauigkeit, Ordnung und Geduld ihm schwer fielen, da sein Geist etwas Unruhiges hatte, langsam und umsichtig im Beurteilen von Geschäften, wenn es auch denen, die ihn so schnell seine Resultate äußern hörten, nicht so vorkam. Seine Eindrücke waren so lebendig, daß man sie kaum für nachhaltig ansehen sollte, und doch bewies er oft, daß sie nachhaltig waren. Alles, was groß und erhaben war, lockte ihn, und zu gleicher Zeit war er einfältig und naiv wie ein Kind. Er war ehrlich, vor allem, wo die Ehrlichkeit ins Gutmütige überging, und konnte Hunderte, die er schuldig war, unbezahlt lassen, weil er Tausende verschenkt