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ausrief, trennte man sich mit freundlichem Nachtgruß.

      Das Hausmädchen hatte den Fremden zur Ruhe geleuchtet, Ilse saß auf dem Stuhl, die Hände im Schoß gefaltet, und sah schweigend vor sich hin. Der Gutsherr kam aus seinem Zimmer und nahm den Nachtleuchter vom Tisch. »Bist noch wach, Ilse? Nun, wie gefallen dir die Fremden?«

      »Gut, Vater,« sagte das Mädchen leise.

      »Sie sind nicht so dumm als sie aussehen,« sagte der Wirth auf und abgehend. »Das von dem großen Feuer war recht,« wiederholte er, »und das über unsere kleinen Regierungen war auch recht. Der Jüngere wäre ein guter Schullehrer geworden, und der Große, es ist beim Himmel schade, daß er nicht ein vier Jahr Wasserstiefeln getragen hat, er wäre ein gescheidter Inspektor. Gute Nacht, Ilse.«

      »Gute Nacht, Vater.«

      Die Tochter erhob sich und folgte dem Vater an die Thür. »Bleiben die Fremden morgen hier, Vater?«

      »Hm,« sagte der Wirth nachdenkend. »Ueber Mittag bleiben sie jedenfalls, ich will ihnen doch das Vorwerk zeigen. Sorge für etwas Ordentliches zum Essen.«

      »Vater, der Professor hat noch nie in seinem Leben ein Spanferkel gegessen,« sagte die Tochter.

      »Ilse, wo denkst du hin, meine Ferkel wegen des Tacitus!« rief der Landwirth. »Nein, damit komm mir nicht, bleibe bei deinem Federvieh! Halt! noch eins, reiche mir den Band T aus dem Schranke, ich will doch einmal über den Burschen nachlesen.«

      »Hier, Vater, ich weiß, wo es steht.«

      »Sieh doch!« sagte der Vater, »Frau Oberamtmann Rollmaus! gute Nacht.«

      Der Doctor sah durch das Fenster in den dunklen Hof. Schlaf und Frieden lag über dem weiten Raum, aus der Ferne klang der Schritt des Wächters, der die Hofstätte umkreiste, dann bellte halblaut der Hofhund. »Da stehen wir,« sagte er endlich, »zwei echte Abenteurer in der feindlichen Burg. Ob wir etwas daraus forttragen, ist sehr zweifelhaft,« fügte er hinzu, seinen Freund bedenklich anlächelnd.

      »Es ist zweifelhaft,« sagte der Professor, mit großen Schritten die Stube durchmessend.

      »Was hast du, Felix?« frug Fritz besorgt nach einer Pause, »du bist zerstreut, das ist sonst nicht deine Art.«

      Der Professor blieb stehen. »Ich habe dir nichts zu sagen. Es sind starke, aber unklare Empfindungen, welche ich zu bewältigen suche. Ich fürchte, dieser Tag hat eine Bedeutung gewonnen, gegen welche ein vernünftiger Mann sich zu wehren hat. Frage mich nicht weiter, Fritz,« fuhr er fort und drückte diesem kräftig die Hand, »ich fühle mich nicht unglücklich.«

      Fritz versank in Bekümmerniß, setzte sich zu seinem Bett und spähte nach einem Stiefelknecht. »Wie gefällt dir unser Wirth?« fragte er kleinlaut und ließ, um sorglos zu erscheinen, den Stiefel im Holze knarren.

      »Ein tüchtiger Mann,« erwiederte der Professor, wieder stehenbleibend, »seine Art ist anders, als wir’s gewöhnt sind.«

      »Es ist altsächsischer Stamm,« setzte der Doctor das Gespräch fort, »breite Schultern, Hünenwuchs, offene Züge, Wucht in jeder Bewegung. Auch die Kinder sind von derselben Art,« fuhr er fort, »die Tochter hat etwas von einer Thusnelda.«

      »Der Vergleich paßt nicht,« entgegnete der Professor rauh und setzte seinen Marsch fort.

      Fritz spannte den zweiten Stiefel in das Joch und knarrte in den leisen Mißklang hinein. »Wie gefällt dir der älteste Knabe? Er hat ganz das helle Haar seiner Schwester.«

      »Das ist gar nicht zu vergleichen,« sagte der Professor wieder kurz.

      Fritz setzte die beiden Stiefeln vor das Bett, sich selbst auf den Bettrand und begann entschlossen: »Ich bin bereit, deine Stimmung zu achten, auch wenn sie mir nicht ganz verständlich ist, aber ich bitte dich doch daran zu denken, daß wir diese Gastfreundschaft uns eigentlich erzwungen haben, und daß wir sie nicht über die Frühstunden des nächsten Tages in Anspruch nehmen dürfen.«

      »Fritz,« rief der Professor mit tiefer Empfindung, »du bist mein zartfühlender lieber Freund, habe heut Geduld mit mir,« und dabei wandte er sich wieder um und trat, das Gespräch abbrechend, an das Fenster.

      Fritz gerieth vor Sorgen ganz außer sich; dieser großartige Mann, sicher in allem, was er schrieb, voll von Rath und festem Entschluß vor den dunkelsten Textstellen – und jetzt arbeitete in ihm, was sein ganzes Wesen erschütterte. Wie durfte dieser Mann so gestört werden! Er sah mit majestätischer Klarheit in eine Vergangenheit von mehren tausend Jahren zurück, und jetzt stand er am Fenster einem Kuhstall gegenüber, und ein Ton klang durch das Zimmer wie Seufzen. Was sollte daraus werden? Diesen Gedanken wälzte der Doctor unablässig hin und her.

      Lange ging der Professor mit großen Schritten auf und ab, Fritz stellte sich schlafend, sah aber unter der Bettdecke hervor immer wieder auf den kämpfenden Freund. Endlich löschte der Professor das Licht und warf sich auf das Lager. Bald verriethen seine tiefen Athemzüge, daß die wohlthätige Natur auch dies pochende Herz für einige Stunden zu leisem Schlage gebändigt hatte. Aber der Kummer des Doctors hielt hartnäckiger Stand. Von Zeit zu Zeit erhob er den Oberleib aus den Kissen, suchte tastend seine Brille vom nächsten Stuhle, ohne die er den Professor nicht ersehen konnte, und spähte durch die runden Gläser nach dem andern Bette hinüber, nahm die Brille wieder in leisem Seufzen ab und legte sich in die Kissen zurück. Diesen Act der Freundschaft wiederholte er mehre Male, bis auch er in festen Schlaf verfiel, kurz bevor die Sperlinge im Rebenlaub ihren Morgengesang anstimmten.

      5.

      Zwischen Herden und Garben

      Die Hofuhr schlug, Wagen rollten vor dem Fenster, die Glöckchen der Herde läuteten, als die Freunde erwachten. Einen Augenblick sahen sie erstaunt auf die Wände des fremden Zimmers und durch das Fenster in den sonnigen Garten. Während der Doctor Notizen einschrieb und das Bündel schnürte, trat der Professor hinaus in das Freie. Draußen hatte längst das Tagewerk begonnen, Beamte und Gespanne waren auf das Feld gezogen, geschäftig eilte der Hofverwalter um die offenen Scheuern, die Schafe drängten sich blökend vor dem Stall zusammen, von den Hunden umkreist.

      Die Landschaft glänzte im Licht eines wolkenlosen Himmels. Ueber dem Boden schwebte noch der Dämmer, welcher das Licht der deutschen Sonne auch an hellen Morgen bändigt und mit seinem Grau versetzt. Noch warfen Häuser und Bäume lange Schatten, die Kühle der thauigen Nacht haftete an den schattigen Stellen und die kleinen Luftwellen trieben bald die Wärme des jungen Tageslichts, bald den erfrischenden Hauch der Nacht dem Gelehrten an die Wange.

      Er schritt um die Gebäude und den Hofraum, um sich die Stätte zu begrenzen, die er von jetzt als eine fremdartige Erinnerung in der Seele tragen sollte. Die Menschen, welche hier wohnten, hatten ihm zögernd ihr Wesen aufgeschlossen, Manches in diesem einfachen Leben zwischen Haus und Flur erschien ihm lieb und begehrenswerth. Was hier Thätigkeit gab, Eindrücke und Willen, das konnte er zum größten Theil mit seinen Augen übersehen, denn die Aufgaben für jedes Leben, die Pflichten des Tages wuchsen aus dem Hofe und den Beeten der Landschaft, nach der Ackerscholle formten sich die Ansichten über das Fremde, beschränkte sich das Urtheil. Und lebhaft empfand er, wie tüchtig und glücklich die Menschen leben konnten, denen das eigene Sein so fest verwachsen war mit der Natur und den uralten Bedürfnissen der Menschen. Er selbst aber, welch andere Gewalten regierten sein Leben! Er wurde geführt durch tausend Einwirkungen alter und neuer Zeit, nicht selten durch Gestalten und Zustände der fernsten Vergangenheit. Denn was der Mensch treibt, ist ihm mehr als vergängliche Arbeit des Tages, und Alles, was er gethan, wirkt als ein Lebendiges in ihm fort; der Naturforscher, welchen die Sehnsucht nach einer seltenen Pflanze auf die steile Höhe führt, von der er den Rückweg nicht findet, der Soldat, den die Erinnerung an alte Kampfaufregung in neue Schlachten wirft, sie werden geleitet durch die Gewalt der Gedanken, welche ihre Vergangenheit in ihnen lebendig gemacht hat. – Natürlich! der Mensch ist kein Sklave dessen, was er gelebt hat, wenn er sich nicht dazu erniedrigt; sein Wille ist frei, er wählt, was er mag, und zerwirft, was er nicht bewahren will. Aber die Gestalten und Bilder, welche einmal in seine Seele gefallen sind, arbeiten doch unablässig ihn zu leiten, oft hat er sich gegen ihre Herrschsucht zu wehren, in tausend Fällen folgt er fröhlich ihrem leisen Zuge. Alles was war und Alles was ist,

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