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liegt so etwas hier in der Nähe,« erwiederte der Wirth zurückhaltend.

      »Wie lange geht man bis zum Schloß?« frug der Professor, geärgert durch die kurzen Antworten des Mannes.

      »Wollen Sie dorthin?« entgegnete der Wirth, »kennen Sie den Gutsbesitzer?«

      »Nein,« antwortete der Professor.

      »Haben Sie denn etwas bei ihm zu thun?«

      »Das ist unsere Sache, Herr Wirth,« versetzte der Professor kurz.

      »Der Weg geht eine halbe Stunde durch den Wald, er ist nicht zu fehlen,« schloß der Wirth die ungemüthliche Unterhaltung und verließ die Stube. Der Bürger folgte ihm.

      »Viel haben wir nicht erfahren,« sagte der Doctor lächelnd, »ich hoffe, der Pfarrer und Richter sind redseliger.«

      »Wir gehen geradezu nach dem Gute,« entschied der Professor.

      Draußen steckten der Wirth und der Bürger die Köpfe zusammen. »Wer die Fremden sein mögen?« wiederholte der Bürger, »geistlich sind sie nicht, und an dem Richter war ihnen auch nicht viel gelegen. Hast du gemerkt, wie sie nach dem Kloster und dem Schlosse frugen?« Der Wirth nickte. »Ich will dir meinen Verdacht sagen,« fuhr der Bürger eifrig fort: »sie kommen nicht umsonst her, sie suchen etwas.«

      »Was sollen sie suchen?« frug der Wirth nachdenkend.

      »Es sind verkleidete Jesuiten, sie sehen mir sehr apropos aus.«

      »Nun, wenn sie mit den Leuten auf dem Gute anbinden wollen, die sind Manns genug, mit ihnen fertig zu werden.«

      »Ich habe mit dem Inspector zu thun, ich will ihm doch einen Wink geben.«

      »Menge dich nur nicht in Geschichten, die dich nichts angehen,« warnte der Wirth. Der Bürger aber drückte die Stiefeln fester, die er unter dem Arm trug, und fuhr um die Ecke.

      Schweigend schritten die Freunde aus der gemeinen Nüchternheit des Lindwurms auf die Straße. Sie erfrugen von einem Mütterchen am entgegengesetzten Stadtthor den Weg nach dem Schlosse. Hinter der Stadt erhob sich der Pfad vom Kiesbett des Baches zu einer waldigen Höhe. Sie traten an einen Schlag Buschholz, aus dem einzelne hohe Eichen emporragten. Der Regen des letzten Abends lag noch in Tropfen auf den Blättern, das dunkle Grün des Sommers glänzte im Sonnenstrahl einzelne Vögelstimmen, das Hämmern des Spechts unterbrachen die Stille.

      »Das gibt eine andere Stimmung,« rief der Doctor erfreut.

      »Es gehört wenig dazu, ein gut besaitetes Menschenherz in neuer Melodie klingen zu machen, wenn nicht gerade das Schicksal mit rauher Hand darauf spielt. Etwas Baumrinde mit grauem Flechtenbart, eine Handvoll Blüthen im Grunde und wenige Noten aus der Kehle eines Vogels,« versetzte der Professor weise. »Horch, das ist kein Gruß, den die Natur dem Wanderer gönnt,« unterbrach er sich lauschend. Von fern klangen menschliche Stimmen, ein leiser Choral tönte wie aus den Baumgipfeln in ihr Ohr.

      »Höher hinauf,« rief der Doctor, »zu der geheimnißvollen Stätte, wo alte Kirchenlieder aus den Eichen rauschen.«

      Sie stiegen noch einige hundert Schritt in die Höhe und standen auf einer Terrasse des Waldhügels, die an der Seite von Bäumen umschlossen, in der Mitte gelichtet war. In der Lichtung stand eine kleine hölzerne Kirche, von einem Friedhof umgeben, dahinter erhob sich auf einem massigen Felsblock ein langes altes Gebäude, das Dach durch viele spitze Giebel gebrochen.

      »Das fügt sich gut zusammen,« rief der Professor und sah neugierig über die Waldkirche nach dem Schlosse hinauf.

      Aus der Kirche scholl ein Trauergesang stärker in das Ohr. »Laß uns hineingehen,« sagte der Doctor, auf die geöffnete Pforte des Friedhofs weisend.

      »Mir ist gottseliger hier draußen zu Muthe,« erwiederte der Professor, »und mir widersteht’s, unberufen in Freude und Leid Fremder einzudringen. Das Lied ist zu Ende, jetzt kommt des Pfarrers Sprüchlein.«

      Fritz aber war auf die Steine der niedrigen Mauer geklettert und betrachtete die Kirche. »Sieh die massiven Strebepfeiler. Es ist der Rest eines alten Baues, sie haben ihn durch Tannenholz ergänzt, Thurm und Holzdach blau vor Alter, es lohnt das Innere zu sehen.«

      Der Professor hielt die lange Ranke eines Brombeerstrauches, welche über die Mauer herabhing, in der Hand und sah bewundernd auf weiße Blüthen, grüne und gebräunte Beeren, welche in dicken Büscheln beieinander standen. Undeutlich drangen die Laute einer Männerstimme an sein Ohr, und unwillkürlich neigte er das Haupt, den Sinn aufzufassen.

      »Laß uns doch hören,« sagte er endlich und betrat mit dem Freunde den Friedhof. Sie zogen die Hüte und öffneten leise die Kirchthür. Es war ein sehr kleiner Raum, der Ziegelbau des alten Chores von innen weiß getüncht, das übrige von gebräuntem Holz, die Kanzel, eine Galerie, wenige Bänke. Vor dem Altar stand ein offener Kindersarg, die Gestalt darin ganz mit Blumen bedeckt, wenige Landleute in schmuckloser Tracht daneben, auf den Stufen des Altars ein alter Geistlicher mit weißem Haar und treuherzigem Gesicht, am Haupt des Sarges aber die schluchzende Frau eines Arbeiters, die Mutter des Kleinen. Und neben ihr eine kräftige Frauengestalt in städtischer Tracht, sie hatte den Hut abgenommen, hielt die Hände gefaltet und sah auf das Kind unter den Blumen hernieder. So stand sie regungslos, die Sonne fiel schräge auf das gelockte Haar und die regelmäßigen Züge des jungen Gesichts. Fesselnder aber als der hohe Wuchs und das schöne Haupt war der Ausdruck tiefer Andacht, welche über sie ausgegossen war. Unwillkürlich faßte der Professor den Arm des Freundes, ihn zurückzuhalten. Der Geistliche sprach sein Schlußgebet, die stattliche Frau neigte das Haupt tiefer, dann beugte sie sich noch einmal zu dem Kleinen herab und legte einen Arm um die Mutter, welche sich weinend an die Trösterin lehnte. So stand die Fremde und sprach leise über dem Haupte der Mutter, während ihr selbst die Thränen aus den Augen herabrollten. Wie Geisterlaut klang das Murmeln der tiefen Frauenstimme in das Ohr der Freunde. Dann hoben die Männer den Sarg vom Boden und folgten dem Geistlichen, der auf den Friedhof führte. Hinter dem Sarge ging die Mutter, das Haupt an der Schulter ihrer Führerin. Die Frau schritt bei den Fremden vorüber, verklärt vor sich hinschauend, sie flüsterte ihrer Gefährtin Bibelworte zu. »Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen. – Lasset die Kindlein zu mir kommen,« vernahmen die Freunde. Die Mutter hing gebrochen am Arme der Fremden und, wie durch den leisen Ton fortgeführt, wankte sie zu dem Grabe. Ehrfürchtig schlossen sich die Freunde dem Zuge an. Der Sarg wurde in das Grab gelassen, der Geistliche sprach den Segen, jeder der Anwesenden warf drei Hände voll Erde auf das geschwundene Leben. Dann traten die Landleute auseinander und machten der Mutter und ihrer Begleiterin den Weg frei. Die Fremde reichte dem Geistlichen die Hand und geleitete die Mutter langsam über den Friedhof auf den Weg, der zum Schlosse führte.

      In einiger Entfernung folgten die Freunde, ohne einander anzusehen. Der Professor fuhr sich über die Augen: »Dergleichen macht immer weich,« sagte er traurig.

      »Wie sie am Altare stand,« rief der Doctor, »eine Seherin der Vorzeit, als trüge sie einen Eichenkranz auf dem Haupt. Sie zog das arme Weib sich nach durch ihr Murmeln. Es waren zwar unsere ehrlichen Bibelsprüche; aber jetzt verstehe ich, was das Wort raunen in alter Zeit bedeutete, wo man auch den Worten eine zauberische Kraft zuschrieb. Sie beherrschte der Trauernden Seele und Leib, und ihre Stimme regte auch mir das Herz auf. Wer war dieses Weib, war es Mädchen oder Frau?«

      »Es ist ein Mädchen,« erwiederte der Professor nachdrücklich. »Sie wohnt im Schloß und wir werden sie dort treffen. Laß sie voraus und uns am Fuß des Felsens warten.«

      Sie saßen lange auf einem vorspringenden Stein, der Professor wurde nicht müde, ein Büschel Moos zu betrachten, er bürstete es mit der Hand und legte es bald nach der einen, bald nach der andern Seite. Endlich stand er schnell auf. »Was auch kommen möge, jetzt gehen wir.«

      Sie stiegen einige hundert Schritt bis zur Höhe. Die Landschaft vor ihnen war plötzlich verwandelt. Zur Seite lag das Schloß mit einem gemauerten Hofthor und großen Wirtschaftsgebäuden, vor ihnen neigte sich eine weite Fläche Ackerlandes von der Höhe hinab in ein flaches Thal. Das einsame Waldbild war verschwunden, um die Wanderer rührte sich kräftig das Leben des Tages, der Wind trieb Wellen durch das Aehrenmeer, Erntewagen fuhren auf den Feldwegen heran, Menschenstimmen

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