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Plaudern. Nicht wie Herrin und Magd sondern wie Freundinnen standen sie zu einander. Einst vielleicht hatte die Magd eine eigene Persönlichkeit besessen, war heiter, jung und selbstisch gewesen: die Erinnerung daran aber verlor sich im Dunkel der Zeit. Sie, die am Tage der Hochzeit des Ehepaares Sulis in dessen Dienst getreten war, war nun gleichsam ein Geschöpf Signora Zoseppas: sie hatte deren Art angenommen, ihre Sprechweise, ihre Strenge. Sie war so streng religiös geworden wie ihre Herrin. Sie hatte ihr beigestanden bei ihren Entbindungen wie in Krankheitsfällen, ihr geholfen, die Kinder aufzuziehen, und jetzt geleitete sie sie auf dem langsam absteigenden Wege eines Lebens, das nur Arbeit und Gottseligkeit gewesen.

      »Bis zu meinem dreißigsten Jahr war ich unentschieden, ob ich heiraten sollte oder nicht«, erzählte die Herrin der Magd, während sie das Korn reinigten oder den Brotteig kneteten. »An Gelegenheit fehlte es mir nicht, aber ich fürchtete mich vor dem Heiraten. Meine Mutter war eine Heilige; mein Vater, Gott hab’ ihn selig, mißbrauchte ihre Güte und Geduld. Sie trug es gern und litt willig, wie die heiligen Märtyrer. Und ich, nicht um mich zu rühmen, das weißt du wohl, nun, auch ich bin verständig und geduldig, aber doch nicht bis zu dem Punkt, daß ich mich ruhig schlagen ließe. Ja, jetzt kann ich es dir wohl sagen, einmal entdeckte ich, daß meine Mutter einen Büßergürtel trug; und auch ich versuchte es, als ich jung war, aber ich könnt’ es nicht aushalten. Und dann stand ich eines Tages allein, ohne Vater und Mutter, allein wie ein Tier des Waldes. Und da kam es dem Kanonikus Sulis in den Sinn – er war damals noch ein einfacher Priester – mich mit seinem Bruder zu verheiraten. Luigi war schon achtundvierzig Jahre alt und ich beinahe dreißig; man konnte also nicht gerade sagen, unsere Heirat wäre ein Kinderstreich, so eine von den Ehen, die aus Leidenschaft geschlossen werden und meistens ein schlechtes Ende nehmen. Und warum nehmen sie ein schlechtes Ende? Weil die Frau und der Mann sich fast immer von einem sündhaften Verlangen getrieben miteinander verbinden, ohne zu bedenken, was sie tun. Und wenn sie ihrer Sünde überdrüssig sind, werden zwei Feinde daraus. Ich und mein Mann dagegen haben eine Familie gebildet nach dem Willen des Herrn, und bis heute, du weißt es, hat vollkommene Eintracht zwischen uns geherrscht.«

      Häufig half Gavina den Frauen bei der Arbeit und vernahm dabei die Worte und Lehren ihrer Mutter. Sie selbst war aufgeweckt und phantasievoll, und ihr Instinkt lehrte sie die göttlichen Freuden des Lebens ahnen und begreifen: die Liebe, die Freiheit, die schöpferische und fruchtbare Arbeit. Einen ungeheuren Respekt aber hegte sie vor ihrer Mutter, die die Tugend in Person war und ihrem Vorbild, ihren Lehren Nachdruck gab durch ihre Handlungen. Von dem mütterlichen Beispiel empfing Gavina somit ein unverwischbares Gepräge, gleichsam wie das von Paska und Signora Zoseppa bereitete Brot die Eindrücke der Knöpfe und Formen bewahrte, mit denen die beiden Frauen es verzierten.

      Seit einigen Tagen jedoch glaubte Gavina das zu begehen, was ihre Mutter die größte Sünde nannte. Sie dachte an einen Mann, und dieser Mann war überdies Gott geweiht. Am Sonnabend nach dem Besuch des Kanonikus Felix mußte sie sehr früh aufstehen, um ihrer Mutter und der Magd zu helfen, Brot zu backen. Im Backofen brannte ein Feuer aus Wachholderzweigen und verbreitete angenehmen Geruch durch die stille Küche. Wenn Gavina dann des Knetens müde war, ergriff sie einen Vorwand, um einmal in den Garten hinauszugehen. Sie sah den Morgenstern über den blauen Bergen aufgehen und sah, durch das Gezweig der Steineiche hindurch, wie der Himmel sich im Osten violett-rosenrot färbte, wie dann der ganze Horizont golden schimmerte, während die Vögel zu singen anfingen: und sie verspürte eine ungestüme Freude, ein Verlangen sich loszureißen und zu wandern bis zu einer von Palmen umgebenen Wunderstadt am Strand des Meeres . . . Statt dessen aber mußte sie wieder hinein und weiterkneten. Als dann das Brot gebacken war, mußte sie es mit einer Bürste und einem Messer säubern und abkratzen. Unversehens hatte sie mit dem heißen Messer ihre Lippen berührt und erschauerte: sie wußte nicht warum, aber es war ihr, als ob Priamo sie geküßt hätte. Sie schloß die Augen und hatte Lust, es nochmals zu versuchen – mit einem Mal aber ward sie der Ungeheuerlichkeit ihrer »Sünde« inne und um sich selbst zu strafen, hielt sie das Messer lange an das Brot und drückte es sich dann glühend heiß an die Lippen.

      In der Dämmerung sah sie Priamo wieder, der alle Abend zum Kanonikus Sulis ging, um Lateinstunden zu nehmen. Er sah sie an, und sie empfand fast dasselbe Gefühl schmerzhafter Wonne, das die Berührung mit dem heißen Messer ihr erregt hatte.

      Sie verließ das Haus fast nur, um zur Kirche zu gehen. Nur Abends begleitete sie manchmal Paska zum Brunnen. An jenem Abend gerade hatte sie ein ungewohntes Verlangen nach Lust und Bewegung ergriffen, und sie hängte sich an Paskas Arm und zog sie mit sich.

      Der Brunnen war unten an der Landstraße. Sie gingen über die »Piazzetta«, ohne auf die Scherze der gewohnten Schar zu achten, und kamen in die ärmere Nachbarschaft. Das krumme Gäßchen war vom Mondlicht erhellt; die Luft roch nach verbranntem Stroh. Hin und wieder saßen dunkle Gestalten auf dem staubigen Boden, müde Weiber, Männer, die von den sonneglühenden Feldern heimgekehrt waren. Alle redeten von ihrem elenden Tagewerk; die Männer von ihren Ochsen wie von Gefährten in Arbeit und Mißgeschick; die Frauen jammerten über die magere Ernte. Allemal, wenn Paska durch die Gasse kam, wurde sie gefragt, ob sie viel Birnen und Mandeln gegessen hätte: sie bekamen nie Obst zu Gesicht, außer dem, das ihre Männer allenfalls stahlen; und sie sprachen davon wie Kranke, die Durst leiden.

      Gavina preßte Paskas Arm und zog sie weiter; es verlangte sie, fortzukommen. Sie mochte jene Leute nicht, die so freie Reden führten, jene schmutzigen, nach Obst lüsternen Weiber, jene Männer, die das Eigentum anderer nicht achteten. Doch als sie das Ende der auf die Landstraße führenden Gasse erreicht hatten, hielt Gavina vor dem weitgeöffneten Tor eines weißen Häuschens an, das weniger ärmlich als die andern war.

      In dem vom Mond erhellten Torbogen zeigte sich ein hübsches Bild: ein kleiner Innenhof, darin ein graues Eselchen und zwei weiße, schwarzgefleckte Ochsen an einer gefüllten Krippe. Ein alter, kahlköpfiger Mann mit einem guten, friedlichen, von langem grauem Bart umrahmten Gesicht, und ein blasses, junges Mädchen mit einem Gesicht, das leichenhaft erschienen wäre ohne die Glut und den Glanz zweier großer, grünlichschwarzer Augen, saßen im Hintergrund des Hofes. Hätte nicht das Kind gefehlt, so hätte das Bildchen eine heilige Familie vorstellen können.

      Als das junge Mädchen Gavina bemerkte, sprang es sogleich auf, und seine Augen leuchteten im Mondlicht.

      »Kommst du mit?« fragte Gavina. »Darf sie mitgehen, Zio Bustià?«

      Der Mann, ein wohlhabender Bauer, den Signor Sulis manchmal in landwirtschaftlichen Dingen um Rat fragte, willigte gerne ein.

      »Ich erwartete dich«, sagte Michela mit leiser, doch leidenschaftlich klingender Stimme. »Warum bist du gestern Abend nicht gekommen?«

      »Wenn du mich sehen wolltest, konntest du nicht zu uns kommen?« erwiderte Gavina in etwas spöttischem Ton.

      »Ich hatte soviel zu tun. Vater fuhr das Getreide ein. Und dann haben wir auch Mieter bekommen.«

      Paska, die die Freundschaft zwischen Gavina und der Tochter eines Bauern nicht gern sah und Michela deshalb ziemlich geringschätzig behandelte, interessierte sich aber doch für die Mieter.

      »Seit wann habt ihr die?«

      »Seit gestern. Wir haben ihnen die beiden Stübchen da oben abgegeben.«

      Paska blickte hinauf. Und am Fensterchen des ersten und einzigen Stockwerks, neben einem Korkgefäß, aus dem graugrünes Nelkengeranke herabhing, sah sie den Kopf eines jungen Menschen mit schwarzem, kurzgeschorenem, wie Samt glänzendem Haar und dunklem, magerem Gesicht, das zum Mond aufblickte. Er pfiff vor sich hin und schien der Frauen auf der Straße gar nicht achtzuhaben.

      »Es ist ein Student«, sagte Michela. »Er muß auch in den Ferien studieren und deshalb ist seine Mutter aus ihrem Dorfe hierhergekommen.«

      »Sind sie reich?«

      »Stell’ dir nur vor, wie reich sie sind, wenn sie in unserem Hause wohnen mögen. Sie leben mit fünfzig Centesimi den Tag. Die Mutter ist eine Spinnerin. Aber hört doch, was für eine Geschichte! Mit zwölf Jahren hat man sie einem vierzigjährigen Manne verlobt. Sie sollten heiraten, wenn sie sechzehn sein würde. Aber kurz vorher verliebte sie sich in einen Kurier, wißt ihr, so einen reitenden Boten, die im Gebirge die Post in die Dörfer bringen. Eines Tages brannten die

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