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Im Hause des Commerzienrates. Eugenie Marlitt
Читать онлайн.Название Im Hause des Commerzienrates
Год выпуска 0
isbn
Автор произведения Eugenie Marlitt
Жанр Зарубежная классика
Издательство Public Domain
Aller Augen richteten sich auf ihn. „Ei, und was soll man thun?“ fragte Flora spitz.
„Sich die Leute und ihre Forderungen selbst ansehen. Was nützt es, wenn Du aus dem Heer von Denkschriften und Brochüren über dieses Problem ‚das Für und Wider‘ an Deinem Schreibtische mühsam zusammensuchst –“
„O, bitte“ – in ihren Augen entzündete sich plötzlich ein grelles Feuer.
„Und Todtes zu dem vielen Todten wirfst?“ fuhr er unbeirrt fort. „Deine Artikel werden diesen Leuten schwerlich zu Gesicht kommen, und wenn auch – was helfen sie ihnen? Worte bauen ihnen keine Heimstätte. Gerade den Frauen in den Familien der Arbeitgeber fällt ein bedeutender Theil der Lösung zu, ihrem milden Einfluß auf das härtere Männergemüth, ihrer sanften hülfreichen Vermittelung, ihrer Klugheit. Aber die Wenigsten geben sich die Mühe, darüber nachzudenken oder, was ich in erster Linie von ihnen verlange, ihr Herz zu befragen. Sie nehmen die Mittel zur Bestreitung ihrer heutzutage fast schrankenlosen Bedürfnisse aus den Händen der Männer, ohne zu erwägen, daß vor ihrer Thür alle Elemente zu einem furchtbaren Conflict stetig emporwachsen.“
Die Präsidentin strich mit ihren schlanken Händen langsam über die atlasspiegelnde Fläche ihres Ueberkleides, und ohne auf den letzten Ausspruch einzugehen, sagte sie gelassen: „Ich gebe sehr gern; nur bin ich nicht gewöhnt, meine Almosen direct in die Hand der Heischenden zu legen, und so mag es kommen, daß man nicht weiß, wie viel und wie oft ich gebe. Dieses Mißkennen läßt mich übrigens sehr ruhig, selbst wenn es mich verantwortlich machen möchte für die Rohheiten, denen wir augenblicklich ausgesetzt sind.“
„Die Rohheiten sind abscheulich. Niemand kann sie strenger verurtheilen als ich,“ versetzte Doctor Bruck ebenso kalt; „aber –“
„Nun, ‚aber‘? Sie behaupten schließlich doch, wir Frauen im Hause des Arbeitgebers hätten sie provocirt?“
„Ja, Frau Präsidentin, Sie haben den Arbeitgeber abgehalten, seinen Leuten helfend entgegenzukommen, die Forderung der Arbeiter aber war keine unbillige, keine jener häßlichen Ausschreitungen, welche gegenwärtig die an sich vollkommen gerechte Sache der Partei verdunkeln und anrüchig machen – sie wollten auch kein Almosen, sondern mit Hülfe des Fabrikherrn sich selbst emporarbeiten zu einer beglückteren Existenz.“
Die alte Dame klopfte ihn leicht auf die Schulter und sagte freundlich, aber doch in jenem bestimmten, kurz abfallenden Tone, mit welchem sie das Gespräch abzubrechen wünschte: „Sie sind ein Idealist, Herr Doctor.“
„Nur ein Menschenfreund,“ versetzte er flüchtig lächelnd und griff nach seinem Hute.
Seine Braut hatte ihm längst den Rücken gewendet und war in das andere Fenster getreten. Kein Frauengesicht war mehr geeignet, den Ausdruck der Feindseligkeit anzunehmen, als dieses Profil, das die Lippen so fest über den Zähnen zu schließen vermochte. … Der Mann dort hatte mit dürren Worten gesagt, sie suche an ihrem Schreibtische mühsam fremde Ideen zusammen – unerhört, bei ihrer Begabung! Sie[78] hatte allerdings nie ihre feinen Sohlen mit dem Arbeitsstaub in des Schwagers Spinnerei befleckt; sie wußte auch in der That nicht, wie es bei den Leuten aussah, die das dringende Verlangen nach Reformen unter eine Fahne rief und sie zu einer Macht anwachsen ließ, die sich wie ein Keil zwischen die gesellschaftliche Ordnung schob und sie zu zersprengen drohte. Aber wozu denn auch? Mußte man denn Alles in Wirklichkeit gesehen und erlebt haben, was man schilderte? Lächerlich! wozu waren denn Geist und Phantasie da? … Bis heute hatte der Doctor ihre literarischen Bestrebungen mit keiner Silbe berührt – „aus Scheu und Respect“ hatte sie gedacht, und nun griff er dieses Wirken plötzlich so plump, so verständnißlos an – er! Sie rang schwer mit sich. „Ich begreife nicht, Großmama, wie Du Dich zu der Bezeichnung ‚Idealist‘ versteigen konntest,“ rief sie mit funkelnden Augen herüber. „Ich dächte, Bruck hätte vorhin das große Thema trocken genug beleuchtet. Nach seinem Programme sollen wir schleunigst Comfort und Eleganz abstreifen und in Sack und Asche gehen; wir sollen uns beileibe nicht geistig beschäftigen, sondern Volkssuppen kochen. Daß wir die Stille und Abgeschlossenheit unsers Parkes vertheidigen, ist Todsünde – es versteht sich von selbst, daß wir die hoffnungsvolle Schuljugend direct unter unseren Fenstern turnen und lärmen lassen etc., und wenn wir nicht brav sind und schön folgen, da stellt er uns ein Gespenst vor die Thür.“ – Sie lachte kurz und hart auf. „Uebrigens verrechnet sich solch ein Menschenfreund mit seinen Sympathien ganz gewaltig. Sollte es wirklich zu dem geweissagten Zusammenstoß kommen, dann wird das Gespenst mit ihm ebenso kurzen Proceß machen, wie mit uns auch.“
„Ich habe nicht viel zu verlieren,“ sagte der Doctor mit einem halben Lächeln.
Flora kam raschen Schrittes herüber. Ihre Löckchen flogen, und die schwere Sammetschleppe fegte den Marmorfußboden.
„O, seit heute Morgen darfst Du das nicht mehr sagen, Bruck,“ entgegnete sie beißend. „Bist ja Hausbesitzer geworden, wie mir Moritz mittheilte. Alles Ernstes – hast Du wirklich Deine Drohung von gestern wahr gemacht und die entsetzliche Baracke drüben am Flusse erstanden?“
„Meine Drohung?“
„Nun, anders kann ich’s doch nicht nennen, wenn Du mir ein solches Schreckbild für die Zukunft hinstellst? Du hast, wie Du es gestern selbst bezeichnet, Deine Ersparnisse in einem Grundstücke angelegt, das für mich das non plus ultra der Einöde, der Aermlichkeit und der abstoßenden Häßlichkeit ist. Zur Augenweide allein hast Du doch das Kleinod unmöglich an Dich gebracht, und deshalb frage ich Dich ernstlich: ‚Wer soll darin wohnen?‘“
„Du brauchst es mit keinem Fuße zu betreten.“
„Das werde ich auch niemals – darauf kannst Du Dich verlassen. Eher –“ es war ein schwer zu enträthselnder Blick, mit welchem der Doctor unterbrechend die Hand hob, aber dieser verdunkelte Blick hatte etwas so gewaltig Zwingendes, daß der rothe Mund des schönen Mädchens unwillkürlich verstummte.
„Ich habe das Haus für meine Tante bestimmt und werde nur ein Zimmer für mich reserviren, das mir für meine freien Stunden einen ungestörten Arbeitswinkel im Grünen bietet,“ sagte er gleich darauf weit ruhiger, als man nach seinem vorherigen Gesichtsausdrucke4 hätte erwarten können.
„Ah, viel Vergnügen dazu! Also ein specielles Sommerasyl! – Und im Winter, Bruck?“
„Im Winter werde ich mich mit dem grüntapezirten Zimmer begnügen müssen, das Du in unserer zukünftigen Wohnung selbst für mich bestimmt hast.“
„Aufrichtig gestanden – ich mag die Wohnung nicht mehr. Gerade um dieses Eckhaus tost der Straßenlärm unaufhörlich und wird mich stören, wenn ich arbeiten will.“
„Nun, dann werde ich dem Hauswirthe Abstandsgeld zahlen und eine andere suchen,“ entgegnete er mit unerschütterlichem Gleichmuth.
Flora wandte sich achselzuckend von ihm weg, und zwar so, daß Käthe ihr voll in’s Gesicht sehen konnte. Fast schien es, als stampfe die schöne Braut den Boden. Sie warf den Kopf in den Nacken und sah mit einem Augenaufschlage nach der Zimmerdecke, als ob sie verzweifelt ausrufen wollte: „Gott im Himmel, ist ihm denn gar nicht beizukommen?“
In diesem Augenblicke schellte die Präsidentin so stark, daß das Geklingel scharf und anhaltend vom Ende des langen Corridors hereindrang. Die alte Dame sah streng und beleidigt aus – in ihrem Beisein durfte es zu solchen tactlosen Auseinandersetzungen nicht kommen. „Du magst nicht gerade vortheilhaft über die Gastfreundschaft und den guten Ton im Hause Deines Schwagers denken, Käthe,“ sagte sie zu dem jungen Mädchen. „Man hat Dir weder die Reisejacke abgenommen, noch einen Stuhl zum Niedersitzen angeboten; statt dessen mußt Du, gleichviel ob Du Lust hast, oder nicht, unnütze Erörterungen anhören und auf dem kalten Steinfußboden stehen, während dort die dicken, warmen Teppiche liegen.“ Sie zeigte nach den zwei entgegengesetzten5 Zimmerecken, welche Gruppen von Polstermöbeln und in der That kostbare, schwellende Smyrnateppiche ausfüllten, dann gab sie dem eintretenden Bedienten Befehle für die Hausmamsell hinsichtlich
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