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      Spreemann & Co

      Erster Teil

      Erstes Kapitel

      Niemand weiß, was aus ihm werden kann.

      So ahnten auch die Bewohner von Berlin einmal nicht, in wie hohem Maße man sie zu Weltstädtern bestimmt hatte.

      Selbst als draußen schon die Stränge der Eisenbahn die Welt zu verstricken begannen, barg sich die grüne Stadt an der Spree noch arglos im Netz der Behaglichkeit.

      Neben den niedern Giebelhäusern reiften Kohl und Johannisbeeren. Unter schattigen Bäumen trank man seinen Milchkaffee. Und zwar in langsam bekömmlichen Schlucken. Tief waren die Tassen, groß die Semmeln, lang die Pfeifen. Ruhig die Straßen, friedlich die Plätze. Dick und fest die Grenzmauern.

      Keinem Berliner wäre es damals eingefallen, durch die Luft fliegen zu wollen. Gemessen und sorgsam bewegte man sich über das holprige Pflaster. Im Sommer hatte man Gras und Wiesenblumen auszubiegen. Im Winter verboten Schlamm oder Glatteis jede übertriebene Eile. Keinem kam es in den Sinn, sich ängstlich zu berechnen, daß eine einzige Minute sechzig kostbare Sekunden umschloß. Aus dem einfachen Grunde, weil man von den Sekunden überhaupt noch keinen Gebrauch machte.

      Trotzdem man sonst durchaus nicht verschwenderisch war. Auch wenn man das Geld dazu hatte, kaufte man nicht mehr als man brauchte. Man verlangte von den Menschen sowie den andern nützlichen Gegenständen nicht, daß sie schön und glänzend waren, sondern praktisch und dauerhaft. – – – –

      In jenen Tagen war es, wo beinahe jeder in Berlin wußte, daß es die besten Kleiderstoffe bei Klaus Spreemann am Dönhoffsplatz gab.

      Das war einem ebensogut bekannt, wie daß man wußte, daß Mittwochs und Sonnabends Markt war. Oder daß man seine Fische vor der Spittelkirche kriegte.

      Alles Gute aber kündet sich vorher an. Man roch die Fische schon ehe man die Leipziger Straße zu Ende war. Man bemerkte Spreemanns Laden, bevor man den Dönhoffsplatz erreichte. Denn von dem Firmenschild über der Tür lächelte ein eleganter Herr weit über den Platz hinaus. Im besten Mannesalter, in großkarierten Beinkleidern, langem Rock, gelockten Bartkoteletten und breitkrempigem Zylinder zeigte er mit einem zierlichen Spazierstock auf die zwei bedeutungsvollen Worte: Reell und billig.

      Hinter ihm stand seine Familie. Eine hübsche Dame mit zwei wohlerzogenen Kindern. Wie sich's gebührte in sehr viel kleinerem Format als der Hausherr. Aber ebenfalls gut und gediegen angezogen. Denn auch aus diesen sechs hellblauen Augen sprach es bescheiden aber deutlich: Reell und billig.

      Hatte man Klaus Spreemanns Laden betreten, wußte man noch mehr, daß man hier am rechten Ort war, um sich gut und würdig zu kleiden. Über dem Ladentisch, wo neben Elle und Schere Herrn Spreemanns lange Pfeife glimmte, hing ein angenehm belehrender Spruch. Wie auf einem Haussegen stand da in goldenen Buchstaben:

      In London nicht, noch in Paris,

      In Brüssel nicht, noch Wien,

      Kleiden Monsieur sich und Madame

      So schick wie in Berlin.

      Jetzt wußte man es also. Jeder Käufer richtete sich straffer auf, begann ängstlich an Krawatte oder Seidenband zu nesteln, wenn seine Blicke mit dem Buchstabengold zusammentrafen. Denn die Berliner waren zu allen Zeiten pflichtgetreu. . . .

      Zwischen dem Wandspruch und dem Käufer aber bewegte sich Herr Spreemann selbst. Immer lächelnd und in unermüdlichem Eifer. Seine kurzen stämmigen Beine trabten zwischen Regal und Ladentisch rastlos hin und her. Wie die Sonne lief er seine täglichen Kilometer genau auf derselben Bahn ab.

      Unverdrossen schleppte er seine Waren herbei. Lobte den hellgelben Nanking. Pries die karierten, echt englischen Stoffe. Die alle in dem nahen Sachsen gewebt waren, das wahrlich immer noch entfernt genug lag. Mit gespreizten Fingern bauschte er Mull und bunten Tarlatan auf. Fiel draußen der Schnee, riet er dringend zu den Schlafrockstoffen, warm und geblümt. Und holte schon den Samt zu ihrer Garnierung. Sogar Troddeln und Quasten gab es in jeder Couleur. Dicht neben dem Kachelofen klaffte der vollgehäufte Kasten. Ganz nach Belieben konnte sich jeder daraus wählen, was ihm gefiel.

      Auf dem hohen Regal, unter blumigem Vorhang, verbarg sich die beste, gediegenste Seide. In den Mauern Berlins gewebt. Steif wie ein Brett. Und nach Klaus Spreemanns tröstlicher Versicherung: Weit dauerhafter als ein Menschenleben.

      Wenn man von dieser Seide etwas abhandeln wollte, stieß Klaus Spreemann einen kleinen Pfiff aus. Wie wenn er Zug auf einen hohlen Zahn bekommen hätte. Seine kurzen Finger fuhren Aufruhr stiftend in die enggedrängte Schneckenherde der braunblonden Locken, die seinen dicken Schädel überkrausten. Oder er knebelte seine rotbraunen Bartkoteletten, die mit denen auf dem Firmenschild genau übereinstimmten. Aber kein Wort des Verdrusses entfuhr seinen Lippen. Er lächelte weiter. Geduld und Ausdauer sind die Wege zum Reichtum. Und reich wollte Klaus Spreemann werden, so lange er denken konnte.

      Auch Hochmut wäre nur ein Hindernis gewesen. Darum führte Klaus Spreemann neben den vornehmen Stoffen auch die einfachsten. Neben der Ladentür, die an Markttagen weit geöffnet war, stapelten sich ganze Ballen von Flanell und Barchent auf. Selbst das lackglänzende Wachstuch für die Schutenhüte der Milchfrauen brauchte sich nicht zu verstecken.

      Wie auf dem Rathaus waren alle Stände vertreten. Daher konnte auch hier jeder Stand etwas Passendes finden.

      Und das wollte Klaus Spreemann.

      Jeder Mensch hat seinen Wert. Jede Ware und jedes Geldstück. Darum machte Klaus Spreemann keinen Unterschied zwischen seinen Käufern. Für alle dasselbe Lächeln. Für alle die gleiche Fixigkeit. Ganz egal, ob es die Madame Bankier mit dem Schildpattlorgnon oder die Hökerfrau mit der Marktkiepe war.

      Alles nach einer Elle, sagte er lächelnd, wenn Geld und Schere klapperten und er abwechselnd Seide, Flanell und Wachstuch rasch, reichlich und reell abmaß und durch einen flinken Galoppritt der blanken Schere vom Stück schnitt.

      Gleichmäßig tief fielen dabei seine schnellen Verbeugungen aus, wenn die Glocke an der Ladentür meldete, daß ein Käufer kam oder ging.

      Denn Klaus Spreemann hatte von früh an gelernt, daß man dem Geld nicht seine Herkunft ansieht.

      Und vielleicht nicht nur dem Gelde. . . . . . . .

      Der Weg zwischen den gefüllten Regalen und der nicht leeren Kasse war jetzt schmal und kurz. Die Straße, die dahin geführt hatte, war lang gewesen . . .

      Obwohl in Klaus Spreemann echtes Berliner Blut floß, konnte er doch nicht behaupten, daß seine Wiege an der Spree gestanden hatte, denn er hatte nie in einer Wiege gelegen. Auf einem alten Sack, der mit Lumpen aller Art gepolstert war, hatte er sich hineingeschlafen ins emsige Leben. Und dieses leicht bewegliche Lager war heute in dieser Herberge aufgeschlagen worden und morgen in jener. Denn Klaus Spreemanns Vater Friedrich wußte, warum es in den Mauern die Tore gab. Sein bunter Laden war die Landstraße gewesen.

      Er hatte die neuen glatten Stoffe, die sein tüchtiger Sohn jetzt führte, bewundernd und kopfnickend befühlt. Denn er selbst hatte sein Leben lang nur mit alten Kleidern gehandelt. In der Stadt erstand er sie. Vor den Mauern, in den Dörfern verkaufte er sie. Und mit Prosit. Von ihm hatte es Klaus geerbt, daß man die Käufer nicht wählen, sondern nehmen sollte, wie sie kamen.

      Er hatte mit vollem Eifer an den breiten Schanzen mitgeschaufelt, die man dem Erbfeind vor das Brandenburger Tor gebaut hatte. Aber als die Franzosen dann doch kamen, hatte er mit ihnen Geschäfte gemacht. Und keine schlechten. Denn wenn solch lustiger Welsche auch außen ein Franzmann sein mußte, so konnte er unter der Uniform oft genug ein altes Berliner Wollhemd gebrauchen, das wenig kostete, so gut wie neu aussah, aber an den deutschen Winter gewohnt war. Und ebenso gereichte es keinem zu Schaden, wenn sich unter feindlichen Stulpstiefeln Strümpfe versteckten, die irgendeine kreuzbrave Berlinerin einmal gestrickt hatte. Wenn sie es auch nicht geahnt hatte, daß sie damit einem fremden Kriegsmann die Füße wärmen würde. Denn niemand weiß, was er tut.

      Auch ein Feind ist schließlich ein Mensch. Besonders, wenn er nicht knausert. Ja, wenn's sein soll, kann uns ein Feind mehr nützen als ein Freund. Die Russen kamen als treue Verbündete. Aber sie wärmten sich mit Branntwein und Schnaps, statt mit alten, durchaus noch gediegenen Kleidern.

      Ein

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