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Frau von Misery, während die Königin den Brief entsiegelte, »Monseigneur der Graf von Provence kam gestern, um Ihrer Majestät seinen Respect zu bezeigen, und ich antwortete ihm, Ihre Majestät empfange nicht.«

      »Auf wessen Befehl?«

      »Auf Befehl der Königin.«

      »Ah!« machte der König.

      Während dieser Zeit hatte die Königin den Brief entsiegelt und folgende Zeilen gelesen:

      »Sie sind gestern von Paris zurückgekommen und um acht Uhr Abends in das Schloß eingetreten, Laurent hat Sie gesehen.«

      Mit derselben gleichgültigen Miene entsiegelte die Königin sodann ein halbes Dutzend Billet-Briefe und Bittschriften, welche unter ihren Eiderdunen lagen.

      »Nun?« fragte sie zum König aufschauend.

      »Ich danke, Madame,« sagte dieser zu der ersten Kammerfrau.

      Frau von Misery entfernte sich.

      »Verzeihen Sie, Sire,« sprach die Königin, »geben Sie mir über einen Punkt Aufklärung.«

      »Ueber welchen?«

      »Steht es mir frei oder nicht frei, Herrn von Provence zu sehen?«

      »Oh! vollkommen frei, Madame, aber…«

      »Was wollen Sie? sein Geist ermüdet mich; überdieß liebt er mich nicht; es ist wahr, ich gebe es ihm zurück. Ich erwartete seinen verdrießlichen Besuch und legte mich um acht Uhr in's Bett, um diesen Besuch nicht zu empfangen. Was haben Sie denn, Sire?«

      »Nichts, nichts.« – »Man sollte glauben, Sie zweifeln.« – »Aber…« – »Was, aber?« – »Aber ich glaubte Sie gestern in Paris.« – »Um wie viel Uhr?« – »In den Stunden, wo Sie zu Bette gegangen zu sein behaupten.« – »Allerdings, ich bin nach Paris gefahren. Kommt man etwa nicht von Paris zurück?« – »Doch. Es hängt Alles von der Stunde ab, zu der man zurückkommt.« – »Ah, ah! Sie wollen genau die Stunde wissen, zu der ich von Paris zurückgekommen bin?« – »Ja.« – »Das ist ganz leicht, Sire!«

      Die Königin rief:

      »Frau von Misery!«

      Die Kammerfrau erschien wieder.

      »Wie viel Uhr war es, als ich gestern von Paris zurückkam, Frau von Misery?« fragte die Königin.

      »Ungefähr acht Uhr, Eure Majestät.«

      »Ich glaube nicht,« versetzte der König, »Sie müssen sich täuschen, Frau von Misery, erkundigen Sie sich.«

      Die Kammerfrau drehte sich steif und unempfindlich nach der Thüre um und sagte:

      »Madame Duval!«

      »Madame!« erwiderte eine Stimme.

      »Um wie viel Uhr ist Ihre Majestät gestern Abend von Paris zurückgekehrt?«

      »Es mochte acht Uhr sein,« antwortete die zweite Kammerfrau.

      »Sie müssen sich täuschen, Madame Duval,« sagte Frau von Misery.

      Madame Duval neigte sich aus dem Fenster des Vorzimmers und rief:

      »Laurent?«

      »Wer ist das, Laurent?« fragte der König.

      »Der Concierge des Thores, durch das Ihre Majestät gestern zurückgekommen ist,« antwortete Frau von Misery.

      »Laurent,« rief Madame Duval, »um welche Stunde ist Ihre Majestät gestern Abend nach Hause gekommen?«

      »Gegen acht Uhr,« erwiderte der Concierge unten von der Terrasse.

      Der König ließ den Kopf sinken.

      Frau von Misery entließ Madame Duval, die sodann Laurent entließ.

      Die beiden Gatten blieben allein.

      Ludwig XVI. schämte sich und strengte sich gewaltig an, diese Scham zu verbergen.

      Aber statt über den Sieg zu frohlocken, den sie davon getragen, sagte die Königin mit kaltem Ton zu Ludwig:

      »Nun, Sire, was wünschen Sie noch zu wissen?«

      »Oh! nichts,« rief der König, seiner Frau die Hände drückend, »nichts.«

      »Aber…«

      »Verzeihen Sie, Madame, ich weiß nicht recht, was mir durch den Kopf gegangen ist. Sehen Sie, meine Freude, sie ist so groß als meine Reue. Nicht wahr, Sie sind mir nicht böse? Schmollen Sie nicht, bei meinem Wort, ich wäre in Verzweiflung.«

      Die Königin zog ihre Hand aus der des Königs zurück.

      »Nun! was machen Sie, Madame?« fragte der König.

      »Sire,« erwiderte Marie Antoinette, »eine Königin von Frankreich lügt nicht.«

      »Nun?« fragte der König erstaunt.

      »Damit will ich sagen, daß ich nicht gestern Abend um acht Uhr zurückgekommen bin.«

      Der König wich erstaunt zurück.

      »Damit will ich sagen, daß ich erst diesen Morgen um sechs Uhr nach Hause gekommen bin,« fuhr die Königin mit derselben Kaltblütigkeit fort.

      »Madame!«

      »Und daß ich ohne den Herrn Grafen von Artois, der mir ein Asyl angeboten und mich in ein ihm gehöriges Haus einquartirt hat, wie eine Bettlerin vor der Thüre geblieben wäre.«

      »Ah! Sie waren nicht nach Hause gekommen,« sagte der König mit düsterer Miene, »ich hatte also Recht?«

      »Sire, ich bitte um Verzeihung, Sie ziehen aus dem, was ich gesagt habe, den Schluß eines Arithmetikers, aber nicht den Schluß eines galanten Mannes.«

      »Inwiefern, Madame?«

      »Insofern Sie, um sich zu versichern, ob ich früh oder spät nach Hause gekommen, nicht nöthig hatten, Befehle zu geben, sondern nur mich aufsuchen und fragen durften: »Um welche Stunde sind Sie zurückgekommen, Madame?«

      »Ah!« machte der König.

      »Es ist Ihnen nicht mehr erlaubt, zu zweifeln; Ihre Spione waren getäuscht, oder bestochen, Ihre Thore forcirt oder geöffnet, Ihre Besorgnisse waren bekämpft worden, Ihren Verdacht hatte man zerstreut; ich sah, daß Sie sich schämten, gegen eine in ihrem Recht befindliche Frau Gewalt gebraucht zu haben. Ich konnte fortfahren, mich an meinem Siege zu weiden. Aber ich finde Ihr Benehmen schmählich für einen König, unanständig für einen Edelmann, und will mir die Befriedigung, Ihnen das zu bemerken, nicht versagen.«

      Der König stäubte seinen Jabot ab, wie ein Mensch, der auf eine Erwiderung sinnt.

      »Oh! Sie mögen machen, was Sie wollen, mein Herr, es wird Ihnen nicht gelingen, Ihr Benehmen gegen mich zu entschuldigen.«

      »Im Gegentheil, es wird mir leicht gelingen,« versetzte der König. »Vermuthete zufällig irgend Jemand im Schloß, Sie wären nicht nach Haus gekommen? Nun wohl, wenn Jedermann wußte, Sie seien zurückgekehrt, so konnte Niemand glauben, mein Befehl, die Thore zu schließen, sei gegen Sie gerichtet. Ob man ihn den Ausschweifungen des Herrn Grafen von Artois oder irgend eines Andern zugeschrieben, darum bekümmere ich mich, wie Sie begreifen, nicht.«

      »Weiter, Sire!«

      »Ich fasse mich kurz und sage, wenn ich den Schein gegen Sie gerettet, Madame, habe ich Recht, und Sie haben Unrecht, indem Sie nicht so viel für mich thaten, und wenn ich Ihnen ganz einfach eine geheime Lection geben wollte, wenn Ihnen die Lection frommt, was ich nach der Gereiztheit, die Sie gegen mich kundgeben, glaube, nun, so habe ich abermals Recht, und ich nehme nichts von dem zurück, was ich gethan.«

      Die Königin hatte die Antwort ihres erhabenen Gemahls angehört, indem sie sich allmälig beruhigte; aber sie wollte alle ihre Kräfte für den Kampf bewahren, der ihrer Meinung nach, statt beendigt zu sein, kaum anfing.

      »Sehr gut!« sagte sie. »Sie entschuldigen sich also nicht, daß Sie die Tochter Maria Theresia's, Ihre Frau, die Mutter Ihrer Kinder wie die nächste beste Person vor der Thüre Ihres Hauses schmachten ließen. Nein, das ist Ihrer Ansicht nach

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