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      Lucia Miranda

      Lucia Miranda

      Es ist späte Nacht. unermüdlich und immer hell brennt die treue Lampe, aber das Zimmer ist dunkel, wenn ich aufschaue. Der Schirm drängt alles Licht auf den Folianten vor mir.

      Ich lese und lese weiter. Die Welt ist um mich verschwunden. Meine Blicke und Gedanken haften auf den grauen Blättern mit halb verblichenem Druck, die der Zufall mir in die Hand geführt.

      Große, bewegte, thatkräftige Zeit, in die sich der Geist gern aus der Bedrängniß der Gegenwart rettet! Zeit kühner, waghalsiger, aufopfernder Männer, Männer mit eisernen Muskeln und eisernen Herzen – Zeit der Reformation und der Entdeckung des fernen wunderbaren Erdtheils – o, welch’ ein Reiz ist es, Alles zu vergessen und ganz in dir zu leben, den schlichten, einfachen Worten jener Männer zu lauschen, die wenig sprachen und noch weniger schrieben, aber viel handelten – deren Name kaum auf die Nachwelt gedrungen ist, und die dennoch mit den Argonauten und den Wikingern wetteiferten – welch’ ein Reiz ist es, unter diesen hohen Gestalten zu leben, mit ihnen dahin zu schreiten über Fluren, die nie der Fuß eines Europäers betrat, mit ihnen Ströme hinaufzuschiffen, die nie vorher ein Senkblei ergründete, und jene duftigen Ufer mit wunderbaren Menschen und wunderbaren Bäumen zu schauen, von denen nie zuvor der Mund eines Sterblichen uns berichtet!

      Welcher Muth, welche Verwegenheit, welche Frische der Leidenschaften, welche Sorglosigkeit um gestern und morgen! Welch’ ritterlicher Sinn, welcher Trotz, welch’ grausame Starrheit des Herzens selbst! Eiserne Männer mußten es sein, die eine neue Welt unter das Joch der alten zwingen konnten, Männer, so unerbittlich wie der Stahl an ihrer Seite, grausame Männer, Tyrannen, Verächter des Blutes und des Lebens – aber doch Männer, würdige Söhne der Normannen, Bertrand’s du Guesclin und des Cid!

      Und auch Ihr, muthige Kämpfer der Kirche, die Ihr mit jenen Helden zogt, um den fernen Heiden das Christenthum zu kündigen, nicht bloß mit Worten, auch mit dem Schwert, wenn es nöthig sei, nach alter herber Sitte – auch Ihr waret Männer! Wie gern lausche ich den schlichten Worten, mit denen Ihr große Thaten erzählt, wunderbare Abenteuer und gewaltige Heldenseelen schildert! Ich bin in einer andern Welt, wenn ich Euch höre. So sei es denn! Der Tag habe sein Recht, ihm gehöre die Gegenwart! Aber in der stillen Nacht will ich mit Euch träumen, will ich wieder ein Knabe sein und Euch lauschen, wie ich den Märchen meiner Wärterin lauschte! —

      Der Tag ist schön, der Himmel blau, der Wind kräuselt leicht die Wellen; langsam schweben drei Fahrzeuge, mit den spanischen Flaggen geschmückt, über die Fluth, die in der Ferne, zur Rechten und zur Linken, duftige Ufer zeigt.

      Auf dem Decke des größten, des vordersten Schiffes steht ein schlanker Mann, mit gebräuntem und tiefgefurchtem Gesicht. Unruhig späht sein Auge nach allen Seiten, zuweilen erhellt sich sein Blick, dann wird er wieder finster.

      »Ich glaube, wir haben sie!« ruft er endlich. »Es ist die Durchfahrt. Laßt die Anker auswerfen! Dort an jener Insel!«

      Es ist Don Juan Diaz de Solis, der Befehlshaber der Expedition, der mit der Hand nach einer flachen, weit ausgedehnten Insel deutet, auf der die Pinguine schwerfällig dahinflattern und die Robben neugierig die schlauen Köpfe emporstrecken, um die nie gesehenen Kolosse anzustaunen.

      Es ist derselbe kühne Seefahrer, der mit Vincente Janez Pinzon eine verwegene, aber vergebliche Fahrt unternommen, und den man in den Kerker geworfen, weil er nicht so glücklich gewesen, als man erwartete.

      Aber Spanien kann der Männer, wie Solis, nicht entbehren. Er verläßt den Kerker, um nach Vespucci’s Tode, als Großpilot von Spanien, an die Spitze einer neuen Expedition zu treten.

      Es ist sein Zweck, die südliche Durchfahrt nach dem großen Meere, nach Indien zu finden. Jetzt endlich glaubt er am Ziele zu sein. Das Meer verengt sich, er sieht Land zur Linken und Rechten. Ist es wieder eine Bai wie sie ihn schon einmal an der Küste von Brasilien täuschte? Er will es wissen. Nach kurzer Rast werden die Anker gelichtet.

      Die Fahrzeuge nähern sich dem westlichen Ufer, in der Ferne zeigen sich Schaaren von Indianern.

      Solis will mit ihnen sprechen, sich ihnen verständlich machen, von ihnen hören, ob der schmale Meeresarm, in dem er sich zu befinden glaubt, nicht bald auf jener andern Seite in eine unermeßliche See mündet. Ein Boot wird ausgesetzt und mit fünf Begleitern steigt er bald an das Ufer.

      Den Augenblick darauf ist er umringt von Hunderten nackter Indianer, die ihn mit wilden Blicken, mit drohenden Geberden empfangen. Das sind nicht die friedlichen, zarten Kinder Mexiko’s, nicht die sanften Unterthanen der peruanischen Inka’s; das Leben in den unwirthlichen Pampas hat die Muskeln und den Sinn dieser Kinder der Wüste gestählt; der rauhe Pampero, der kalt von den fernen Anden herüberweht, hat ihre Sehnen gehärtet. Sie sehen in den Fremden nicht die Kinder der Sonne, nicht die niedergestiegenen Götter, sie sehen in ihnen nur Eindringlinge und Feinde. Noch ehe Solis sich verständlich machen, noch ehe er die Geschenke reichen kann, die er trägt, ist er von Pfeilen durchbohrt. Vergebens lassen die Spanier auf den Schiffen den Donner ihrer Geschütze ertönen; er ist zu fern, und diese rauhen Söhne der Pampas schreckt der Donner nicht. Mit Triumphgeschrei werfen sie sich auf die zuckenden Glieder der todten Spanier, zerreißen sie, braten sie an dem auflodernden Feuer – und entsetzt kehren die Genossen des kühnen Solis nach Spanien zurück, nicht einmal wagend, ihren Hauptmann zu rächen.

      So stirbt der Held, der die Durchfahrt nach dem fernen Indien, dem Lande der Schätze, suchte. Er findet den Weg in jenes Land , das keine irdischen Schätze mehr kennt. Fünf Jahre nach ihm findet Magelhan seine Straße, und zwanzig Jahre nach dem Tode des Juan Diaz de Solis gründet Pedro de Mendoza auf der Stätte, wo er fiel, Buenos-Ayres.

      Vorher aber, nachdem kaum ein Decennium seit dem Tode Solis verflossen, schweben abermals vier stattliche Fahrzeuge über die Barre des großen Stroms, den Magelhan inzwischen als einen solchen erkannt, und dessen schwierige Einfahrt die Seeleute mit dem Namen der »Schifferhölle« bezeichnet.

      Wieder sind es nicht Kaufleute, wie sie das neunzehnte Jahrhundert dort jetzt sieht, keine ärmlichen Auswanderer. Es sind die trotzigen, sonnenverbrannten Gestalten spanischer Kriegs- und Seeleute, tollkühne Abenteurer, erprobt im Getümmel der Schlachten und im wüthenden Sturm der Elemente.

      Dieses Mal führt Sebastian Cabot die Schaar, der Erste, der Amerika’s Küsten fand, dem Heinrich der Achte mit Undank lohnte und der zu Karl dem Fünften nach Spanien ging, um ihm seine Dienste anzubieten.

      Der große Regent hat sie angenommen. Cabot ist Großpilot von Indien und Oberpilot von Castilien. Jetzt hat er sich durch einen Vertrag verpflichtet, durch die Straße Magelhan’s zu gehen, Tharsis, Ophir und Cipango auf den Molucken zu entdecken und mit reichen Schätzen beladen zurückzukehren. Mit vier Schiffen ist er von Sevilla ausgelaufen; erfahrene Männer, erprobte Soldaten begleiten ihn, unter ihnen Martin Mendez, der Schatzmeister Magelhan’s, der auf der Viktoria, dem einzig übriggebliebenen von Magelhan’s Fahrzeugen, nach Spanien zurückgekehrt.

      Aber Cabot ist ebenso eigensinnig, grausam und trotzig als kühn und verwegen. Seine Starrheit duldet keinen Widerspruch. Bereits hat er Martin Mendez mit zwei andern Hauptleuten auf einer wüsten Insel aussetzen lassen, weil sie ihm widersprochen. Jetzt murrt das Schiffsvolk und erhebt sich gegen seine eigensinnige Härte. Er kann die Reise nicht fortsetzen. Aber auch an den Ufern des La Plata, des silbernen Stromes, wie er ihn nennt, hofft er Schätze zu finden, denn die Indianer zeigen ihm goldenen und silbernen Schmuck. Er beschifft den Uruguay und den Parana. Endlich, nach jahrelangem Forschen, getäuscht und ermüdet, läßt er Nunjo de Lara mit hundertundzwanzig Mann in der Schanze des heiligen Geistes und kehrt nach Spanien zurück, um später England wieder aufzusuchen und dort nach vieler Mühe und vieler Arbeit unbekannt zu sterben.—

      Da liegt sie vor mir, die einsame Schanze des heiligen Geistes, im ersten Dämmerlicht des Morgens. Wie kühl und frisch der Wind vom Parana herüberweht, der tausend Schritt entfernt in fast unübersehbarer Breite, von zahlreichen Inseln durchbrochen, die hügeligen Ufer von einander trennt! Purpurwölkchen flattern am Himmel, die Sonne steigt höher, ihre ersten Strahlen fallen auf die Erdschanzen, auf das rohe Pfahlwerk der kleinen Festung. Der Wind zerreißt die Nebel, die über dem Parana und auf den Wiesen lagern; zu Wolken zusammengeballt fliehen sie nach Westen und der Blick wird frei. Höhenzüge und Wälder tauchen auf; eine blaue Ferne umgiebt in weitem

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