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einstweilen dem bischöflichen Konvikt in Mainz anvertrauen solle.

      Der Tag, der Hansens Kinderglück abschloss, begann mit einem leichten Nebel, dessen Grau die Septembersonne mit einigen goldenen Pfeilen durchschoss. Das Bohnenlaub im Garten hatte bereits die fleckig kränkelnde Farbe des Herbstes, und die kleinen Fichtenstangen, die es getragen, lagen entlastet in Haufen umher. Das Vieh ging auf den geschorenen Wiesen, die ihr sattgrünes Sommerkleid mit einem lichtgrünen vertauscht hatten, in das die blauen Kelche der Herbstzeitlosen gar zierlich eingestickt waren. Der Wald war scheckig wie das Kleid eines Harlekin in den Fastnachtstagen.

      Hans Höhrle stand am offenen Fenster, schaute in den aufdämmernden Morgen und war bemüht, sich Stück für Stück in einen neuen Anzug hineinzuzwängen. Er putzte sich zur Reise in die Bischofsstadt und zu einem anderen Zweck. Er hatte nämlich noch einige Abschiedsbesuche zu machen und darunter einen, der ihm sehr wichtig war. Hans Höhrle wäre kein ganzes »Röhrle« gewesen, wenn er nicht neben seinem Hang zum geistlichen Stande noch eine andere fromme Neigung gepflegt hätte. Ihn zog es, man kann nicht genau sagen seit wann, zu einer kleinen Agnes hin, der er beim Suchen von Haselnüssen zuweilen die ringelnden Locken aus dem garstigen Reisig gelöst hatte. So mag es gekommen sein, dass ihr lieber Kopf mit den haselnussbraunen Augen zwischen seinen Händen ihm wie ein artiges Spielzeug vorkam, das er nach Laune drückte und herzte. Agnes, weniger Kind als er, war betroffen von dieser weitgehenden Art der Spielerei und hatte schon das Bewusstsein, eine Unschicklichkeit geduldet zu haben. Sie ließ verstimmt das Köpfchen hängen. Das rührte den Hans Höhrle, den seine Sünde nicht genügend reute, als dass er nicht deren Wiederholung wünschte. So wusste er sich denn zu helfen. Er kehrte den Biedermann heraus und erklärte, dass Agnes von jetzt ab im stillen seine kleine Frau sei, bis er in die Lage käme, sie durch ein lautes »Ja« vor aller Welt zu einer solchen zu machen. So gewann er fast das Recht des Nießbrauches, und was einmal geschehen war, geschah öfters. Bald fand Agnes Geschmack am kindischen Getändel, schlug die kleinen Hände ineinander, dass es klang wie das Jauchzen der Kastagnetten, und hing sich hilfesuchend an seinen Arm, wenn es im wilden Lauf durch Hecken und über Gräben ging. Doch zuweilen war sie ernster, besann sich auf ihre neuen Pflichten, schritt sittsam neben ihm her und entdeckte, dass an seiner Weste ein Knopf fehlte und dass ein anderer nur noch an wenig Fäden hing. Auch musterte sie altklug mit dem besorgten Blicke einer sparsamen Bauersfrau die Kartoffelfelder und sprach nicht ohne Kummer von den schlechten Aussichten für die Kraut- und Bohnenernte. Derartige Bemerkungen beruhigten den Knaben, weil sie ihm die Sicherheit gaben, dass er dereinst eine sparsame Gattin haben werde. So lebten sie im Frieden dahin. Seitdem es aber im Dorfe bekannt geworden war, dass Hans nun auf die Schule käme, um sich vorläufig zum Pfarrer und dann zum Bischof weihen zu lassen, war Agnes zurückhaltender. Gewiss teilte sie nicht die blöde Ansicht des Bauernvolkes, dass einer, der mehr lernt als seinen Namen schreiben, nun unbedingt ein »Hochwürden« werden müsse, aber sie ahnte mit dem feinen Instinkt des Weibes, dass Hansens fortschreitende Bildung einen Graben zwischen sie beide wühlen würde, den sie dann nicht mehr überspringen könnten. Schon dass er wiederkehren und hochdeutsch reden sollte, war ihr ein widerwärtiger Gedanke.

      Sie zog sich von dem Höhersteigenden scheinbar zurück. Sie schmollte. Sie begünstigte in auffallender Weise wohl einmal einen anderen Knaben, ließ sich suchen und nicht finden. Dies alles war dem Hans nicht entgangen, und er fürchtete um seinen Besitz. Nach wenigen Stunden schon legte sich zwischen sie und ihn ein Kilometer nach dem anderen. Das gab einen weiten Spalt, in den sich bequem ein anderer lagern konnte.

      Einer derartig betrübenden Möglichkeit musste Hans zuvorkommen. Noch einmal wollte er die sprechen, aus deren Augen jene schmelzende Glut geflossen war, die seine Kinderseele entflammt hatte. Er wusste, dass sie drüben hinter den Haselsträuchern bei den Kühen ihres Vaters zu finden war, und dahin eilte er jetzt. Bald erblickte er sie sitzend zwischen den Zweigen des Unterholzes auf dem weißblühenden Teppich des Hasenklees, seine seitherige kleine Frau. Sie hatte das müde Braungrün hinsterbender Buchen- und Brombeerblätter zu einem melancholischen Strauß gebunden und schien auf jemanden zu warten, dem sie ihn geben könne. »Agnes!« rief Hans. Das Mädchen fuhr zusammen, erhob sich, kam näher und blieb doch wieder befremdet stehen, als sie den Freund in dem neuen modischen Anzug sah. Sie ahnte, dass von jetzt ab wie mit dem äußeren, so mit dem inneren Menschen ein Wandel vor sich gehen werde. Umsonst war’s, dass Hans ihr beteuerte, nicht jeder, der durch ein Gymnasium gedrückt werde, brauche mit geschorenem Schädel herumzulaufen. Umsonst, dass er ein Dutzend Jahre vorüberziehen ließ wie einen flüchtigen Kranichzug. Umsonst, dass er ihr von allem Geld und allen Ehren, die er auf sich zu häufen gedachte, ein gutes Teil versprach. Es half alles nichts. Ihr schönes nachdenkliches Gesicht wiegte sich gedankenvoll von einer Schulter zur anderen, ihr Auge schweifte geängstigt ins Weite, ihre Pupille wurde größer und größer, als ob sie einem nachsehe, der kleiner und kleiner wird und in der unendlichen Weite des Weltenraumes für sie wenigstens verschwindet. Stumm reichte sie ihm noch einmal die Lippen zum Kusse, befestigte den Blätterstrauß mit dem verbleichenden Grün der Hoffnung an seinem neuen Rocke und floh wie vor einem ihr fremd gewordenen Menschen aus dem schützenden Waldesdunkel hinaus in die zwinkernde Helle eines vielversprechenden Septembermorgens.

      Hans sah die liebe Gestalt von goldglänzenden Nebelschleiern umflossen vor sich fliehen, und ihm ward traurig zumute, zum ersten Mal in seinem Leben. Er fing an, sich vor der Weite zu fürchten, in der er nichts bedeuten und so leicht sich spurlos verlieren konnte, und heimwehkrank ging er, seinen Strauß unterm Rocke verborgen, dem Dorfe zu.

      Das Herz war ihm schwer, und er wäre am liebsten einsam geblieben. Das ging nicht an. Da war der Onkel Schütteldich, Inhaber der Firma Knuff und Schütteldich, Gemeinderat und Bürge für gar manchen, der aus dem Vorschussverein etwas herauspressen wollte. Er wohnte so gelegen, gerade nebenan der Sparkasse, er galt für wohlhabend, und es schmeichelte ein wenig seiner Eitelkeit, wenn er mit der Zugkraft seines klangvollen Namens das steife Geld der Kasse ins Rollen bringen konnte. Er freute sich, wenn er andere und anderes sich bewegen sah, der eigenen Ruhe, denn er war von unüberwindlicher Faulheit. Er war Junggeselle geblieben, weil er die Anstrengung des Heiratens fürchtete. Sein Geschäft betrieb er von einem dreimal reparierten Ledersofa herunter mit der Spitze einer langen Pfeife. Wer einen Hering verlangte, legte das Geld auf den Ladentisch und bequemte sich nach der Ecke, die Schütteldich mit seiner Pfeifenspitze ihm bezeichnete. Dort fand er, was er suchte. Kam einer, der etwas kaufen wollte, was gewogen werden musste, so lud ihn Onkel Schütteldich ein, neben der Schmierseifentonne Platz zu nehmen, bis noch einer käme. Wegen eines einzigen Geschäftes aufzustehen, dazu war er nicht zu bewegen.

      In halb liegender Stellung traf ihn unser Hans auf dem Ledersofa und erklärte ihm in Kürze, dass er gekommen sei, um Abschied zu nehmen. Schütteldich blies aus seiner Pfeife einige Frage- und Ausrufezeichen in die Luft, als ob er sagen wollte: »Wohin? – Und was soll aus diesem Kinde werden?«

      Der Knabe beantwortete diese Wimpelsignale prompt: »Ich soll ein Geistlicher werden, Onkel, und soll fort nach der Bischofsstadt.«

      »Du, ein geistlicher Herr?« lachte Onkel Schütteldich. »Höre, mein Junge, dein Onkel ist auch nicht allwissend, aber das kann er doch prophezeien, dass du eher an die Mondsichel einen Stiel drechselst, als den Weihwasserpinsel schwingst. Wo warst du übrigens heute morgen schon, verliebter Kakadu, bevor du zu mir kamst?«

      Hans errötete und schwieg.

      »Ich will dir was sagen. Von der Dachluke unseres Hauses hat man eine schöne Aussicht, und ich, dein Onkel, weiß, dass du mit einem schelmigen Buben verkehrst, der Agnes heißt.«

      Dem derart gefolterten Knaben lief eine Purpurröte bis unter die Haare, und er stammelte verlegen: »Du wirst doch schweigen können, guter Onkel!«

      »Ich«, sprach dieser, »ich kann unverschämt schweigen jedem anderen gegenüber. Dir aber sage ich: Überlass den langen Rock anderen Leuten, die krumme Beine haben! Gewiss, ich sage nichts gegen den Priesterstand. Schon seine bequeme Zeiteinteilung: Ein Werktag und sechs Sonntage, gefällt mir sehr. Aber, Hans, das Zölibat, das Zölibat, und die Mädels und die Mädels!«

      Und Onkel Schütteldich lachte verschmitzt wie einer, der viel erzählen könnte, wenn er wollte. Es gehörte so zu seinen kleinen Schwächen, durchscheinen zu lassen, dass er nicht aus Mangel an Auswahl Junggeselle geblieben sei, sondern

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