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Spieler große Bälle und schwere Queues. Mit solchen Bällchen spielt man nicht mehr. Die Zeiten ändern sich! Man muß modern sein! Sehen Sie sich mal bei Tellier im Café Français….«

      Die Wirtin wurde rot vor Ärger, aber der Apotheker fuhr fort:

      »Sie können sagen, was Sie wollen! Sein Billard ist handlicher als Ihrs. Und wenn es heißt, eine patriotische Poule zu entrieren, sagen wir: zum Besten der vertriebenen Polen oder für die Uberschwemmten von Lyon …«

      »Ach was!« unterbrach ihn die Löwenwirtin verächtlich. »Vor dem Bettelvolk hat unsereiner noch lange keine Angst! Lassen Sies nur gut sein, Herr Apotheker! Solange der Goldne Löwe bestehen wird, sitzen auch Gäste drin! Wir verhungern nicht! Aber Ihr geliebtes Café Français, das wird eines schönen Tages die Bude zumachen! Oder vielmehr der Gerichtsvollzieher! Ich soll mir ein andres Billard anschaffen? Wo meins so bequem ist zum Wäschefalten! Und wenn Jagdgäste da sind, können gleich sechse drauf übernachten! Nee, nee…. Wo bleibt nur eigentlich der langweilige Kerl, der Hivert!«

      »Sollen denn Ihre Tischgäste mit dem Essen warten, bis die Post gekommen ist?« fragte Homais ungeduldig.

      »Warten? Herr Binet ist ja noch nicht da! Der kommt Schlag sechs, einen wie alle Tage! So ein Muster von Pünktlichkeit gibts auf der ganzen Welt nicht wieder. Er hat seit urdenklichen Zeiten seinen Stammplatz in der kleinen Stube. Er ließe sich eher totschlagen, als daß er wo anders äße. Was Schlechtes darf man dem nicht vorsetzen. Und auf den Apfelwein versteht er sich aus dem ff. Er ist nicht wie Herr Leo, der heute um sieben und morgen um halb acht erscheint und alles ißt, was man ihm vorsetzt! Übrigens ein feiner junger Mann! Ich hab noch nie ein lautes Wort von ihm gehört.«

      »Da sehen Sie eben den Unterschied zwischen jemandem, der eine Kinderstube hinter sich hat, und einem ehemaligen Kürassier und jetzigen Steuereinnehmer!«

      Es schlug sechs. Binet trat ein.

      Er hatte einen blauen Rock an, der schlaff an seinem mageren Körper herunterhing. Unter dem Schirm seiner Ledermütze blickte ein Kahlkopf hervor, der um die Stirn eingedrückt von dem langjährigen Tragen des schweren Helms aussah. Er trug eine Weste aus schwarzem Stoff, einen Pelzkragen, graue Hosen und tadellos blankgewichste Schuhe, die vorn besonders ausgearbeitet waren, weil er dauernd an geschwollenen Zehen litt. Sein blonder Backenbart war peinlichst gestutzt und umrahmte ihm das lange bleiche Gesicht mit den kleinen Augen und der Adlernase wie eine Hecke den Garten. Er war ein Meister in jeglichem Kartenspiel und ein guter Jäger, hatte eine hübsche Handschrift und besaß zu Hause eine Drehbank, auf der er zu seinem Vergnügen Serviettenringe drechselte. Er hatte ihrer schon eine Unmenge, die er mit der Eifersucht eines Künstlers und dem Geiz des Spießers hütete.

      Binet schritt nach der kleinen Stube zu. Erst mußten dort aber die drei Müllerburschen hinauskomplimentiert werden. Während man drin für ihn deckte, blieb er in der großen Gaststube stumm in der Nähe des Ofens stehen, dann ging er hinein, klinkte die Türe ein und nahm seine Mütze ab. Das hatte alles so seine Ordnung.

      »An übermäßiger Höflichkeit wird der mal nicht sterben!« bemerkte der Apotheker, als er wieder mit der Wirtin allein war.

      »Er redet nie viel«, entgegnete diese. »Vergangene Woche waren zwei Tuchreisende hier, lustige Kerle, die uns den ganzen Abend Schnurren erzählt haben. Ich wäre beinahe umgekommen vor Lachen. Der aber hat wie ein Stockfisch dabeigesessen und keine Miene verzogen.«

      »Ja, ja,« sagte der Apotheker, »der Mensch hat keine Phantasie, keinen Witz, keinen geselligen Sinn!«

      »Er soll aber wohlhabend sein«, warf die Wirtin ein.

      »Wohlhabend?« echote Homais. »Der und wohlhabend!« Und gelassen fügte er hinzu: »Gott ja, so für seine Verhältnisse. Das ist schon möglich!«

      Nach einer kleinen Weile fuhr er fort: »Hm! Wenn ein Kaufmann, der ein großes Geschäft hat, oder ein Rechtsanwalt, ein Arzt, ein Apotheker derartig in seinem Beruf aufgeht, daß er zum Griesgram oder Sonderling wird, so verstehe ich das. Davor gibt es Beispiele und Exempel. Solche Leute haben immerhin Gedanken im Kopfe. Wie oft ists mir nicht selber passiert, daß ich meinen Federhalter auf meinem Schreibtische gesucht habe, um ein Schildchen auszufüllen oder so was, – und weiß der Kuckuck, schließlich hatte ich ihn hinterm rechten Ohre stecken!«

      Frau Franz ging indessen an die Haustür, um nachzusehen, ob die Post noch nicht angekommen sei. Sie war ganz aufgeregt. Da trat ein schwarz gekleideter Mann in die Küche. Das Dämmerlicht beleuchtete sein kupferrotes Antlitz und umfloß seine herkulischen Linien.

      »Was steht dem Herrn Pfarrer zu Diensten?« fragte die Wirtin und nahm vom Kaminsims einen der Messingleuchter, die mit ihren weißen Kerzen in einer wohlgeordneten Reihe dastanden. »Haben Ehrwürden einen Wunsch? Ein Gläschen Wacholder oder einen Schoppen Wein?«

      Der Priester dankte verbindlich. Er kam wegen seines Regenschirmes, den er tags zuvor im Kloster Ernemont hatte stehen lassen. Nachdem er Frau Franz gebeten hatte, ihn gelegentlich holen und im Pfarrhause abgeben zu lassen, empfahl er sich, um nach der Kirche zu gehen, wo schon das Ave-Maria geläutet ward.

      Als die Tritte des Geistlichen draußen verklungen waren, machte der Apotheker die Bemerkung, der Pfarrer habe sich eben sehr ungebührlich benommen. Eine angebotene Erfrischung abzuschlagen, sei seiner Ansicht nach eine ganz abscheuliche Heuchelei. Die Pfaffen söffen insgeheim alle miteinander. Am liebsten möchten sie den Zehnten wieder einführen.

      Die Löwenwirtin verteidigte ihren Beichtvater.

      »Na, übrigens nimmt ers mit vier Mannsen von Eurem Kaliber zugleich auf!« meinte sie. »Voriges Jahr hat er unsern Leuten beim Strohaufladen geholfen. Er hat immer sechs Schütten auf einmal getragen. So stark ist er!«

      »Natürlich!« rief Homais aus. »Schickt nur Eure Mädels solchen Krafthubern zur Beichte! Wenn ich im Staate was zu sagen hätte, dann kriegte jeder Pfaffe aller vier Wochen einen Blutegel angesetzt. Jawohl, Frau Wirtin, aller vier Wochen einen ordentlichen Aderlaß zur Hebung von Sicherheit und Sittlichkeit im Lande!«

      »Aber Herr Apotheker! Sie sind gottlos! Sie haben keine Religion!«

      Homais erwiderte:

      »Ich habe eine Religion: meine Religion! Und die ist mehr wert als die dieser Leute mit all dem Firlefanz und Mummenschanz. Ich verehre Gott. Erst recht tue ich das. Ich glaube an eine höhere Macht, an einen Schöpfer. Sein Wesen kommt hierbei nicht in Frage. Wir Menschen sind hienieden da, damit wir unsre Pflichten als Staatsbürger und Familienväter erfüllen. Aber ich habe kein Bedürfnis, in die Kirche zu gehen, silbernes Gerät zu küssen und eine Bande von Possenreißern aus meiner Tasche zu mästen, die sich besser hegen und pflegen als ich mich selber. Gott kann man viel schöner verehren im Walde, im freien Felde oder meinetwegen nach antiker Anschauung angesichts der Gestirne am Himmel. Mein Gott ist der Gott der Philosophen und Künstler. Ich bin für Rousseaus Glaubensbekenntnis des savoyischen Vikars. Für die unsterblichen Ideen von Anno 1789! Und da glaube ich nicht an den sogenannten lieben Gott, der mit einem Spazierstöckchen in der Hand gemütlich durch seinen Erdengarten bummelt, seine Freunde in einem Walfischbauch einquartiert, jammernd am Kreuze stirbt und am dritten Tage wieder aufersteht von den Toten. Das ist schon an und für sich Blödsinn und obendreim wider alle Naturgesetze! Es beweist aber nebenbei, daß sich die Pfaffen in der schmachvollen Ignoranz, mit der sie die Menschheit verdummen möchten, mir Wollust selber herumsielen.«

      Er schwieg und überschaute seine Zuhörerschaft. Er hatte sich ins Zeug gelegt, als spräche er vor versammeltem Gemeinderat. Die Wirtin war längst aus der Gaststube gelaufen. Sie lauschte draußen und vernahm ein fernes rollendes Geräusch. Bald hörte sie deutlich das Rasseln der Räder und das Klappern eines lockeren Eisens auf dem Pflaster. Endlich hielt die Postkutsche vor der Haustüre.

      Es war ein gelblackierter Kasten auf zwei Riesenrädern, die bis an das Wagendeck hinaufreichten. Sie raubten dem Reisenden jegliche Aussicht und bespritzten ihn fortwährend. Die winzigen Scheiben in den Wagenfenstern klirrten in ihrem Rahmen. Wenn man sie heraufzog, sah man, daß sie vor Staub und Straßenschmutz starrten. Der stärkste Platzregen hätte sie nicht rein gewaschen. Das Fahrzeug war mit drei Pferden bespannt: zwei Stangen- und einem Vorderpferde.

      Vor

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