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Matisse / Матисс. Книга для чтения на немецком языке. Александр Иличевский
Читать онлайн.Название Matisse / Матисс. Книга для чтения на немецком языке
Год выпуска 2006
isbn 978-5-9925-1410-0
Автор произведения Александр Иличевский
Жанр Зарубежная образовательная литература
Серия Russische moderne Prosa
Издательство КАРО
Wie ein Köter, der, in Ungnade gefallen, vom Hof gejagt, wieder vor der heimischen Pforte aufschlägt, trieb es Wadja zurück in den Park vor dem Neujungfrauenkloster. Der Diakon (oder Wärter) war gestorben, seine Frau, Tante Olja, hatte schon das Zeitliche gesegnet, als Wadja noch hier lebte (»Gott hab sie selig!«, unterbrach Wadja feierlich seine Geschichte und bekreuzigte sich langsam und ausladend); ein neuer Pope war da, das Museumspersonal hatte gewechselt, größtenteils gebildete Leute, die mit Aktenmappen unterm Arm geschäftig auf den Wegen hin- und herliefen; Scharen von Nonnen werkelten jetzt überall herum, und die Touristen hatten an Zahl und Lautstärke zugelegt. Einige von ihnen kamen in den Genuss, in Wadjas runden, innigen Redestrom einzutauchen. Doch nicht alle hörten ihm bis zum Schluss zu, sobald ihnen klar wurde, dass er log, dass die Geschichte niemals enden würde.
Nun bettelt Wadja schon seit einem Jahr, länger sogar, mit zwei oder drei Kumpels zaghaft die Ausländer an, steht vor der sonntäglichen Frühmesse und an Feiertagen mit seiner Mütze am Tor, in einigem Abstand zu den doppelstöckigen Reisebussen. Auf das Klostergelände lässt man ihn nicht. Das hat der Leiter des neuen Klosterwachschutzes angeordnet. Das einzige Geschöpf, das sich hier noch an ihn als kleinen Jungen erinnert, ist Baba Warja, die Frau des verstorbenen Heizers, Onkel Serjosha. Sie hat Wadja nicht vergessen, nahm sich seiner etwa ein halbes Jahr an, mal brachte sie ihm Piroggen, mal Zwieback, mal ein Stück vom Osterkuchen, mal ein Einmachglas mit Suppe. Das Glas sammelte sie immer wieder ein, einmal zerschlugen sie es, die Sünde ward ihnen nicht verziehen. Dann wurde sie krank, und ihr Sohn holte sie zu sich nach Woronesh, ins Kernkraftwerk, wo er als Techniker arbeitete. So hat es Wadja auch Nadja und den Kumpels erzählt: Baba Warja sei in die Atomfabrik gefahren und lebe jetzt dort. Genau da, in der Atomfabrik, da fänden solche Menschen Platz, das wäre ja wohl das Mindeste.
Seine Pennerkollegen halten ihn für kirchlich gebildet, schon allein deshalb, weil er hinter den Klostermauern zur Welt gekommen ist. Alles, was auch nur entfernt mit dem Gegenstand der Religiosität zu tun hat, betrachten Obdachlose als heilig.
So vergehen ein Jahr, zwei Jahre – es ist Spätherbst, früh am Morgen, gegen acht Uhr. Ein Nebelschleier hängt über dem Kloster, über der zinnengesäumten Mauer erhebt sich das weiße Sonnenzelt. Ohrenbetäubend zanken sich die Spatzen. Die Menschen hasten durch den Park zur Metro.
Wadja hat sich auf die Bank gesetzt zu einem Jugendlichen, der auf jemanden wartet und ein Buch liest. Nach einiger Zeit hört der Jugendliche auf zu lesen. Er lauscht Wadja.
Auf der Nachbarbank hat sich ein Mann aus seinem Dämmerzustand hochgerappelt, ist zu ihnen herübergewankt und hat sich dazugesetzt, klein, schwach, aufgedunsen. Er streckt die dreckige Hand aus und hält sie auf. Wartet. Nickt, will etwas sagen. Die Hand zittert. Er lässt sie sinken, legt sie auf den Oberschenkel – den Unterarm ausgestreckt zu halten, dazu fehlt ihm die Kraft.
»Bruder«, sagt er zu dem Jungen, »meine Mutter ist gestorben. Hab kein Geld für die Beerdigung.«
Eine Träne läuft ihm über die schmutzige Wange und hinterlässt einen kleinen schmutzigen Fleck.
Der Junge kramt erschrocken ein paar Münzen aus der Tasche, zögert und gibt noch zwei Scheine aus dem Portemonnaie dazu.
Der Mann schläft mit dem Geld in der Hand ein. Seine Finger erschlaffen. Die Münzen klirren. Der Junge schielt hinüber, hebt sie aber nicht auf.
»Tja«, erläutert Wadja, »das ist Koljanytsch. Seine Mutter ist gestorben.«
»Moment mal.« Der junge Mann stutzt. »Was sitzt er dann hier? Wie kann das sein?«
Wadja zuckt mit den Schultern[20].
»Wir saufen seit fünf Tagen. Der kommt gar nicht zu sich.«
»Moment mal. Ist das derselbe Koljanytsch, dem die Frau den Kopf abgesäbelt hat?«
Wadja lächelt erst zufrieden, dann lässt das Lächeln nach, sein Gesicht wird strenger.
»Ganz genau. Eben der. Hier hat er die Narbe.« Wadja fährt sich mit der Handkante quer über den Kehlkopf.
Der junge Mann steht auf und mustert Koljanytsch. Der döst, sein Kopf ist auf die Brust gesunken. Unter seinem Kinn schaut tatsächlich, gleich einer dicken Kordel, eine scheußliche blaurote Narbe hervor. Der junge Mann setzt sich wieder hin, steckt sich hastig eine Zigarette an und hält Wadja das Päckchen hin.
Von zwei Bänken, die auf die Wiese gerückt und deren Sitzflächen zusammengeschoben sind, erhebt sich eine Frau im Wolltuch von ihren Plastiktüten. Sie blickt sich blinzelnd um.
Wadja nimmt ein paar kleine Schlucke, versteckt seine Flasche unter der Jacke, zieht eine Zigarette aus dem Päckchen und beschmutzt dabei mit den Fingern die knochenmarkweißen Filter daneben. Der Junge
19
j-m an den Kragen wollen (
20
mit den Schultern zucken – пожать плечами