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aus. Der Rucksack vergrößerte die Segelfläche, und Wadja wurde zur Seite geblasen wie eine Feder.

      Gelegentlich tauchten am Straßenrand Berge auf. Der Pfad wurde immer steiler, er wunderte sich schon, wie leicht er mit einer solchen Last auf dem steilen Weg fertigwurde. Da stemmte sich ihm der Abhang plötzlich fast in die Brust, und er schwenkte, auf der Suche nach einem Ausweg, auf die Fahrbahn um, die nicht ganz so jäh anstieg, sondern ein sanftgeneigtes Bett in den Hügel schnitt.

      Die Träume endeten alle gleich.

      Wadja stieg den Steilhang hinab zur Straße, die jetzt als Fluss weiterlief, sich dann zu einem Meer ausweitete, der hohe Rucksack warf ihn auf einem Hubbel plötzlich nach hinten, er landete im Wasser und schwamm langsam an der Klippe entlang, die immer höher im Himmel entschwand.

      Oben auf der Klippe stand der Vater und beobachtete, wie sein Sohn schwimmen lernte. Wadja gab sich große Mühe zu schwimmen, obwohl ertrinken einfacher gewesen wäre. Jeder neue Zug war ihm eine Last – bald jedoch fror das Meer zu, nun schwamm er nicht mehr, sondern brach sich durch das immer dicker werdende Eis, schaffte mit Mühe, sich einen Weg freizustoßen. Er wollte, dass der Vater ihn am Rucksack packte, am Schlafittchen, so gut er konnte, ihn emporschwang, einfing, rettete.

      Aber dem Vater gefiel nicht, wie sein Sohn schwamm, und da verließ er Wadja.

      Er winkte einfach und trat von der Klippe weg, dann schritt er, riesig und unsichtbar, über das kahle Feld in den silbernen Wald. Es war Spätherbst, der bei jedem Schritt glitzernde Reif bedeckte das vertrocknete Gras, die Stämme und Äste.

      Geschickt wie ein Tier erklomm der Vater eine Kiefer, bis zum Wipfel, band ein Seil fest, steckte die Füße durch die Schlinge und stürzte sich hinunter.

      Und Wadja blieb unten, eingefroren in das weiße, funkelnde Eis, das sich schon in stacheligen Eisblöcken aufs Ufer zubewegte und den Horizont aufbäumen ließ.

      Hinter dem Wald ging die Sonne unter und ließ langsam ihre Strahlenbündel durch die Baumstämme blicken.

      Die Leiche des Vaters drehte sich ein wenig hin und her, bog sich, rauschte, schälte mit der Wange durchsichtige Schuppen vom Stamm.

      Eine glänzende Krähe kreiste aufmerksam über dem Feld, segelte dicht über dem gefrorenen Acker, besann sich plötzlich, trudelte im Zickzack hinüber zum Wald und setzte sich auf das aufgeklappte Kinn.

      Reglos starrte sie auf den dunkelnden Horizont.

      Und plötzlich hackte sie, eins ums andere, die Augen aus.

      R. W. S. N.* – Revolution, wir schlafen nie

      XXXVI

      »Redste jetzt oder nicht?«

      »Ja.«

      »Schubs doch nicht, hör auf.«

      »Du lieber, lieber Keerl …«

      »Ich hau dich, Nadja!«

      »Hör auf, du bist doch lieb.«

      »Wie kommste denn drauf, dass ich lieb bin, Dummerle? Wie heißen se noch … die Tannen da bei dir? Zypressen?«

      »Ja. Meer. Zypressen. Ein Flugzeug stand auf der Straße. Uuuuhhhh.«

      »Nun hör doch auf zu schubsen. Was hampelste so rum?«

      »Laaasss miiich. Wann schenkste mir Glasperlchen?«

      »Was willste mit Glasperlchen? Verstreust doch alles, verliersts.«

      »Nee, ich werd was mit nähen. Und schenk mir doch Knöpfe.«

      »Jetzt lieg doch endlich still, du …«

      »Ich werd damit nähen. Ich kauf ein Kissen und näh sie drauf …«

      »Von wegen nähen. Ich werd dir was husten, mit deinen Kissen. Red endlich! Erzähl schon!«

      »Das Meer … Am Ufer läufste lang, weit und breit …«

      »Gleich setzts was, dumme Gans!«

      »Am Ufer läufste lang, das Meer singt, Fische liegen da. Riiieesenfische. Sooolche Haauufen! Stiinken wie die Pessst. So Fische habt ihr gar nicht.«

      »Nu erzähl schon. Was biste so geknickt?«

      »Wie, geknickt? Was meinste, Waadeeenka?«

      »Was heulste denn? Flennst rum, na? Warum denn? … Siehste, flennst doch schon wieder! Ist doch alles kein Problem – eins, zwei sind Knöpfe gekauft. Glasperlchen, na die muss man wohl suchen. Aber Knöpfe – hier haste. Komm schon, Dummchen …«

      »Wadja, du Lieber, warum? …«

      XXXVII

      Wadja machte ein Auge auf und kniff es wieder zu. Ein Lichtstrahl schlich an seiner Schläfe entlang und streifte die Wimpern. Im Halbkreis des staubigen, in Sonnenspalten zergliederten Fensters erhob sich der Morgen. Das Fenster ähnelte einem Schaufelrad, das sich mit seinen Platten raschelnd durchs Laub wühlte, und wurde eins mit dem Halbschlaf, tauchte über dem Hauseingang auf, kam über dem Hof, über der Grünanlage ins Rollen und kehrte dann langsam zurück.

      Nadja räkelte sich im Schlaf, brabbelte etwas, heftig und aufgebracht, war dann wieder still.

      Ohne seine Körperhaltung zu ändern, tastete er nach den Zigaretten. Der Rauch wallte auf, lockte sich, rankte in die Höhe und legte sich als Gaze über die Luke zum Treppenhaus.

      Die Asche fiel auf Nadjas Schuh und kullerte unter den Schnürsenkel. Er befeuchtete den Finger, berührte sie, nahm sie auf.

      Er blickte Nadja immer an, wenn sie schlief. Wenn sie wach war, wollte er sie nicht so anschauen.

      Jetzt versank er in Gedanken: Warum sind Tote schöner als Lebende? Weshalb sind ihre Gesichter, wenn sie nicht mehr durch das Mienenspiel von Wünschen, Ängsten, Freude, Gleichgültigkeit oder Zorn verzerrt sind, so viel klüger, bedeutender, schöner, dass man sie zuweilen gar nicht wiedererkennt? Liegt im Tod etwa die Wahrheit?

      Nein, er wusste ganz sicher: Das Leben war wenigstens etwas, jedenfalls mehr als das Loch in einem Gebäckkringel.

      Vielleicht verschwinden wichtige Säfte aus Wangen, Muskeln, Stirn und Kinn? Oder wie das Meer bei Windstille besser als bei Seegang, so spiegelt das tote Gesicht den inneren Himmel besser wider?

      Wadja kniff die Augen zu, zwang sich dann aber, sie wieder zu öffnen. Er konnte sich Nadja nicht tot vorstellen. Statt ihrer lag vor seinen Augen kein Dummchen, sondern eine fremde Schönheit.

      Er schaute aus dem Fenster. Versuchte weiter nachzudenken.

      Blöd, dass er sie beschimpft. Blöd, dass er sie anschreit. Und völlig sinnlos, dass er sich deswegen Vorwürfe macht. Dadurch schreit er sie nur noch mehr an.

      Wadja hatte keinen Vergleich, doch ihm schien, dass das Nachdenken bei ihm ganz gut klappte. Er glaubte, das lag nicht nur an seinem Kopf, sondern auch an der Geschicklichkeit seines ganzen eher kleinen Körpers und der großen Hände, die er wie versuchsweise an die Stirn hob und zur Schläfe führte. Es war schwer auszudrücken – bemüht, noch ein bisschen weiterzudenken, bewegte er versuchsweise die Lippen, als würde er mithelfen, einen daran festklebenden, schwerelosen Fussel auf die Zunge zu saugen. Das Denken begann für ihn immer mit etwas, das gerade zur Hand war, und entwickelte sich über den Zusammenklang des Körpervolumens mit seiner direkten Umgebung, über eine gewisse Reichweitenstrahlung, die dem Körper erlaubte, sich auf Gebiete auszudehnen, die derart entfernt waren, dass dort, am Rand, Rückströmungen der Zeit erfasst wurden. Wadja war der Meinung, dass sich Raum und Zeit nur hier – um Arme, Augen, Beine herum – aneinander rieben. Weiter davon entfernt drückten sie sich vor ihrem Joch, schlugen Kapriolen, die mal in die Kindheit, mal zu den Toten führen konnten.

      Den Morgen widmete Wadja stets dem Raumzuwachs. Das Denken, das sich wie eine funkelnde, fließende Blase bewegte, betrachtete er mit Ehrfurcht, als auserlesenes Vergnügen. So nannte er das Denken insgeheim auch: Traum.

      Ihm gefiel das Wort an sich, doch sein landläufiger Wesenskern war schwer zu greifen. In seiner Kindheit hatte er oft den Film über einen

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