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um in der großen Schlacht um den Ring zu kämpfen. Während Gareth seines Weges zog bemerkte er die verkohlten Körper von Andronicus Männern, die die Straße säumten und wusste, dass die Schlacht hier im Süden schon geschlagen worden war. Gareth ging weiter in Richtung Süden. Sein Instinkt trieb ihn zurück nach King’s Court – oder was davon noch übrig war. Er wusste, dass Andronicus Männer die Stadt verwüstet hatte, dass sie höchstwahrscheinlich in Trümmern lag, doch er wollte nach King’s Court zurück. An den Ort, den alle anderen aufgegeben hatten. Den Ort, an dem er, Gareth, einst geherrscht hatte.

      Nachdem er tagelang gewandert war, schwach und verwirrt vor Hunger, kam Gareth endlich an den Rand des Waldes und sah King’s Court in der Ferne. Da lag es – und die Mauern standen noch immer, zumindest zu Teil, auch wenn sie verkohlt waren und verfielen. Überall lagen die Leichen von Andronicus Männern herum, ein Beweis, dass Thor hier gewesen war. Davon abgesehen lag es verlassen, und außer dem Pfeifen des Windes war nichts zu hören.

      Das war Gareth gerade recht. Er wollte nicht in die Stadt gehen. Er wollte zu einem kleinen, versteckten Gebäude außerhalb der Stadt, einem Ort, an den er als Kind immer gerne gekommen war. Ein rundes Gebäude aus Marmor, das sich nur wenige Meter über dem Boden erhob mit kunstvoll verzierten Statuen auf dem Dach. Es war die Gruft der MacGils. Der Ort an dem sein Vater begraben worden war – und dessen Vater vor ihm.

      Gareth war sich sicher, dass die Gruft nicht zerstört worden war. Wer würde sich schon die Mühe machen, ein Grab anzugreifen? Es war der eine Ort, an dem niemand nach ihm suchen würde und an dem er Unterschlupf finden konnte. Ein Ort, an dem er sich verstecken konnte und in Ruhe gelassen wurde. Ein Ort, an dem er mit seinen Vorfahren alleine sein konnte. So sehr Gareth seinen Vater auch hasste so sehr wollte er ihm in diesen Tagen nahe sein.

      Gareth eilte über das offene Feld; ein kalter Windstoß ließ ihn erschaudern und er zog den verschlissenen Mantel enger um seine Schulter. Er hörte den schrillen Ruf eines Wintervogels und sah die große, furchteinflößende schwarze Kreatur, die über ihm kreiste und mit jedem Ruf erwartete, dass er zusammenbrach und ihr nächstes Mahl wurde. Gareth konnte es ihr nicht verübeln. Er hatte kaum mehr Kraft und war sich sicher, dass er eine erstklassige Mahlzeit für den Vogel darstellen würde.

      Endlich erreichte Gareth das Gebäude, griff den schweren eisernen Türgriff mit beiden Händen und drückte ihn mit beiden Händen nach unten. Die Welt drehte sich um ihn und er war vor Erschöpfung schon fast im Delirium. Die Türe öffnete sich einen Spalt weit, und er musste all seine Kraft aufzubringen, sie weiter aufzuziehen.

      Gareth eilte in die Finsternis und zog die schwere Tür hinter sich zu. Der Klang hallte im alten in dem alten Gemäuer lang nach.

      Er griff in der Finsternis nach einer Fackel an der Wand – er wusste genau, wo sie befestigt war, schlug einen Feuerstein und entzündete sie. Sie gab gerade genug Licht, damit er die Stufen hinabsteigen konnte, immer tiefer in Finsternis hinab. Es wurde immer kälter und zugiger je tiefer er kam, der kalte Winterwind fand seinen Weg durch die schmalsten Ritzen. Er hatte das Gefühl, dass seine Vorfahren ihn anheulten, ihn tadelten.

      „LASST MICH IN RUHE!“ schrie er zurück.

      Seine Stimme hallte von den Wänden der Gruft wieder.

      „IHR WERDET EUREN PREIS SCHON FRÜH GENUG BEKOMMEN!“

      Doch der Wind blies weiter.

      Gareth war wütend und stieg tiefer hinab, bis er endlich die große marmorne Kammer mit ihrer drei Meter hohen Decke erreichte, in der all seine Vorfahren in marmornen Sarkophagen lagen. Gareth durchschritt feierlich den Raum, auf die gegenüberliegende Seite zu, wo sein Vater lag. Seine Schritte hallten vom marmornen Boden und den Wänden wider.

      Der alte Gareth hätte den Sarkophag seines Vaters zertrümmert. Doch plötzlich begann er, so etwas wie Zuneigung ihm gegenüber zu spüren. Er konnte es kaum verstehen. Vielleicht ließ die Wirkung des Opiums nach; oder vielleicht war es auch, weil er wusste, dass er selbst bald tot sein würde.

      Gareth erreichte den großen Sarkophag und beugte sich darüber. Er legte seinen Kopf auf den kalten Stein und bemerkte überrascht, dass er weinte.

      „Ich vermisse dich Vater“, weinte er, und seine Stimme hallte in der Einsamkeit der Gruft.

      Er weinte und weinte, Tränen liefen ihm über das Gesicht, bis schließlich seine Beine müde wurden und er erschöpft zusammensank und an das Grab seines Vaters gelehnt am Boden saß. Der Wind heulte, als ob er ihm antworten wollte und Gareth legte seine Fackel nieder, die immer schwächer brannte – eine winzige Flamme, die von der Schwärze umfangen wurde. Gareth wusste, dass bald alles Finster sein würde und dass er bald bei denen sein würde, die er am meisten liebte.

      KAPITEL FÜNF

      Steffen wanderte still den einsamen Waldweg entlang und entfernte sich langsam vom Tower of Refuge. Es brach ihm das Herz, Gwendolyn dort zurückzulassen, die Frau, die er mit seinem Leben zu beschützen geschworen hatte. Ohne sie war er nichts. Seitdem er sie getroffen hatte, hatte er das Gefühl gehabt, endlich einen Sinn für sein Leben gefunden zu haben: Über sie zu wachen, und sein Leben den Dienst an ihr zu widmen, dafür, dass sie ihm, einem einfachen Diener, erlaubt hatte sich über alle Ränge und Stände hinweg zu erheben; doch am meisten dafür, dass sie die erste Person in seinem Leben war, die ihn nicht für seine Erscheinung verabscheute und unterschätzte.

      Steffen hatte ein Gefühl von Stolz verspürt, dafür, dass er ihr geholfen hatte, den Tower sicher zu erreichen. Doch sie dort zurückzulassen, ließ ihn eine tiefe Leere spüren. Wohin sollte er nun gehen? Was sollte er tun?

      Ohne Gwendolyn zu beschützen schien sein Leben wieder einmal ohne Ziel. Er konnte nicht nach King’s Court zurückgehen oder nach Silesia. Andronicus hatte beide geschlagen, und er erinnerte sich an die Zerstörung, die er gesehen hatte, als sie aus Silesia geflohen waren. Das letzte, an das er sich erinnerte war, dass sein gesamtes Volk gefangen oder versklavt worden war. Zurückzukehren war sinnlos. Außerdem wollte Steffen den Ring nicht noch einmal durchqueren und so weit von Gwendolyn fort gehen.

      Daher lief er stundenlang recht ziellos umher, folgte den Waldwegen und versuchte seine Gedanken zu sammeln, bis ihm endlich einfiel, wohin er gehen konnte. Er folgte der Landstraße gen Norden, einen Hügel hinauf, und von dort aus entdeckte er eine kleine Stadt, die in der Ferne an einen anderen Hügel geschmiegt lag. Er ging in diese Richtung, und als er sie erreichte, sah er, dass die Stadt alles hatte, was er brauchte: Einen perfekten Blick auf den Tower of Refuge. Wenn Gwendolyn ihn jemals verlassen würde, wollte er sicher sein, dass er in der Nähe war um sie zu begleiten und sie zu beschützen. Seine Treue galt ihr. Nicht einer Armee oder einer Stadt, sondern ihr. Sie war alles, was er hatte.

      Als Steffen in dem kleinen, bescheidenen Ort ankam, entschied er sich, dort zu bleiben, wo er immer den Tower sehen konnte und ein Auge auf sie haben konnte. Als er durch die Tore kam, sah er einen unauffälligen, armen Ort, ein kleines Städtchen am Rande des Rings, so versteckt im Südlichen Wald, dass Andronicus Männer sich nicht einmal die Mühe gemacht hatten, hierher zu kommen.

      Steffen kam unter den Blicken von dutzenden von Dorfbewohnern an, in ihren Gesichtern spiegelte sich Ignoranz und der Mangel an Mitgefühl wider. Sie starrten ihn mit weit aufgerissenen Mündern und der wohlbekannten Verachtung und Spott im Blick an, den er von Geburt an kannte. Als sie ihn betrachteten, konnte er es ihn ihren Blicken sehen.

      Steffen wollte umkehren und davonlaufen, doch er zwang sich zu bleiben. Er musste um Gwendolyns Willen in der Nähe des Towers bleiben, und er würde alles dafür tun. Ein Dorfbewohner, ein korpulenter Mann in den Vierzigern, der wie die anderen in Lumpen gekleidet war, kam auf ihn zu.

      „Was haben wir denn hier? Eine Art von verunstaltetem Männchen?“

      Die anderen lachten, und kamen näher.

      Steffen blieb ruhig; er hatte diese Art der Begrüßung erwartet – so war er schon sein ganzes Leben lang begrüßt worden. Er hatte festgestellt, je provinzieller die Leute waren, umso mehr Freude schienen sie daran zu finden, sich über ihn lustig zu machen.

      Steffen versicherte sich, dass sein Bogen über seine Schulter hing, für den Fall, dass diese Dorfbewohner nicht nur brutal mit ihren Worte waren, sondern

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