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er draußen gedacht hatte. Er sah, daß er an demselben Tisch saß, an dem er vor zwei Tagen mit Kate Hegström gesessen hatte. Nebenan wurde ein anderer Tisch frei. Er rückte nicht hinüber. Es war gleichgültig, ob er an diesem Tisch saß oder am nächsten – es half Kate Hegström nicht.

      Was hatte Veber einmal gesagt? Weshalb regen Sie sich auf, wenn eine Operation hoffnungslos ist? Man tut, was man kann, und geht nach Hause. Er hörte die Stimme Joan Madous vom Orchester her. Kate Hegström hatte recht gehabt – es war eine erregende Stimme.

      «Wie gefällt sie Ihnen?»

      «Wer?» Ravic stand auf. Der Manager stand neben ihm. Er machte eine Bewegung zu Joan Madou hinüber.

      «Gut. Sehr gut.»

      Der Manager ging weiter. Ravic blickte ihm nach und griff nach seinem Glas. Das Orchester begann einen Tango zu spielen.

      Joan Madou erhob sich und ging zwischen den Tischen hindurch. Sie mußte einige Male warten, weil die Paare zur Tanzfläche gingen. Ravic sah sie an, und sie sah ihn an. Ihr Gesicht verriet keine Überraschung. Sie ging gerade auf ihn zu. Er stand auf und schob den Tisch beiseite. Ein Kellner kam, um ihm zu helfen. «Danke», sagte er, «das mache ich schon allein. Wir brauchen nur noch ein Glas.»

      Er rückte den Tisch wieder zurecht und füllte das Glas, das der Kellner brachte. «Das ist Wodka hier», sagte er. «Ich weiß nicht, ob Sie das trinken.»

      «Ja. Wir haben es schon einmal getrunken. In der Belle Aurore.»

      «Richtig.»

      Wir waren auch schon einmal hier, dachte Ravic. Vor einer Ewigkeit. Vor drei Wochen. Jetzt … «Salute», sagte er. Ein Schein flog über ihr Gesicht. Sie lachte nicht; ihr Gesicht wurde nur heller. «Das habe ich lange nicht gehört», sagte sie. «Salute.» Er trank sein Glas aus und sah sie an. Die hohen Brauen, die weit auseinanderstehenden Augen, der Mund – alles, was früher verwischt und einzeln und ohne Zusammenhang gewesen war, hatte sich auf einmal versammelt zu einem hellen, geheimnisvollen Gesicht, einem Gesicht, dessen Geheimnis seine Offenheit war. Es versteckte nichts und gab dadurch nichts preis. Warum habe ich früher das nicht gesehen, dachte er. Aber vielleicht war es damals nicht da.

      «Haben Sie eine Zigarette?» fragte Joan Madou.

      «Nur die algerischen. Die mit dem schweren, schwarzen Tabak.»

      Ravic wollte dem Kellner winken. «Sie sind nicht zu schwer», sagte sie. «Sie haben mir schon einmal eine gegeben. Am Pont de l’Alma.»

      «Das ist wahr.»

      Es ist wahr, und es ist nicht wahr, dachte er. Damals warst du nicht du; da ist noch manches andere zwischen uns gewesen, und plötzlich ist nichts mehr davon wahr. «Ich war schon einmal hier», sagte er.

      «Vorgestern.»

      «Ich weiß es. Ich habe Sie gesehen.»

      Sie fragte nicht nach Kate Hegström. Sie saß ruhig und entspannt in der Ecke und rauchte. Dann trank sie, ruhig und langsam. Sie hatte plötzlich Wärme und eine selbstverständliche, sichere Gelassenheit.

      Die Karaffe Wodka war leer. «Wollen wir das weiter trinken?» fragte Ravic.

      «Was war es, das Sie mir damals zu trinken gegeben haben?»

      «Wann? Hier? Ich glaube, wir haben da eine Menge durcheinander getrunken.»

      «Nein. Nicht hier. Am ersten Abend.»

      Ravic dachte nach. «Ich weiß es nicht mehr. – War es nicht Kognak?»

      «Nein. Es sah aus wie Kognak, aber es war etwas anderes. Ich habe versucht, es zu bekommen, aber ich habe es nicht gefunden.»

      «Warum? War es so gut?»

      «Nicht deshalb. Es war das Wärmste, was ich je in meinem Leben getrunken habe.»

      «Wo haben wir es getrunken?»

      «In einem kleinen Bistro in der Nähe des Arc. Man mußte ein paar Stufen hinuntergehen. Es waren Chauffeure da und ein paar Mädchen.»

      «Ah, ich weiß. Es wird Calvados gewesen sein. Apfelschnaps aus der Normandie. Haben Sie den schon versucht?»

      «Ich glaube nicht.»

      Ravic winkte dem Kellner. «Haben Sie Calvados?»

      «Nein. Leider nicht.»

      «Zu elegant hier dafür. Es wird also Calvados gewesen sein. Schade, daß wir es nicht herausfinden können. Am einfachsten wäre, noch einmal in die Kneipe zu gehen. Aber das können wir ja jetzt nicht.»

      «Warum nicht?»

      «Müssen Sie nicht hierbleiben?»

      «Nein. Ich bin fertig.»

      «Gut. Wollen wir gehen?» – «Ja.»

      Ravic fand die Kneipe ohne Mühe. Sie war ziemlich leer. Der Kellner hat sie erkannt. Er wischte die Tisch ab. «Ein Fortschritt», sagte Ravic. «Das hat er damals nicht gemacht.»

      «Nicht diesen Tisch», sagte Joan. «Den dort.»

      Ravic lächelte. «Sind Sie abergläubisch?»

      «Manchmal.»

      Der Kellner stand neben ihnen. «Stimmt», sagte er. «Damals haben Sie auch hier gesessen.»

      «Erinnern Sie sich noch daran?»

      «Genau.»

      «Sie sollten General werden», sagte Ravic. «Mit so einem Gedächtnis.» «

      «Ich vergesse nie etwas.»

      «Wissen Sie auch noch, was wir damals getrunken haben?»

      «Calvados», sagte der Kellner ohne lange zu denken.

      «Gut. Das wollten wir jetzt wieder trinken.»

      Ravic wandte sich an Joan Madou.

      «Wie einfach sich manchmal Probleme lösen! Jetzt werden wir sehen, ob er auch noch genauso schmeckt.»

      Der Kellner brachte die Gläser.

      «Doppelte. Sie bestellten damals doppelte Calvados.»

      «Wissen Sie auch noch, wie wir angezogen waren?»

      «Regenmantel. Die Dame trug ein Béret de Basque.»

      «Sie sind zu schade hier. Sie gehören in ein Varieté.»

      «War ich doch», erwiderte der Kellner erstaunt.

      «Zirkus. Habe ich Ihnen doch erzählt. Haben Sie das denn vergessen?»

      «Ja. Zu meiner Schande, ja.»

      «Der Herr vergißt leicht», sagte Joan Madou zu dem Kellner. «Er ist ein Künstler im Vergessen. So wie Sie ein Künstler im Nichtvergessen.»

      Ravic blickte auf. Sie sah ihn an. Er lächelte.

      «Und jetzt wollen wir den Calvados versuchen. – Salute!»

      «Salute!»

      Der Kellner blieb stehen.

      «Was man vergißt, das fehlt einem später im Leben, mein Herr», erklärte er.

      Das Thema war für ihn noch nicht erschöpft .

      «Richtig. Und was man nicht vergißt, macht es einem zur Hölle.»

      «Mir nicht. Es ist ja vorbei. Wie kann es einem da das Leben zur Hölle machen?»

      Ravic blickte auf. «Gerade deshalb, Bruder. Aber Sie sind ein glücklicher Mensch, nicht nur ein Künstler. Ist der gleiche Calvados?» fragte er Joan Madou. – «Er ist besser.» Er sah sie an. Eine leichte Wärme stieg ihm in die Stirn. Er wußte, was sie meinte. Sie saß in der kahlen Kneipe, als wäre sie zu Hause. Er sah, daß sie ihr Glas ausgetrunken hatte.

      «Alle Achtung», sagte er. «Das war ein doppelter Calvados. Wollen Sie noch einen?»

      «Ja. Wenn Sie Zeit haben.»

      Warum sollte ich keine Zeit haben, dachte er. Dann fiel ihm ein, daß sie ihn das letztemal mit Kate Hegström gesehen hatte. Er blickte auf.

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