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in Ehren!

Sestine

      Wer säumt, die herbe Schlehe hinzugeben,

      Wird ihm die süße Traube dargeboten?

      So tauschen heißt fürwahr, ein Fest begehen. —

      Auch mir ist solch ein schönes Loos gefallen:

      Drum laß’ ich jetzt die Lust, die nektarreiche,

      Durch der Sestine Echopforten ziehen.

      Wohl manches Jahr sah ich vorüberziehen,

      Seit ich antiker Dichtung mich ergeben!

      Nur Hellas Rhythmus konnte mir gefallen,

      Der Mythen Sprache, ha! die bilderreiche;

      Mit Sprea’s Schwan, der mir den Gruß geboten,

      Mocht’ ich so gern im Tempel mich ergehen.

      Doch endlich sollte diese Nacht vergehen,

      Herauf ein helles Morgenroth mir ziehen,

      Vom Auge sollten mir die Schuppen fallen,

      Des argen Wahnes sollt’ ich mich begeben,

      Daß Poesie die höchste Stuf’ erreiche,

      Wenn Griechheit drin die Kräfte aufgeboten.

      Dich sah ich, Tieck, den leichtbeschwingten Boten

      Aus Südens Zone, der Romantik Reiche,

      Im blüthenvollen Frühlingswalde gehen:

      Da lag mir das Antike schnell zerfallen!

      Mit Dir, mit Dir mußt’ ich den Wald durchziehen,

      Und Deines Liedes Zauber mich ergeben.

      O, könnt’ ich halb den Ton nur wiedergeben,

      Den Ton, geschaffen, tief ins Herz zu gehen,

      Den Du im „Octavianus“ ließest fallen!

      Der Märchenwelt, der herrisch Du geboten,

      O könnt’ ich meine Muse ihr erziehen,

      Aufschließen Wunder in dem Wunderreiche!

      Umsonst! ich bin nicht mehr der Jugendreiche,

      Dem Irrlicht hab’ ich meinen Lenz gegeben!

      Die Furche naht, die Stirn mir zu beziehen,

      Die Locke will zur Bleichung übergehen.

      Dir nachzujagen ist mir drum verboten;

      Mein Schloß der Phantasie steht fast verfallen.

      So oft des Lenzes Boten aber ziehen,

      Und Blüthen fallen, will zum Wald’ ich gehen,

      Und Deine reiche Dichtung neu mir geben.

Friedrich Raßmann.

      Raumer, Karl v

      Geb. am 9. April 1783 zu Wörlitz; zur Zeit der bekannten Turnstreitigkeiten Professor in Breslau; seit 1827 an der Universität in Erlangen; gelehrter und berühmter Verfasser zahlreicher geognostischer und geographischer Werke; auch einer Geschichte der Pädagogik, 3 Bde. (2 Aufl. 1846–52.)

      Da wir leider keinen Brief seines Bruders Friedrich mehr vorfanden, weil diesem vertrautesten Freunde Tiecks sämmtliche Blätter von seiner Handschrift geziert zu eigner Verwendung zurückgestellt wurden, so wären an und für sich diese beiden Schreiben des Herrn Prof. Karl von Raumer schon höchst willkommen gewesen, damit solch’ hochgeachteter Name in der Sammlung nicht fehle. Doppelter Gewinn ist es nun, daß die Zuschrift von 1832 durch ihren tiefen Gehalt unschätzbaren Werth besitzt, und zu einem der anziehendsten Stücke im bunten Gemisch so verschiedenartiger Expektorationen wird.

      Für diejenigen, welche den Familienverhältnissen fremd blieben, sei noch erwähnt, daß Frau von Raumer, eine Tochter Reichardt’s, die Schwester der verstorbenen Johanna Steffens, und daß Ludwig Tiecks Gemahlin ihrer Mutter Schwester war.

      I

Erlangen d. 26ten Obr. 1832.

      Liebster T., was mußt Du und die gute Tante von mir denken, daß ich schon mehrere Wochen zu Hause bin, ohne ein freundliches Wort über Eure so überaus freundliche Aufnahme zu schreiben. Doch denke ich, Ihr müßt mirs angemerkt haben, wie mir bei Euch so wohl war, da ich, nach dem überaus unruhigen Leben in Berlin, wieder allmählig still wurde. – Ja danke Dir, liebster T., daß Du mir so viel Zeit schenktest; mögen wir auch über manches verschieden denken, ich fühlte doch, daß ich mit Dir getrost und friedlich auch über die Differenzpunkte sprechen könnte. Ja ich fühle eine Sehnsucht, den Gedankenstrich auszufüllen, den wir am ernsten Schluß eines Abendgesprächs machten – und welcher Schluß ist denn wohl ganz geschlossen? welcher ist nicht der Prolog eines spätern Stücks! – Ich schreibe nun freilich so spät, weil ich hier viele Geschäfte vorfand, weil eine vortreffliche Frau aus unserer Bekanntschaft starb – doch der wahre Grund ist, daß ich immer damit umgieng, durch einen langen Brief jenen Gedankenstrich zu ersetzen, dazu kam ich aber nicht und komme ich auch jetzt nicht.

      Ich kenne Dich und Deine Werke nun schon seit 30 Jahren, und darf sagen: ich kenne Dich nicht wie ein kühler Leser, sondern ich habe Dich innig lieb gewonnen. Deine Dichtungen haben in mein Leben eingegriffen und mich selbst auf die einsamsten Gebirgsreisen begleitet. Deine Vorlesung des Alten vom Berge war recht geeignet Alles zur Sprache zu bringen, was ich zu besprechen auf dem Herzen hatte: den Zauber der Natur, die Gewalt der Sünde, den Scheideweg zur Verzweiflung oder zur Gnade. Du hast so tief in den schauderhaften Abgrund des menschlichen Daseyns geblickt.

      Wohl dem den tief die heilgen Schmerzen trafen,

      Die tief im Weltall schlafen.

      Der Schmerz über das verlorene Paradies erweckt die Sehnsucht nach dem neuen, nach dem Erlöser. – Immer muß ich Dich wieder fragen, warum müssen kraft Deiner Prädestination so viele Kinder Deines Geistes verloren gehn – Tannhäuser, Ekbert, Walter, Christian, der Alte vom Berge &c. Warum hast Du nicht – Gott ähnlich – keinen Gefallen am Tode des Sünders, sondern willst daß er lebe? Ich kann der Berufung auf die innere Nothwendigkeit des Individuums nicht beipflichten. Kannst Du mit Gewißheit von einem lebenden Menschen sagen: er falle der Hölle anheim!? Wer ergründet die Kraft der Gnade, die sich (scheinbar inconsequent) des Schächers am Kreuze erbarmte, wer begreift die Intensität der Sterbestunde, welche viele lange matte Jahre aufwiegt. Ja die Gnade, welche blutrothe Sünde schneeweiß macht, spottet alles poetischen Calculs der Consequenz, auch der Dichter kann von seinen Menschen nicht sagen: sie seyen verdammt. Winchester auf dem Sterbebette ist eine furchtbare Ausnahme – das Tragischste, was ich kenne, denn da spielt das Stück über den 5ten Act hinüber in die Ewigkeit. Hiernach dürfte nach christlichen Principien der Aesthetik entschieden werden, was Tragödie und tragisch sey. (Divina Comedia dagegen.)

      Ich vergas auch mit Dir über Deine „Verlobten“ zu sprechen, oder verschob es auch mit, besorgt Du möchtest mich selbst zu den Pietisten rechnen. Ich meine die falschen Pietisten kommen bei Dir viel zu gut weg, die aufrichtigen Christen aber schon dadurch schlimm, daß sie vom Publicum (wie ichs erfahren) mit jenen falschen Deiner Verlobten in eine Klasse gestellt werden. Gegen eine solche Interpretation diente eine getreue Charakterschilderung eines ehrlichen Christenmenschen als die beste Widerlegung. —

      Das Wichtigste worüber ich mit Dir sprechen möchte, bleibt der Gegensatz von Natur zu Gnade, Geburt und Wiedergeburt. (Joh. 3. Nikodemus.) Der Teufel macht uns weiß, daß mit dem Absterben des alten Menschen die schönsten Gottesgaben verloren giengen – als wenn Sonne und Mond und Sterne für den verloren giengen, der sich von Anbetung derselben zur Anbetung Gottes wendet. Im Gegentheil wird durch Christus die Naturgabe verklärt, geheiligt ja unsterblich – während auch die größte Gabe, ohne solche Wiedergeburt, wie eine Blume des Feldes blüht und verwelkt. Geister wie Seb. Bach, Kepler, Eyk &c. trösten am besten und zeigen den Weg. —

      Doch genug mein liebster T., nimm dies als eine flüchtige Andeutung dessen, worüber ich eben gern gesprochen hätte. Du bist zu tief, als daß Du Dich selbst mit

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