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längst verbraucht war, aber mein Vater brachte nie den Mut auf, energisch weitere Zahlung zu fordern. Wenn er davon anfing, so schnob der Kapitän so heftig durch die Nase, daß es wie ein Gebrüll klang, und jagte meinen armen Vater mit fürchterlichen Blicken aus dem Zimmer. Ich sah ihn nach einem solchen vergeblichen Versuch die Hände ringend hinauseilen, und bin überzeugt, daß der Ärger und Schrecken, die er auszustehen hatte, sein frühes und unglückliches Ende sehr beschleunigt haben.

      Solange der Kapitän bei uns lebte, wechselte er nie seine Kleidung, bis auf die Strümpfe, die er bei einer vorüberkommenden Hökerin kaufte. Als einmal ein Windstoß eine seiner Hutfedern knickte, ließ er sie in der Folge herunterhängen, obwohl das sehr unbequem war, wenn es blies. Ich erinnere mich noch genau an seinen Rock, den er oben auf seinem Zimmer selbst flickte und der zuletzt nur noch aus Flecken bestand. Er schrieb weder, noch bekam er je einen Brief, und sprach selbst mit den Nachbarn fast nur dann, wenn er betrunken war. Niemand von uns sah jemals den großen Kajütenkoffer geöffnet.

      Nur ein einziges Mal stieß er auf Widerspruch, und das war ganz am Schluß, als mein armer Vater schon gänzlich darniederlag. Dr. Livesay kam einmal spät am Nachmittag, den Kranken zu besuchen, meine Mutter trug ihm etwas Essen auf und er trat in die Gaststube, um seine Pfeife zu rauchen, bis man sein Pferd aus dem Dorfe geholt hatte, denn wir hatten im „Admiral Benbow“ keine Stallungen. Ich ging mit ihm hinein und erinnere mich, daß mir der Gegensatz auffiel, der zwischen dem nett gekleideten, heiteren Doktor mit seinem schneeweißgepuderten Haar, den lebhaften schwarzen Augen und dem liebenswürdigen Wesen und den derben, plumpen Landleuten herrschte, vor allem aber zu der schmierigen, häßlichen Vogelscheuche von einem Piraten, der in ziemlich vorgeschrittener Rumstimmung, mit den Ellenbogen auf dem Tisch, breitspurig dasaß. Da begann er plötzlich – der Kapitän, meine ich – sein Lied zu gröhlen:

      Fünfzehn Mann auf des toten Manns Kiste

      Jo-ho-ho und ein Fläschchen Rum,

      Schnaps stand stets auf der Höllenfahrtsliste

      Jo-ho-ho und ein Fläschchen Rum.

      Anfangs dachte ich immer, „des toten Manns Kiste“ müsse derselbe große Koffer sein, oben im vorderen Zimmer, und in meinen Angstträumen hatte ich diesen Gedanken mit dem einbeinigen Seemann in Zusammenhang gebracht. Aber inzwischen hatten wir längst aufgehört, den Text des Liedes irgendwie zu beachten, und an diesem Abend war er nur für Dr. Livesay neu, und auf den schien er keinen guten Eindruck zu machen, denn er blickte ganz ärgerlich auf, ehe er sein Gespräch mit dem alten Gärtner Taylor über eine neue Rheumatismuskur fortsetzte. Indessen erheiterte sich der Kapitän allmählich an seiner eigenen Musik und schließlich schlug er heftig mit der Faust auf den Tisch. Alle wußten, das hieß: Ruhe! Alle Stimmen schwiegen sofort bis auf die des Dr. Livesay, der in seiner klaren, liebenswürdigen Art zu sprechen fortfuhr und dabei ruhig weiterrauchte. Der Kapitän starrte ihn eine Weile an, dann schlug er wieder mit der Faust auf den Tisch, starrte schärfer, und schließlich brach er mit einem scheußlichen, gemeinen Fluch in die Worte aus: „Ruhe, Ihr da drüben.“

      „Habt Ihr mit mir gesprochen, Herr?“ sagte der Doktor. Und als der brutale Kerl das mit einem neuerlichen Fluch bejahte, antwortete er: „Ich habe Euch nur eines zu sagen, Herr! Wenn Ihr so weiter Rum sauft, wird die Welt bald einen sehr dreckigen Lumpen los sein!“

      Der Alte geriet in entsetzliche Wut. Er sprang auf, öffnete sein Matrosenschnappmesser, wog es auf der flachen Hand und drohte, den Doktor damit an die Wand zu spießen.

      Der Doktor rührte sich nicht einmal. Wie früher sprach er mit unbewegter Stimme über die Achsel hin zu ihm, ziemlich laut, so daß der ganze Raum es hören konnte, aber durchaus ruhig und fest:

      „Wenn Ihr das Messer nicht augenblicklich in die Tasche steckt, so verspreche ich Euch bei meiner Ehre, daß Ihr bei der nächsten Gerichtssession hängen werdet.“

      Dann kreuzten sich lange ihre Blicke, aber der Kapitän wich bald, setzte sich wieder auf seinen Platz, steckte sein Messer ein und knurrte dazu wie ein geschlagener Hund.

      „Und nun, Herr,“ begann der Doktor abermals, „da ich nun weiß, daß sich ein solcher Kerl in meinem Kirchspiel aufhält, könnt Ihr darauf rechnen, daß Ihr stets gut beobachtet bleiben werdet. Denn ich bin nicht bloß Arzt, ich bin auch Amtsperson. Und wenn mir auch nur eine einzige Klage über Euch zu Ohren kommt, und sei es auch nur wegen einer Unhöflichkeit wie die heute Abend, so werde ich wirksame Mittel finden, Euch zu packen und davonzujagen. Das genügt vorläufig.“

      Da wurde auch schon Doktor Livesays Pferd gebracht und er ritt nach Hause. Aber der Kapitän hielt an diesem Abend und noch an manch fernerem Ruhe.

      Zweites Kapitel

Der schwarze Hund erscheint und verschwindet wieder

      Nicht lange nach diesem Vorkommnis ereignete sich die erste der seltsamen Begebenheiten, die uns schließlich vom Kapitän, wenn auch nicht von seinen Angelegenheiten befreiten. Es war ein bitterkalter Winter mit langen, harten Frösten und heftigen Böen, und es war klar, daß mein armer Vater kaum den Frühling erleben würde. Er schwand immer mehr dahin, und meine Mutter und ich hatten den Gasthof allein zu führen und mußten so fleißig schaffen, daß wir uns um unseren unangenehmen Gast wenig kümmerten.

      Es war sehr früh an einem Januarmorgen, ein stechend kalter Morgen, die Bucht hing voll Rauhreif, die Wellen kräuselten sich sanft, die Sonne stand noch tief, beschien bloß die Spitzen der Hügel, und weit draußen auf der See lag ihr Widerschein. Der Kapitän war zeitiger als sonst aufgestanden und die Bucht hinuntergewandert, sein Entermesser bewegte sich unter den breiten Schößen seines alten, blauen Rockes hin und her, sein Messingfernrohr hatte er unterm Arm, den Hut schief auf dem Kopfe. Ich erinnere mich, wie sein Atem als schwache Rauchsäule hinter ihm aufstieg, als er fortschlenderte, und als er um den großen Felsen bog, hörte man ein lautes, erzürntes Schnauben, als dächte er gerade an Dr. Livesay.

      Nun, meine Mutter war oben beim Vater und ich deckte eben den Frühstückstisch für den Kapitän, als sich die Tür öffnete und ein Mann hereinkam, den ich nie zuvor gesehen hatte. Er war ein blasser, aufgeschwemmter Mensch, dem zwei Finger der linken Hand fehlten und der, trotzdem er einen Hirschfänger trug, nicht sehr kampftüchtig aussah. Ich hielt stets die Augen offen, um Seefahrer mit einem oder mit zwei Beinen nicht zu versäumen, aber dieser da verwirrte mich. Er war kein Seemann, und doch hatte er etwas Seemännisches in seinem ganzen Wesen.

      Ich fragte ihn, was er wünsche, und er bestellte Rum; doch als ich hinausging welchen zu holen, setzte er sich auf einen Tisch, und bat mich näherzukommen. Ich blieb stehen wo ich war, mit meiner Serviette unter dem Arm.

      „Komm her, Söhnchen,“ sagte er, „komm näher zu mir!“

      Ich trat einen Schritt näher.

      „Ist dieser Tisch hier für meinen Maat Bill?“ fragte er mit einem bezeichnenden Seitenblick.

      Ich sagte, daß ich seinen Maat Bill nicht kenne und daß hier für einen Herrn gedeckt sei, der im Hause wohne und den wir den Kapitän nennen.

      „Schon gut,“ sagte er, „das ist schon mein Maat Bill, der sich Kapitän schimpfen läßt; sieht ihm ähnlich. Nicht wahr, er hat einen Hieb über der einen Wange und sehr angenehme Manieren, besonders wenn er getrunken hat, mein Maat Bill. Also, wir wollen einmal annehmen, daß Euer Kapitän eine Narbe auf der Wange hat und dann wollen wir einmal sagen, daß es die rechte Wange ist. Aha! Ich hab’s ja gesagt. Nun, wohnt mein Maat Bill hier im Hause?“

      Ich sagte, er sei draußen auf einem Spaziergang.

      „Welchen Weg, Söhnchen? Welchen Weg ist er gegangen?“

      Und als ich ihm den Felsen wies und meinte, daß der Kapitän wohl bald zurückkommen würde, und ein paar weitere Fragen beantwortete, da meinte er: „Ach, Söhnchen, mein Maat Bill wird sich freuen wie über einen guten Trunk!“

      Sein Gesichtsausdruck, als er diese Worte sagte, war keineswegs liebenswürdig, und ich hatte meine Gründe, anzunehmen, daß sich der Fremde irre, selbst wenn er das im guten Glauben behaupte, aber das ging mich nichts an, dachte ich mir, und außerdem war es schwer zu entscheiden, was da zu tun sei. Der Fremde hielt sich an der Innenseite der Gasthofstür

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