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um seine Lippen zuckte, »besonders wenn man bedenkt, daß das Kind erst siebzehn Jahre alt ist und wahrscheinlich im nächsten Jahre heirathen wird. Hat sie ihre Kammerjungfer mit?«

      »Sie ist vollständig allein gegangen.«

      »Vollständig allein? So – nun, sie weiß, daß wir um fünf Uhr diniren, und wird zur rechten Zeit zurück sein.«

      »Aber nicht einmal Zeit behalten, ihre Toilette zu machen. Wenn mir der Herr Graf erlauben…«

      »Sie werden sie dann verfehlen und ebenfalls das Diner versäumen. Sie wird schon kommen« – und damit schritt er in sein Zimmer hinüber, das zu ebener Erde lag.

      Mademoiselle Beautemps biß sich auf die Lippen, antwortete aber nur, sich ihrer Stellung und Würde bewußt, durch eine sehr förmliche Verbeugung, die der alte Herr nicht einmal bemerkte, und trat dann auf die Treppe hinaus, um die Ankunft ihres ungehorsamen Zöglings mit anscheinender Geduld, bei der sie aber in innerlichem Ärger fortwährend in raschem Tacte die Marmorplatten mit dem Fuß schlug, zu erwarten.

      Ein Reiter kam den Weg heraufgesprengt, hielt an der Treppe, sprang aus dem Sattel, warf die Zügel seines warm gewordenen Thieres dem ihm folgenden Reitknecht zu, und war dann in wenigen Sätzen oben bei der Gouvernante.

      »Ah, guten Morgen, Mademoiselle – Karl, reib das Pferd gut ab, und daß dann der Fingal gesattelt wird – ich reite nach dem Diner gleich wieder in die Stadt zurück. – Wo ist Paula, Mademoiselle?«

      »Thut mir leid, Ihnen keine Auskunft geben zu können, Herr Graf,« sagte die Dame achselzuckend; »die Comtesse scheint die Zügel der Regierung selber in die Hand nehmen zu wollen.«

      »Durchgebrannt?« lachte der junge Mann, indem er seine Handschuhe auszog und in den Reitrock steckte. »Die Eltern sind aber zu Hause, wie ich sehe,« setzte er mit einem Blick auf die Wagenspuren hinzu, »und wahrhaftig, gleich fünf Uhr – alle Wetter, da habe ich keine Zeit mehr zu verlieren!« und rasch sprang er in das Haus und in sein eigenes Zimmer hinauf.

      Mademoiselle Beautemps hatte wenigstens die Genugthuung, nicht länger auf die Folter gespannt zu sein, denn in diesem Augenblick kam auch die Comtesse aus dem Park herauf. Sie mußte scharf gegangen sein, denn sie sah erregt aus.

      »Aber, Comtesse, ich bitte Sie um Gottes willen, wo haben Sie gesteckt? Kann man denn nicht auf einen Augenblick den Rücken wenden!«

      »Sind die Eltern schon da?«

      »Schon lange, es wird gleich servirt werden. Und wie sehen Sie aus! Mit der Frisur können Sie gar nicht bei Tafel erscheinen! Wo waren Sie?«

      »Im Park. Ist George auch schon da?«

      »Alle – es wird den Augenblick dinirt. Ich muß wirklich in Zukunft bitten…«

      Paula ließ sie gar nicht ausreden. An ihr vorüber huschte sie durch den Saal in ihr eigenes kleines Boudoir, wo Bertha, ihre Kammerjungfer, sie schon erwartete, und als Mademoiselle Beautemps, damit nicht zufrieden, sich das Wort abgeschnitten zu sehen, ihr dahin folgen wollte, um ihre Ermahnung und Strafpredigt zu beenden, hatte die sorgsame Zofe schon den Riegel vorgeschoben. Es wurde Niemand mehr eingelassen.

      Paula brauchte aber für ihre Toilette außerordentlich wenig Zeit; das volle, herrliche Haar fiel fast von selbst in seine natürlichen Locken, und noch ehe die Gräfin Mutter den Speisesaal betrat, wo in diesem Augenblick gerade die Suppe aufgetragen wurde, war sie dort.

      Ihr Bruder stand schon am Fenster und blätterte in einem Haufen von Zeitungen.

      »Ah, da bist Du ja!« rief er ihr entgegen. »Sag', Schatz,« flüsterte er dann, »hat Dir Papa schon etwas mitgetheilt?«

      »Mir, George?« fragte Paula erstaunt – »was soll er mir mitgetheilt haben? Ich weiß von nichts!«

      »Nun, dann kommt es noch,« lächelte George, ihr freundlich zunickend. »Apropos, Paula, gehst Du Dienstag mit in's Theater? Die Räuber werden gegeben. Handor ist famos als Karl Moor.«

      »Ich weiß es nicht,« sagte Paula erröthend, »wenn es Papa erlaubt…«

      »Hoffentlich nicht, Comtesse,« bemerkte hier die Gesellschafterin, die gerade zur rechten Zeit in den Saal getreten war, um die Frage zu hören; »denn mit meiner Zustimmung besuchen Sie das Theater nicht so oft. Es ist ein Tempel des Lasters, in dem junge Mädchen eigentlich gar nichts zu suchen haben.«

      »Mademoiselle!« wollte George gereizt ausfahren, als sich die Thür öffnete und die Eltern erschienen. Die Unterhaltung war damit abgebrochen.

      »George – ah, da bist Du ja, Paula! Hast Du einen Spaziergang gemacht, mein Kind?«

      »Mein lieber Vater…«

      »Schon gut, Du bist ja noch zur rechten Zeit eingetroffen. Höre, George, Du hast Deinen Rappen wieder tüchtig warm geritten. Wenn Du meinem Rath folgst, schonst Du das Pferd.«

      »Ich hatte mich verspätet, Papa, und ließ ihn nur ein wenig austraben. Heute Nachmittag nehme ich den Weißfuß.«

      »Du willst wieder fort?«

      »Ich habe mich zu einer Partie Whist bei Boltens engagirt und vorher noch Einiges zu besorgen.«

      »Setzen wir uns.«

      Das Diner wurde gewöhnlich schweigend verzehrt, da es Graf Monford nicht liebte, sich in Gegenwart der Diener zu unterhalten. Nur vollkommen gleichgültige Dinge durften besprochen werden, und selbst diese so kurz als möglich, und doch hätte George gar zu gern schon während der Tafel von dem Theater angefangen, das er leidenschaftlich gern besuchte. Aber es ging eben nicht, denn er wußte im Voraus, daß er entweder keine Antwort oder gar einen Verweis bekommen hätte.

      George war das treue Abbild seiner Schwester, nur etwa zwei oder drei Jahre älter als sie, aber mit denselben edlen und offenen Zügen, denselben kastanienbraunen Augen, aber fast schon ein wenig zu selbstständig für seine Jahre, wozu denn freilich die Erziehung im elterlichen Hause Vieles beigetragen.

      Als junger Bursche und noch unter einem Hofmeister wurde er mit eiserner, nachsichtsloser Strenge bis zu dem Augenblick behandelt, wo er zur Universität abging, und dort plötzlich und mit einem Schlag sein eigener, freier Herr war. Natürlich wußte er die ihm so rasch und unerwartet gekommene Freiheit nicht immer nur zu gebrauchen, sondern mißbrauchte sie auch nicht selten.

      Dazu kam, daß Graf und Gräfin Monford sich Jahre lang auf Reisen befanden, wo denn die Kinder auch nur auf fremde Menschen angewiesen blieben und ihre Eltern nicht einmal zu sehen bekamen, und mit der ganzen vorangegangenen Erziehung konnte es kaum anders geschehen, als daß sich beide Theile mehr und mehr entfremdet werden mußten.

      Graf und Gräfin Monford hatten in der That keine Kosten und Mühen gescheut, um ihre Kinder Alles lernen zu lassen, was sie in ihren Bereich bringen konnten, aber sie machten ein sehr großes Haus, und nur zu oft ist es ja in solchen »großen Häusern« leider der Fall, daß die gesellschaftlichen Pflichten den elterlichen vorgezogen werden oder, wie man sich einredet, vorgezogen werden müssen. Man hat Rücksichten zu nehmen (wie die Entschuldigungen heißen), überdies zuverlässige Leute daheim, denen man die Kinder recht gut anvertrauen kann. Eine Gesellschaft jagt dann die andere, einmal daheim oder auch außer dem Hause, von allen aber sind die Kinder ausgeschlossen, und ihre kurze Jugendzeit vergeht, ohne daß sie sich erinnern, der Mutter mehr als ein- oder zweimal auf dem Schooß gesessen zu haben.

      Aber ein Kind will nicht allein Pflege – die kann ihm jeder gemiethete und gute Dienstbote geben – es will auch Liebe, und wenn ihm die entzogen wird, so wächst es auch wohl ohne sie frisch und kräftig auf, aber in seinem Herzen bleibt ein leerer, öder Raum, den es sich selber dann oft mit verderblichen Stoffen füllt. Unter der Obhut Fremder aufgewachsen, hatten sie allerdings vor den Eltern, denen sie erst herangewachsen näher traten, eine gewaltige Ehrfurcht gehabt, aber sie kannten kein anderes Gefühl und hielten diese Ehrfurcht für Liebe, während die Eltern stolz, recht stolz auf ihre Kinder waren und auch diesen Stolz für Liebe nahmen. So täuschten sich beide Theile über ihre Gefühle, und auch die Welt, und doch waren beide Kinder von Herzen seelensgut und brav, und auch die Eltern fest überzeugt, Alles für sie gethan zu haben, was in ihren Kräften stand, um vollen Anspruch auf ihre Dankbarkeit

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