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für sein Geschöpf zu halten, und faßte allmälig eine Zuneigung zu dem Judenknaben, über die er selbst cynische Witze machte. Und doch war sie ein Schatz für den Elenden. Denn die Güte der menschlichen Natur ist unzerstörbar, und die größte Corruption eines Menschen vermag nicht Alles in ihm zu verderben. Immer sucht seine Lebenskraft die Stellen, wo sie sich gesund und zum Guten entwickeln kann, aber der Fluch einer verderbten Seele ist, daß auch ein gutes menschliches Empfinden sich ihr zu Unheil und Sünde verkehrt.

      Schnell wurde dem alten Mann sein Schüler wichtiger, als irgend eine andere Person auf Erden. Mit Ungeduld wartete er auf die Abendstunde, in welcher der geschäftige Bocher zur Vorlesung kam; ja es begegnete ihm, daß er von seiner Abendkost und seinem Branntwein einige Reste für Veitel übrig ließ, und wenn das Judenkind bei dem trüben Lichte vor ihm saß und mit großem Appetit das kalte Fleisch verzehrte, so konnte der Alte ihn schweigend ansehen und sich darüber freuen. Und einst als Veitel sich bei rauher Witterung verkältet hatte und fiebernd unter dünner Decke auf dem Strohsack lag, da ereignete sich das Unglaubliche, daß der Alte ein Federbett, welches er als privilegirte Person durch den Wirth erhalten hatte, von seinem eigenen Lager trug und über den Burschen breitete; und als Veitel ihn dankbar anlachte, freute sich das alte Geschöpf wieder.

      Veitel verdiente diese Funken von Freundschaft, welche in dem Alten aufstiegen, denn er bezeigte ihm eine Verehrung, wie sie nur irgend ein Schüler gegen seinen berühmten Lehrer gefühlt hat. Er erbot sich, ihm eine neue Garderobe zum Einkaufspreise zu besorgen, und handelte stierköpfig um einen passenden Oberrock, weil er ihn dem alten Mann so billig als möglich verschaffen wollte; er war stets zu der Verschwendung bereit, die Branntweinflasche zu füllen, weil er wußte, daß dies die Schwäche seines würdigen Lehrers war; er machte ihn zum Vertrauten seiner kleinen Geschäfte, ja er brachte ihm zuweilen am Abend Geschenke mit und lief nach einem glücklichen Geschäftstage sogar in einen Fleischladen, um für Herrn Hippus eine verhaßte Zungenwurst einzukaufen. Allerdings war auch diese Herzensfreundschaft nicht ohne kleine Stacheln. Der Alte konnte es nicht lassen, seine gallige Laune an dem Schüler zu üben, und Itzig nannte den Alten, wenn dieser dem Branntwein zu viel einräumte, mit höchst unzierlichen Namen, welche bewiesen, daß das Gefühl der Hochachtung in ihm nicht unerschütterlich war. Im Ganzen aber stimmten die beiden Ehrenmänner doch vortrefflich zusammen und wurden einander unentbehrlich.

      Veitel lernte in den Monaten, welche der Alte in seinem Versteck zubrachte, auch noch Anderes als schlechte Handwerkskniffe; er lernte das Deutsche richtiger sprechen und schreiben; ja er las zuweilen in den Büchern, welche er für Hippus aus einer kleinen Leihbibliothek holen mußte, er las mit Vergnügen Abenteuer zu Wasser und zu Lande, die Eroberung Amerikas und andere aufregende Unternehmungen, an welche seine Phantasie allerlei Geschäfte knüpfen konnte. Durch seinen Lehrer erhielt er viele Aufschlüsse über das Leben der Menschen und Völker, auch über den Staat, in dem er selbst existirte und von dem er bis dahin sehr wenig gewußt hatte. So machte er in wenigen Monaten Veränderungen durch, welche dem Blick des Herrn Ehrenthal nicht entgingen.

      Dieser bemerkte nach und nach, daß Veitel weniger grotesk aussah, daß er richtiger sprach und schrieb, und vor Allem, daß er in Geschäften unwillkürlich eine Sicherheit und juristische Kenntniß entwickelte, die an einem Lehrling seiner Art sehr ungewöhnlich waren. Herr Ehrenthal besprach diese Veränderung in seiner Familie ungefähr so, wie ein Landwirth das viel versprechende Aussehen eines Zuchtstiers lobt, und kündigte am Ende des Vierteljahrs dem Burschen freiwillig an, daß das Stiefelputzen und das Essen vor der Thür aufhören solle, und daß er bereit sei, ihm einen Platz im Geschäftslocal und außer dem Kostgelde einen kleinen Gehalt zu bewilligen.

      Veitel empfing die Ankündigung, auf die er so lange gewartet hatte, mit großer Selbstbeherrschung, er dankte demüthig und versprach alles Mögliche für die Gegenwart und Zukunft: »Noch eine Bitte habe ich an den Herrn, eine große Bitte, die Sie nicht ungünstig aufnehmen möchten. Wenn ich die Ehre haben könnte, einmal in der Woche am Tisch des Herrn Ehrenthal zu essen. Da Sie mir so viele Güte erweisen, so haben Sie auch diese Rücksicht auf mich, damit ich kann sehen in guter Gesellschaft, wie man sich benimmt, wenn man ißt mit vornehmen Leuten. Sie können mir's abrechnen von meinem Kostgeld, das Sie mir geben wollen.«

      Ehrenthal schüttelte den Kopf und sagte erstaunt über dies Verlangen: »Zuerst muß ich sprechen mit meiner Frau, ob's ihr wird recht sein, daß du dich bildest in meinem Hause. Du kannst warten, bis ich gesprochen habe.« Er ging zu seiner Frau und trug ihr Veitels Wunsch vor, mit einem kühlen Wesen, welches andeuten sollte, daß ihm als einem Mann von Welt die Forderung ungehörig erscheine. Im Innern freilich wünschte er, daß Itzigs Wunsch zu gewähren sei, denn er hielt es für wichtig, den anstelligen Mann seinem Geschäft zu erhalten. Aber er wagte nicht seiner Hausfrau gegenüber diesen Wunsch zu äußern, denn Madame Ehrenthal hatte noch viel mehr Welt und Bildung, als er selbst, und war ihm in allen Dingen, welche vornehmes Wesen betrafen, eine große Autorität. Sie war die Tochter eines großen Schnittwaarengeschäftes aus der Residenz und hatte Geschmack für das Neueste und einen sehr energischen Willen in Theetrinken, Stutzuhren, Möbelstoffen und anderen Eigenschaften, durch welche sich ein gebildeter Mensch von einem ungebildeten unterscheidet. Wider Erwarten nahm Madame Ehrenthal Veitels Wunsch ohne Ueberraschung auf. Diese Ueberraschung wäre auch unnatürlich gewesen, da Veitel durch wahrhaft unmäßigen Diensteifer, durch Verschwiegenheit in einzelnen kleinen Fällen und durch die größte Höflichkeit das Wohlwollen der vornehmen Dame zu erwerben gewußt hatte: »Wenn der junge Mann sich bilden will in unserer Familie, so kann er keinen bessern Ort finden. Da er brauchbar ist im Geschäft, wie du sagst, so wird es dir von Nutzen sein, wenn er auch zu essen und zu reden weiß mit den Leuten.«

      Nach dieser Entscheidung wurde Veitel am nächsten Sonntage, dem Tage einer gebratenen Gans, aufgefordert, in der Familie zu erscheinen. Und als er zu dem gedeckten Tische trat, angethan mit dem besten unter den sechs Leibröcken, welche er auf seinem Lager hatte, einen neuen weißen Hut in der Hand und ein baumwollenes Hemd mit stehendem Kragen unter der ausgeschnittenen Weste, da wurde er von Herrn Ehrenthal mit den würdigen Worten eingeführt: »Der junge Itzig ist aufgenommen in mein Geschäft als Buchhalter. Es ist nicht mehr anständig für ihn, in der Wirthschaft zu helfen, und es wird jetzt anständig sein, daß wir ihn als einen gebildeten Menschen behandeln. Sie können Platz nehmen dort unten am Tisch, lieber Itzig.«

      IX

      An einem warmen Sommerabend sprach Fink nach dem Schluß des Comtoirs zu Anton: »Wollen Sie mich heut begleiten? Ich will auf dem Fluß ein Boot probiren, das ich hier habe bauen lassen.« Anton war bereit. Die Jünglinge sprangen in einen Wagen und fuhren an den Fluß oberhalb der Stadt, wo eine Colonie von Schiffern und Fischern in ärmlichen Hütten wohnte. Fink wies auf ein rundes Fahrzeug, welches auf dem Wasser schwamm, wie eine große Kürbisschale, und sagte melancholisch: »Da liegt das Gefäß, es ist ein Scheusal! Ich selbst habe dem Kahnbauer das Modell geschnitzt, denn ein Kielboot bauen, ist hier zu Lande etwas Unerhörtes; ich habe dem Strohkopf alle Verhältnisse angegeben, und er hat ein solches Mövenei zur Welt gebracht.«

      »Es ist sehr klein,« erwiederte Anton mit trüben Ahnungen.

      »Ich sage Euch,« rief Fink strafend dem Kahnbauer zu, welcher herantrat und respectvoll die Mütze abnahm, »daß unsere Seelen auf Euer Gewissen kommen, wir werden in dem Dinge da unfehlbar ertrinken, und Euer Mangel an Witz wird Schuld sein.«

      »Herr,« sagte der Kahnbauer kopfschüttelnd, »ich habe das Boot ganz nach Ihrer Anweisung gemacht.«

      »Den Teufel habt Ihr,« schalt Fink, »zur Strafe sollt Ihr mitfahren. Ihr werdet einsehen, daß es billig ist, wenn Ihr mit uns ertrinkt.«

      »Nein, das thue ich nicht, lieber Herr,« antwortete der Mann entschieden, »bei dem Winde will ich's nicht wagen.«

      »So bleibt am Lande und kocht Euren Kindern Brei von Hobelspänen. Gebt Mast und Segel her.« Fink setzte den kleinen Mast ein, sah nach, ob die Schoten der Segel glatt durch die Löcher liefen und ob das Geitau anzog. Sämmtliche nautische Erfindungen erwiesen sich als befriedigend. Dann hob er Mast und Segel wieder aus, legte sie der Länge nach in das Boot, warf einige Eisenstücke als Ballast auf den Boden, hakte das Steuer ein, ergriff zwei lange Streichruder und wies unserm Helden seinen Platz an. Darauf legte er die Ruder aus und fuhr mit der Kraft eines Matrosen im Doppelschlag

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