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wenn wir am Morgen zusammenkommen,

      Und denken zurück an das Heute,

      Dann finden wir, daß wir zum Nutzen und Frommen

      Der alten und jüngeren Leute

      Gehofft und geharret, gewünscht und geträumt

      Von nächst zu erhaschendem Glücke;

      Und was ist uns worden – wir waren geleimt –

      Der Bettler behielt seine Krücke.

      Der Morgen bleibt morgen, wir aber wir harren

      Und hoffen und träumen – wie Allerweltsnarren.«

      Und mit dem Liede noch auf den Lippen wandte er sich, von seiner Tochter gefolgt, dem Dorfe zu, und verschwand bald darauf hinter den Hecken und Obstgärten, die dasselbe rings umschlossen.

      Drittes Kapitel.

      Der Diaconus und der Hülfslehrer

      Es war gegen Mittag desselben Sonnabends, mit dem ich diese Erzählung begonnen, als Pastor Scheidler in seiner Studierstube saß und sich gar eifrig für die morgende Predigt vorbereitete. Um ihn her lagen eine Masse Bücher, Hefte und Zettel, und er selber stand oft auf, ging mit auf den Rücken gefalteten Händen eine Zeit lang rasch im Zimmer auf und ab und memorirte laut und heftig.

      Es mußte aber heute etwas ganz Wichtiges sein, was ihm bei seinem Studium so schwere Sorge machte, denn sonst wurden ihm die Predigten gar nicht so sauer, und ein paar Candidaten hatten in der benachbarten Stadt schon ausgesprengt, er wisse genau, wo er in alten staubigen Büchern nagelneue Sermone auffinden und benutzen könne. War das wirklich einmal der Fall, so durfte es sicherlich auf diese keine Anwendung finden, denn die ganze Nacht hatte er geschrieben, wieder ausgestrichen, wieder geschrieben, und endlich schon mit Tagesdämmerung den zu Papiere gebrachten Entwurf auswendig gelernt.

      In derselben Etage, aber dicht an der Treppe und nach der Kirchmauer zugewandt, die nur wenig Licht und Wärme in das kleine Gemach ließ, hatte der Diaconus Brauer sein Arbeitszimmerchen, und hier saß er heute mit dem Hülfslehrer Hennig traulich auf dem Sopha, und Beide studierten die eben durch die Botenfrau aus der Stadt gebrachte Zeitung, in der sie des Neuen wohl viel, des Erquicklichen aber gar wenig fanden.

      »Ich wollte, ich wäre jetzt Soldat,« seufzte Hennig endlich, und warf das Blatt unmuthig vor sich nieder auf den Tisch, »in der Welt giebt's nichts als Krieg und Aufruhr, und wir sollen hier indessen den Jungen noch die alte Geduld und Christenliebe einbläuen, während ihre Brüder und Vettern draußen, und ohne beides, in's Feld laufen. Es giebt doch in solcher Zeit nichts Elenderes, als einen Schulmeister.«

      »Einen Diaconus vielleicht ausgenommen,« sagte Brauer trocken, und blies eine dichte Wolke blauen Tabacksdampfes in Ringeln gegen den Wachsstock hin, der vor ihm auf dem Tische stand.

      Hennig sah ihn verwundert an, schüttelte aber dann mit einem halb gezwungenen Lächeln den Kopf und sagte leise:

      »Ihr Geistlichen solltet gerade am wenigsten klagen! Ihr spielt hier, und besonders auf dem Lande, immer die erste Rolle, habt Euer gutes Auskommen und geltet bei den Bauern als was ganz Besonderes. Dazu haltet ihr Sonntags einfach Euere Predigt und geht dann die übrige Zeit blos mit feierlichem Ernst in den Zügen im Dorfe herum – es ist 'was Erhebliches, so ein Geistlicher zu sein.«

      »Und gerade bei Ihrem Scherz haben sie den wunden Fleck getroffen,« sagte der Diaconus und strich sich mit der Hand ein paar Mal über die Stirn, als ob er Bahn machen wollte den freien Gedanken, die jetzt von Unmuth und Trübsinn umnachtet und verdüstert wurden, »Ihr haltet Sonntags die Predigt und geht dann die übrige Zeit blos mit feierlichem Ernst in den Zügen im Dorfe herum. Ja, ja, in dem feierlichen Ernst liegt Alles, was ich nur gegen Ihr Lob und Preisen erwidern könnte.«

      »In dem feierlichen Ernst?« sagte der Hülfslehrer erstaunt, »nun ich dächte doch, das wäre die geringste Unbequemlichkeit, die eine Stellung mit sich bringen könnte.«

      »Sehen Sie, Hennig,« fuhr Brauer, ohne des Freundes Einwurf zu beachten, fort und legte ihm die linke Hand leise auf den Arm, »der ›feierliche Ernst‹, von dem Sie sprachen, und den das Landvolk auch im Allgemeinen von einem Geistlichen erwartet, ja fordert, das ist die Heuchelei des Standes, die mir in der letzten Zeit und seit ich darüber zum klaren Bewußtsein gekommen, am Leben nagt und meinen Frohsinn zerstört, die Heuchelei sich zu geben, wie man nicht ist. Und nicht blos im Dorfe und außer der Kirche, das ließe sich ertragen – wenn es mir auch früher ein bischen schwer angekommen ist, nur weil ich ein Geistlicher war, Tanz und Jugendlust entsagen zu müssen, jetzt denk' ich überdies nicht mehr daran – nein, auf der Kanzel oben, da wo ich manchmal so recht aus dem Herzen heraus den Leuten sagen möchte, wie ich mir den lieben Gott denke, wie ich das Leben und Wesen der Religion empfinde, begreife, fühle, da, da müßt' ich mit dem ›feierlichen Ernst‹ zu Dogmen schwören, die ich im Herzen für Unsinn halten muß, von ewigen Strafen sprechen, wo mir die Brust von ewiger Liebe voll ist, muß Jesus Christus zu einem Gott erniedrigen, während er als Mensch so hoch, so unerreichbar stände. Und der Firlefanz dann, der unseren Stand umgiebt, der Priesterrock, die Krause, der bunte Fastnachtstant auf dem Altar, o Hennig, ich schwör' es Ihnen zu, ich komm' mir immer, wenn ich von dem verzerrten Bild des Gekreuzigten, und von all' den Quälereien der Märtyrer und Heiligen, mit ihren Sinnbildern, den Ochsen und Eseln, umgeben stehe, wie ein Indischer Bramine, Buddhapriester, oder sonst ein fremdländisches Ungethüm vor, und muß mich manchmal ordentlich umsehen, ob es denn auch wirklich wahr ist, daß ich als Christ in der ›allein selig machenden Religion‹ einen solchen Rang bekleide, wie der Bramine und Feuerpriester, wie der Bonze und Fetischmacher, und daß nur der einzige Unterschied in dem Fleckchen Erde liegt, auf das uns das Schicksal gerade zufällig hingeschleudert hat.«

      »Nun bitt' ich Sie um Gottes Willen,« rief Hennig verwundert, »was fällt Ihnen denn auf einmal ein? Sie wollen doch nicht etwa unsere christliche Religion mit dem wilden Heidenthum der Brama- und Buddha-Anbeter, oder wie die langarmigen Götzen alle heißen, vergleichen? na, wenn das der Pastor hörte, das Bischen Strafpredigt!«

      »Ich weiß es« sagte der Diaconus mürrisch, »und das gerade macht mich so erbittert, daß ich hier etwas gegen meine Ueberzeugung für das vorzüglichste ausgeben soll, was, wenn wir das Nämliche nur mit anderem Namen belegen, und in ein anderes Land versetzen, von uns verlacht und verachtet wird. Unsere Religion ist schön und herrlich, Christi Lehre in ihrer Einfachheit und Größe unübertroffen in der Geschichte, aber weshalb dürfen wir sie dem Volk nun nicht so rein und herrlich geben, wie wir sie von ihm empfangen? warum muß sie erst noch, mit alle dem, was spätere Schreiber und Pfaffen dazugethan, unkenntlich und ungenießbar gemacht werden? Die Schriftgelehrten sagen: was thut das, der Kern ist die Hauptsache, der ist gut und vortrefflich, an den wollen wir uns halten, und das was Schaale ist, weiß man zu sondern; ja, aber der gemeine Mann nimmt die Schaale für den Kern; ihm ist der Firlefanz so lange vorgehalten, bis er ihn für die Hauptsache, und das Andere Alles für Nebensache hält. Ein Löffel Cichorie kann, meinem Geschmack nach, den besten Kaffee ungenießbar machen, und hat man nun gar einen ganzen Topf voll Cichorie, und nur ein paar ächte Bohnen darin, so gehört ein Kenner dazu, das herauszufinden. Der Bauer sieht auch die Kirche in der That mehr als etwas Aeußeres an, und wie sollte er anders, da er von Jugend auf darauf hingewiesen wurde. Er geht nicht hinein, weil ihn Herz und Seele hineinzieht, weil er eben nicht draußen bleiben kann, wie es mich in die Natur, unter Gottes freien, herrlichen Tempel zieht, sondern, weil er sich vor dem Pastor fürchtet, und seinen Namen nicht gern, käme er nach längerer Zeit einmal wieder, von der Kanzel herunter hören möchte. Auch die Gewohnheit trägt viel dazu bei; er sitzt gern am Sonntag Morgen, wo er zu Hause doch nichts anderes anfangen könnte, auf seinem Platz im ›Gotteshaus,‹ aber nicht aufmerksam und gespannt den Worten lauschend – dem Sinn der Predigt folgend, sondern mehr in einer Art Halbschlaf, mit nur theilweis hinlänglich wachem Bewußtsein, um einzelne Worte und Sätze zu verstehen. Nur dann, wenn der Pastor von der Kanzel herab über irgend einen Mißbrauch, oder noch lieber über eine bestimmte, ja am liebsten namhaft gemachte Person, die er nur nicht selbst sein darf, loszieht, nimmt er die schlaffen Sinne zusammen, und schon der Beifall, den er solcher Predigt spendet, wenn er zu Hause kommt, beweist, in welchem Geist er das Ganze aufgefaßt.

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