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Hand nahm, leicht an seine Lippen hob und dann wieder los ließ – »machen Sie keine Umstände. Ich muß zu meiner Schande gestehen, daß ich dem Pferd nur aus einer Art von alter Angewohnheit entgegen sprang. Ich kann nämlich keine durchgehenden Pferde leiden, und fahre ihnen stets in den Weg, wo ich sie eben treffe.«

      »Sie wollen also damit sagen,« lächelte der Director, »daß Sie dem Pferde mehr des Pferdes als der Reiterin wegen in den Zügel fielen.«

      »Genau dasselbe,« sagte Felix, sich hoch aufrichtend und den Director ansehend – »mit wem habe ich das Vergnügen?«

      »Herr Director von Reitschen,« sagte Günther, ihn vorstellend, und die beiden Männer verbeugten sich vornehm gegen einander.

      »Der Herr Randolph hat etwas sehr Anständiges in seinem Benehmen,« flüsterte Baron Jeorgy leise der Frau Gräfin zu, neben der er stand.

      »Finden Sie?« sagte die Gräfin und musterte den Fremden mit einem gleichgültigen Blick; sie hatte ihr Auge auch schon wieder von ihm abgewandt, als es noch einmal dahin zurückkehrte und ihn aufmerksamer betrachtete. Wo hatte sie denn das Gesicht schon einmal in ihrem Leben gesehen?

      Helene erröthete noch tiefer, als der junge Fremde ihren Dank auf so fast leichtfertige Art zurückwies; sein ganzes Benehmen dabei war aber so achtungsvoll und gewandt, daß sie ihm auch wieder nicht böse sein konnte.

      Jeremias störte die Unterhaltung auf sehr directe Weise, indem er ein sehr großes Theebret mit einer Anzahl Tassen und Rahmgießer, Zuckerdose und Rumflasche mitten zwischen die Gruppe hineinschob und auf das Verbindlichste fragte:

      »Irgend Etwas gefällig? Bitte, langen Sie zu. Herr von Schwartzau – hurrjeh, jetzt hätten Sie gleich die Rumflasche mit dem Ellbogen heruntergefegt!«

      Bald war der Thee allgemein und eben so das Gespräch, denn der Thee verschwemmt eigentlich jede Gesellschaft, und eine ernsthafte oder geistreiche Unterhaltung ist bei häufigem Genuß von Thee kaum möglich. Er schläfert viel mehr ein, als daß er aufweckt, und daher sehr häufig die entsetzlichen Folgen, wenn bei Vorlesungen auch noch Thee umhergereicht wird.

      Sehr natürlicher Weise drehte sich aber das Gespräch anfänglich fast ausschließlich um die Tagesbegebenheit – die Auction des Meier'schen Gutes und Eigenthums, den Selbstmord der Frau und den raschen, geheimnißvollen Abzug von Vater und Tochter, der mehr einer Flucht als einer wirklichen Abreise glich. Günther dankte auch Gott im Stillen, daß Könnern die Einladung ausgeschlagen, denn jedes Wort hier wäre ein Messerstich für ihn gewesen.

      »Apropos, Herr von Schwartzau,« wandte sich endlich der Director an diesen – »will sich denn Ihr Freund Könnern bleibend bei uns niederlassen? Wie ich erst verstand, war er blos auf einer Durch- oder vielmehr Kunstreise hier. Nach den bedeutenden Einkäufen aber, die er heute, besonders an Möbeln und anderen, schwer zu transportirenden Gegenständen gemacht, sieht es doch viel eher aus, als ob er sich hier eine Wirtschaft und einen eigenen Heerd gründen wolle.«

      »Ich muß sehr bedauern, Ihnen darüber keine genaue Auskunft geben zu können, Herr Baron,« sagte Günther, »denn ich selber habe hier das Erste von diesen Einkäufen gehört. Möglich, daß er dazu den Auftrag von Herrn Meier selber bekommen, denn so viel ich weiß, gedenkt jener Herr hierher zurückzukehren. Er hat wahrscheinlich nur das Überflüssige verkaufen lassen.«

      »In der That? Und waren Sie näher mit der Familie befreundet?«

      »Ganz und gar nicht – ich habe das Haus kurz vor ihrer Abreise zum ersten Male betreten.«

      »Sonderbar,« sagte der Director; »es scheint eigentlich Niemand im ganzen Ort zu sein, der sie kennt.«

      »Ich weiß Niemanden. Sie haben wenig oder gar keinen Umgang mit Fremden gehabt.«

      »Und weshalb die Frau den Tod könnte gesucht haben?«

      »Das Geheimniß ruht wohl mit ihr im Grabe,« sagte Günther ausweichend, »denn ich glaube nicht, daß die Familie selber darüber Auskunft geben würde. Sie soll übrigens immer tiefsinnig gewesen sein, und es ist möglich, daß die vollkommen abgeschiedene Lebensweise nicht wenig dazu beigetragen hat, eine solche krankhafte Idee zum Ausbruch zu bringen.«

      »Sehr wahrscheinlich,« sagte der Director – er sah, daß er aus Günther Nichts weiter herausbringen würde, selbst wenn dieser wirklich um Eins oder das Andere gewußt hätte.

      Das Gespräch drehte sich endlich wieder anderen Gegenständen zu, und Jeremias reichte zum zweiten Mal den Thee zwischen die Frau Pastorin und Madame Rohrland hinein, die eben tief in wirthschaftliche Dinge verwickelt waren.

      »Ja,« entgegnete die Frau Pastorin auf eine Äußerung der andern Dame bezüglich des Strickens, indem sie Jeremias die wieder gefüllte Tasse abnahm und sich Zucker und Milch nahm – »das ist gar Nichts – denken Sie nur, was ich für Füße zu versorgen habe, die Strümpfe verlangen. Ich muß für meinen Mann und mich, für meine fünf Kinder und auch noch für den Schwager von meinem Mann, also für acht Personen, stricken.«

      »Alle Wetter!« sagte Jeremias erstaunt – »für zweiunddreißig Beine!«

      Die Frau Pastorin warf ihm einen wüthenden Blick zu und Jeremias ging weiter, wo Herr von Pulteleben neben Helenen und dem Director stand.

      »Trotzdem, daß wir selber bei den Cigarren interessirt sind,« lachte Helene, »so halte ich es doch für eine entsetzliche und fatale Gewohnheit, die aber eben nicht abzuschaffen ist und deshalb ertragen werden muß.«

      »Und doch stände es in der Gewalt der Damen, das zu thun,« sagte der Director galant; »die jungen Damen sollten sich nur alle verschwören, keinen Mann zu küssen der raucht.«

      »Das hälfe gar Nichts,« meinte Jeremias trocken, indem er das Theebret vorschob – »bitte, langen Sie zu, mir schläft der Arm schon ein – die jungen Damen sollten sich lieber verschwören, Jeden zu küssen der nicht raucht – was nachher für ein Gereiße um den Herrn Director wäre!«

      Helene und Herr von Pulteleben lachten dieses Mal und der Director sah Jeremias über die Schulter verächtlich an, was aber an diesem ruhig abprallte.

      Oskar, welchen die Gesellschaft langweilte, hatte sich an's Instrument gesetzt und spielte einen Walzer, aber so falsch und außer allem Tact, daß ihn selbst seine Mutter bat, aufzuhören.

      »Bitte, Comtesse,« fragte der Director, »wollten Sie nicht die Freundlichkeit haben und uns Etwas zum Besten geben? Ich habe schon so viel von Ihrem Spiel gehört, aber noch nie die Freude gehabt, selber Ohrenzeuge zu sein.«

      Helene verneigte sich leicht, zog ihre Handschuhe aus und ging auf das Clavier zu. Jeremias blieb mit dem Theegeschirr vor Herrn von Pulteleben stehen.

      »Und sind Sie nicht musikalisch, würdiger Greis?« sagte der junge Mann, indem er zulangte und sich eine Tasse bereitete.

      »Ich leider nicht,« meinte Jeremias, indem er zusah, wie sich Jener ein Stück Zucker nach dem andern in die Tasse warf – »aber ich stamme aus einer ganz musikalischen Familie.«

      »So?«

      »Ja,« sagte Jeremias – »ich habe drei Schwestern, die sind alle musikalisch, die eine schlägt das Clavier, die andere spielt das Pianoforte und die dritte ist Witwe – nehmen Sie nicht noch ein Stückchen Zucker?«

      »Ruhig da,« sagte Günther, als Helene gerade zu präludiren begann, und Jeremias drückte sich mit dem jetzt überall herumgereichten Bret zur Thür hinaus.

      Helene, die einen vortrefflichen Lehrer gehabt, spielte wirklich wunderschön, und das Beste dabei, mit tiefem Gefühl – und wie seelenvoll trug sie jetzt das Adagio von Mozart vor, wie kräftig und frisch sprang sie zu dem Allegro über, durch das immer und immer wieder die süßen und wehmüthigen Klänge zuckten.

      Felix lehnte mit in einander geschlagenen Armen an dem Fenster nächst dem Clavier. Er hatte kalt und gleichgültig bleiben wollen, aber die Töne sprachen zu mächtig zu ihm. Es war die nämliche Melodie, mit der ihm Helene, als er den letzten Abend unter ihrem Fenster gespielt, geantwortet hatte, und jetzt – er deckte seine Augen mit der Hand, und Alles, was ihn umgab, schwamm in einem wilden, wirren Chaos zusammen, aus dem nur die

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