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kleinen Ex-Tänzerin Scherz oder Ernst sei?

      Es trat eine peinliche Pause ein. Der König war sichtlich unangenehm berührt. Niemand wollte das Schweigen brechen. Man fürchtete, den mißlichen Eindruck, den Lili's Strafpredigt hervorgebracht hatte, durch eine ungeschickte Bemerkung noch zu verschlimmern. –

      »Fräulein Heberti,« sagte endlich Jérôme, nicht ohne Bitterkeit, »ich hoffe Ihnen baldigst, vielleicht schon morgen, den Beweis zu liefern, daß Ihre Vorwürfe die Adresse verfehlt haben. Wenn ich in einzelnen wichtigen Angelegenheiten auf meinen kaiserlichen Bruder Rücksicht nehme, so geschieht dies aus freien Stücken. Daß ich im rechten Augenblick unabhängig, energisch, entschlossen zu sein verstehe, sollten Sie überhaupt niemals bezweifelt haben. Da Sie indeß solchen höchst seltsamen Zweifeln Raum geben, so gereicht es mir in der That zur Genugtuung, daß ich, wie gesagt, binnen wenigen Tagen in der Lage sein werde, Sie eines Bessern zu belehren. Merken Sie sich das, Fräulein Heberti!«

      Der König hatte diesen langen Discurs mit voller Würde, und so laut und deutlich vom Stapel gelassen, daß Lili fast erschreckt die Augen niederschlug. Sie mochte fühlen, daß sie zu weit gegangen.

      Jérôme warf seinem Bibliothekar einen selbstbewußten, verständnisinnigen Blick zu.

      Dem guten Pigault fiel die Epistel, auf welche der König anspielte, heiß auf die Seele. Jeden Tag konnte die Antwort eintreffen; der Bibliothekar verhehlte sich nicht, daß diese Aussicht einen höchst beklemmenden Einfluß auf seine Lebensgeister ausübte.

      In diesem Augenblick ertönte im Vorzimmer ein lebhafter Wortwechsel.

      Befremdet horchte man auf.

      »Ich habe die gemessensten Befehle …« sagte einer der königlichen Hofjäger.

      »Und ich habe noch gemessenere,« entgegnete eine kräftige Stimme. »Machen Sie keine Umstände! Im Namen Seiner Majestät des Kaisers der Franzosen, lassen Sie mich vor!«

      Jérôme erbleichte. Pigault-Lebrun griff nach dem Glase, um seine Verwirrung zu verbergen.

      »So erlauben Sie wenigstens, daß ich Seine westphälische Majestät zuvor benachrichtige,« stotterte der Kammerjäger. »Wen darf ich anmelden?«

      »Den Gouverneur von Danzig!« lautete die Antwort.

      Eine halbe Minute später öffnete sich die Thür des blauen Salons, und der Gouverneur, begleitet von einem Gardeofficier, betrat das Allerheiligste.

      Alles war sprachlos.

      Der Botschafter des Imperators verneigte sich voll ritterlicher Anmuth und wandte sich dann an den König.

      »Sire,« sagte er, »ich habe mich eines höchst unangenehmen Auftrags zu entledigen.«

      Jérôme ward fahl wie der Kalk an der Wand. Pigault-Lebrun saß da wie ein armer Sünder und nestelte an seinen Manschetten.

      »Ich habe diesen Auftrag,« fuhr der Gouverneur fort, »von Ihrem erhabenen Bruder, dem Kaiser der Franzosen. Ich verließ Seine Majestät in einem Zustande der Erregtheit und des Zornes, den ich nicht zu schildern vermag …«

      »Aber ich bitte, mein Herr,« rief Fürstenberg, indem er die Arme vor der Brust kreuzte, »dies ist weder die Zeit noch der Ort, solche Aufträge auszurichten.«

      »Ich bedaure,« entgegnete der Angeredete kalt, »daß ich so unglücklich bin, Ihre geselligen Freuden zu unterbrechen, allein ich handle nach dem ausdrücklichen Befehl meines hohen Gebieters.«

      Der König war so vollständig außer Fassung gerathen, daß er vergaß dem Gouverneur einen Stuhl, geschweige denn ein Glas Wein anzubieten. Statt dessen hatte er selbst den Becher ergriffen und einen kräftigen Schluck der Verzweiflung gewagt.

      Winzingerode schleuderte dem fremden Eindringling finstere Blicke zu.

      Die kleine Heberti betrachtete bald den Gouverneur, bald ihren königlichen Gönner. Ein spöttisches Lächeln zuckte um ihre rosigen Lippen.

      »Sire,« fuhr der Gesandte fort, »ich hoffe, Sie werden den Botschafter nicht die Unannehmlichkeiten der Botschaft entgelten lassen … und mir verzeihen, wenn ich Ihnen hier, laut den gestrengen Instructionen, die ich empfangen habe, folgenden eigenhändig geschriebenen Cabinetsbefehl des Kaisers vorlese …«

      »O, durchaus nicht,« stammelte Jérôme in höchster Seelenangst; »das heißt … Sie wissen … Könnten wir nicht dort in das Zimmer treten?«

      »Ich bedaure, Sire … Die Anordnungen Seiner Majestät sind sehr formell. Sie müssen schon gestatten, daß diese Herrschaften unfreiwillige Zeugen einer Scene sind, die mir ebenso fatal ist, als Ihnen selbst, Sire.«

      Der König senkte das Haupt, wie Einer, der entschlossen ist, alles ohne Widerstand über sich ergehen zu lassen.

      »Aber das ist unerhört,« sagte Fürstenberg.

      Der Gouverneur zuckte die Achseln. »Ich wiederhole Ihnen, es ist nicht meine Schuld,« entgegnete er. »Das Decret lautet wie folgt:

      »›Cabinetsbefehl des Kaisers. Unser Aide-de-Camp, der General Rapp, Gouverneur von Danzig, wird sofort nach Cassel abreisen und daselbst den Obersten Müller, Kommandanten der königlichen Garden, zu sich citiren. Er wird mit besagtem Müller unverzüglich zum König gehen und Seine Majestät diesem Officier zur Bewachung übergeben. Der König wird achtundvierzig Stunden im Arrest bleiben. Pigault-Lebrun, der Verfasser des flegelhaften Briefes, den unser Bruder uns geschrieben hat, wird zwei Monate lang ins Gefängnis gesteckt und dann unter sicherer Bedeckung nach Frankreich transportirt werden. Wir ertheilen unserm Aide-de-Camp Generalvollmacht, die westphälischen Truppen in Anspruch zu nehmen, falls man sich in wahnwitziger Verblendung der Ausführung unserer Befehle widersetzen sollte. Gezeichnet: Napoleon.‹«

      Jérôme sank vernichtet in seinen Fauteuil zurück. Pigault-Lebrun runzelte die Brauen und ballte die Fäuste. Fürstenberg und Winzingerode sperrten Mund und Nase auf. Melanie weinte. Die kleine Heberti warf einen Blick der grenzenlosesten Verachtung auf ihren Liebhaber und erhob sich stolz aus dem Sessel.

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