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scheint, wenn man das Auge bei athemlosem Marschiren fest auf das Ziel heftet.

      Die Stimme, der Heyse als Schriftsteller folgt, ist unzweifelhaft die Stimme des Instincts. Nichts liegt ihm, obwohl er Norddeutscher ist, ferner als Instinctlosigkeit und Absichtlichkeit. Obgleich in Berlin geboren, fasst er in München Wurzel und findet in der vollblütigen süddeutschen Race und dem säftereichen süddeutschen Leben die Umgebungen, die mit seiner Anlage übereinstimmen; obgleich in Süddeutschland zu Hause, fühlt er sich immer nach Italien hingezogen, wie nach dem Lande, wo die Menschenpflanze ein von der Reflexion noch weniger gestörtes, schöneres und üppigeres Wachsthum erreicht hat, und wo die Stimme des Blutes am klarsten und stärksten spricht. Diese Stimme ist die Sirenenstimme, die ihn lockt. Natur! Natur! klingt es in seinem Ohre. Deutschland hat Schriftsteller, die fast instinctlos scheinen, und die nur ein kräftiger norddeutscher Wille zu dem, was sie geworden, gemacht hat (wie Karl Gutzkow z. B.), andere (wie Fanny Lewald), deren Werke vor Allem das Gepräge eines kräftigen norddeutschen Verstandes tragen. Nicht wollend oder überlegend, sondern seinem inneren Drange folgend, schafft und formt Heyse seine Werke.

      Es ist für manchen Dichter eine Versuchung, dem Leser ein etwas anderes Bild von sich, als das wirkliche, mitzutheilen. Er stellt sich gerne als das, was er zu sein wünschte dar, in früheren Tagen entweder als empfindsamer oder melancholischer, in neuerer Zeit bisweilen als erfahrener oder kälter oder rauher, als er ist. Mehr als ein ausgezeichneter Dichter scheut sich, wie Mérimée oder Leconte de Lisle, so sehr seine Gefühle zur Schau zu stellen, dass er umgekehrt dahin gelangt, eine Gefühllosigkeit an den Tag zu legen, die ihm nicht ganz natürlich ist. Man setzt eine Ehre darin, erst jenseits der Schneelinie, wo das Menschliche endet, recht frei und leicht zu athmen, und aus Verachtung derer, die dort unten das Mitleid der Menge in Anspruch nehmen, erliegt man der Versuchung, sich selbst zu einer Höhe emporzuschrauben, wohin nicht der Instinct, sondern der Stolz zu steigen gebietet. Für Heyse existirt diese Versuchung nicht. Er hat nie einen Augenblick sich in eine grössere Wärme oder Kälte als die, welche er empfand, hinein schreiben können oder wollen. Er hat sich nie geberdet, als ob er mit seinem Herzblut schreibe, wenn er ruhig als Künstler formte, und er hat sich geduldig darin gefunden, dass die Kritik ihm Mangel an Wärme vorwarf. Er hat auf der andern Seite nie, wie so viele von Frankreichs vorzüglichsten Schriftstellern, eine furchtbare oder empörende Handlung mit derselben stoischen Ruhe und in demselben Tone berichten können, mit welchem man erzählt, wo ein Mann von Welt seine Cigarren kauft oder wo man den besten Champagner erhält. Er strebt weder nach dem Flammenstil der feurigen Temperamente, noch nach der Selbstbeherrschung des Weltmanns. Im Vergleich mit Swinburne scheint er kühl, und im Vergleich mit Flaubert naiv. Aber der schmale Pfad, auf welchem er wandelt, ist genau derjenige, welcher ihm vom Instincte seines Innern, von dem rein individuellen und doch so complicirten Wesen angewiesen wird, das seine Natur ausmacht.

      II

      Die Macht, der man selbst als Künstler gehorcht, wird nothwendig die Macht, welche man in seinen Werken auf den Ehrenplatz erhebt. Daher verherrlicht Heyse als Schriftsteller die Natur. Nicht, was der Mensch denkt oder will, sondern was er von Natur ist, interessirt Heyse an ihm. Die höchste Pflicht ist für ihn, die Natur zu ehren und ihrer Stimme zu folgen, die wahre Sünde ist Sünde gegen die Natur. Man lasse sie gewähren und walten!

      Es gibt darum nicht viele Schriftsteller, die so ausgeprägte Deterministen wie Heyse sind. An den freien Willen im überlieferten Sinne des Wortes glaubt er nicht, und steht augenscheinlich ganz ebenso skeptisch, wie sein Edwin oder Felix, Kant's kategorischem Imperativ gegenüber.2 Aber glaubt er auch nicht an angeborene Ideen, so glaubt er doch an den angeborenen Instinct, und dieser Instinct ist ihm heilig. Er hat in seinen Novellen geschildert, wie unglücklich sich die Seele fühlt, wenn dieser Instinct entweder gestört oder unsicher ward. In der Novelle „Kenne Dich selbst“ ist die Intelligenz, in der „Reise nach dem Glück“ die Moral der Friedensstörer.

      In der ersteren Novelle hat Heyse die Qual dargestellt, welche aus einem zu frühen oder absichtlichen Eingreifen in das instinctive Leben der Seele hervorgeht. „Jene schöne Dumpfheit der Jugend, jene träumerische unbewusste Fülle, die reine Genusskraft der noch unerschöpften Sinne gingen dem jungen Franz über seinem vorzeitigen Ringen nach Selbstgewissheit verloren“.3 Er schildert hier die Schlaflosigkeit des Geistes, die ebenso gefährlich für die Gesundheit der Seele ist, wie wirkliche Schlaflosigkeit für das Wohl des Körpers, und zeigt, wie der Reflexionskranke „jenen heimlichen dunklen Kern verliert, welcher der Kernpunkt unserer Persönlichkeit ist“.

      In der Novelle „Die Reise nach dem Glück“ ist es die herkömmliche Moral, welche durch Verdrängung des Instincts die Seele zersplittert hat. Ein junges Mädchen hat mit Ueberwindung ihres eigenen Herzenstriebes aus eingeprägten Sittlichkeitsrücksichten in später Nacht den Geliebten fortgewiesen und ist dadurch die unschuldige Ursache seines Todes geworden. Nun verfolgt die Erinnerung an dieses Unglück sie beständig. „Wenn Einem nicht das eigene Herz den Weg weist, läuft man immer in die Irre. Ich bin schon einmal elend geworden, weil ich nicht hören wollte, ob auch mein Herz noch so laut schrie. Jetzt will ich aufmerken, wenn es nur halblaut flüstert, und für alles Andere kein Ohr haben“. (G. W. V., 199.)

      In dem Instinct ist die ganze Natur gegenwärtig. Ist nun die innere Zersplitterung, die dort eintritt, wo der Instinct seine leitende Kraft verloren hat, für Heyse das tiefste Unglück, so besteht umgekehrt für die Charaktere, welche er mit Vorliebe schildert, das Lebensgefühl, d. h. das tiefste Glücksgefühl, in dem Genusse der Ganzheit und Harmonie ihrer Naturen. Heyse ist natürlicherweise nicht geneigt, die Selbstreflexion ohne Weiteres als ein für das gesunde Lebensgefühl feindliches Princip anzusehen. Es scheint ungefähr seine eigene Ansicht zu sein, welche der Kranke in „Kenne Dich selbst“ mit den Worten ausspricht: ebenso angenehm, wie es ihm sei, in der Nacht aufzuwachen, sich zu besinnen und zu wissen, dass er noch weiter schlafen könne, ebenso herrlich scheine es ihm, sich aus traumhaften Glückszuständen aufzuwecken, sich zu sammeln, zu reflectiren und dann sich gleichsam auf die andere Seite zu legen und weiter zu geniessen. Wenigstens hat er in seinem Roman „Kinder der Welt“ Balder, den am idealsten angelegten Charakter des Buches, diesen letzten Gedanken noch gewichtvoller ausführen lassen. Schwermüthige Betrachtungen sind eben ausgesprochen worden, Betrachtungen über die Sonne, die gleichgültig über Ungerechte scheine und Gerechte und mehr Elend als Glück sehe, über die endlose, sich stets erneuernde Noth des Lebens u. s. w. Franzel, der junge socialistische Buchdrucker, hat eben entwickelt, wie der, welcher das allgemeine Loos der Menschen bedenke, am wenigsten im Stande sei zur Ruhe zu kommen, und hat in seinem Schmerz das Leben ein Unglück und eine Lüge genannt, als Balder ihm zu zeigen sucht, wie ein Leben, worin man zur Ruhe käme, überhaupt nicht mehr diesen Namen verdienen würde. Er erklärt ihm dann, worin der Lebensgenuss für ihn bestehe, nämlich darin, „Vergangenheit und Zukunft in Eins zu empfinden“. Höchst eigenthümlich hebt er hervor, dass er nicht geniessen könne, wenn er sich nicht ganz empfinde, und dass er in den stillen Augenblicken der Betrachtung alle die zerstreuten Elemente seines Wesens in einen Accord vereine. „So oft ich wollte, das heisst, so oft ich mir ein rechtes Lebensfest machen und mein bischen Dasein aus dem Grunde geniessen wollte, habe ich so zu sagen alle Lebensalter zugleich in mir erweckt, meine lachende, spielende Kindheit, wo ich noch ganz gesund war, dann das erste Aufglänzen des Denkens und der Gefühle, die ersten Jünglingsschmerzen, die Ahnung, was es um ein volles, gesundes Mannesleben sein müsste, und zugleich auch die Entsagung, die sonst nur ganz alten Menschen leicht zu werden pflegt“. Für eine solche Lebensauffassung ist das Menschenleben nicht in Augenblicke zerklüftet, die verschwinden und deren Verschwinden beklagt wird, auch nicht im Dienste sich gegenseitig widerstrebender Triebe und Gedanken zersplittert; für eine solche Fähigkeit, in jedem Augenblick Anker zu werfen, die Ganzheit und Wirklichkeit seines Wesens zu fühlen, kann das Leben nicht wie ein böser Traum zerrinnen. „Glaubst Du nicht“, sagt Balder, „dass der, welcher in jedem Moment, wenn er nur will, eine solche Fülle des Daseinsgefühls in sich erzeugen kann, es für ein leeres Wort halten muss: nicht geboren zu sein, wäre besser?“4 Man beachte, dass es ein todtkranker Krüppel ist, welcher diese Worte spricht und noch dazu ein Krüppel, den der Dichter augenscheinlich in dem Bilde des so verschieden denkenden Leopardi's

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<p>2</p>

Kinder der Welt II, 17. Im Paradiese I, 31.

<p>3</p>

Gesammelte Werke IV. 135.

<p>4</p>

K. d. W. II. 612.