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ich fand sie am Ende doch noch, und dann fand ich gleich die anderen schönen Dinge, die dazu gehören: nämlich eine kleine Lampe über dem Tisch und sogar etwas Öl drin, und einen eisernen Ofen und Torf daneben und sogar Kienspäne, alles, als wenn's auf mich gewartet hätte. In einer Minute schlug die Flamme auf. O du grundgütiger Himmel, wie schön war das Feuer, wie schön, wie schön! Ich stöberte weiter umher; und jetzt hatt' ich Glück auf Glück. Es kommt immer gehäuft, Unglück und Glück. Erst lag in der Koje ein tüchtiger Schafpelz; merkwürdig genug, daß der Schiffer den hatte liegen lassen. Na, ich hatte nichts dagegen, ich zog ihn an, und mir fing an mollig zu werden. Dann in dem Wandschapp eine Flasche Rum, nicht die feinste Sorte, aber immer Rum, und eben erst angetrunken. Komischer Kerl, dacht' ich, der Schiffer! So was dazulassen, wenn man den langen Weg übers Eis vor sich hat! Ein ordentlicher Seefahrer hätt' das nie übers Herz gebracht – aber na, so'n Kahnfriedel!

      Ich setzt' einen kleinen Topf auf den Ofen, tat Schnee hinein, und bald war mein Grog fertig. Aber steif wie nie, Halb und Halb ist Kindermilch dagegen. Und dann setzt' ich mich auf die Bank daneben und taute inwendig langsam auf. Und wie wohl es einem Menschen um die Seele 'rum werden kann bei Grog und Feuer und Schafpelz, das kann bloß der nachfühlen, der gerade so ein kleines Sommervergnügen wie ich hinter sich hat.

      Da saß ich also in meiner Gemütlichkeit, duselte vor mich hin und dacht' an viel und dacht' an gar nichts.

      Wenn jetzt einer hier vorbeikäm', dacht' ich, und säh' den fidelen Rauch aus dem ollen eingefrorenen Torfkahn aufsteigen! Aber hat sich was mit dem Vorbeikommen. 'Ne Landstraße ist hier gerade nicht und ein Aussichtspunkt auch nicht. – Und wenn der Kahnfriedel selber käm'? Ob er wohl hauen würd'? Ich denke, nein; und wenn, dann haut' ich wieder. – Und was mag denn wohl jetzt die Uhr sein? – Richtig, sieben Uhr auf'n Knopf. Also jetzt hat sich der Schlingel, der Heinz, gerade aufgewärmt von der Postreise und geht über die Brücke und das Bollwerk entlang zu unserer kleinen Hersilie. Und jetzt tritt er ein, und Hersilie, ganz in Schwarz, aber sehr schön, erschrickt und wird rot und gibt ihm die Hand; und er küßt die Hand und wird auch rot und stammelt etwas; und sie wird noch röter und schlägt die Augen nieder und nickt ganz leise; und er faßt sie rundum mit aller Macht und küßt sie auf die Stirn und den Mund, und sie weint, und er weint auch, und sie lacht, und er lacht auch –

      So deutlich sah ich die ganze Geschichte vor mir, richtig wie ein lebendes Bild oder ein Schauspiel. Aber das war nun ein reines Wunder Gottes dabei, daß ich das mit ansehen oder mir doch einbilden konnte, ohne aus der Haut zu fahren! Wer mir das vor ein paar Stunden gesagt hätte! Aber es war so: ganz ruhig blieb ich und gemütlich, und fiel mir gar nicht einmal ein, daß ich doch eigentlich aus keinem anderen Grunde hier auf dem Torfkahn saß, als weil ich eben diesem Heinz eben dieses Mädchen abjagen wollte.

      Küßt ihr euch nur! dacht' ich jetzt recht seelenvergnügt, und bildet euch wunder was für Süßigkeiten dabei ein: meinen Schafpelz und meinen Ofen und meinen steifen Grog habt ihr doch nicht! – Und wenn jetzt der Teufel selbst in Person zu mir gekommen wär' und hätt' gesagt: Nimm du die schöne Hersilie und gib dem Heinz dafür die drei Stücke! – »Den Teufel auch,« hätt' ich gerufen, »nicht eins von den dreien geb' ich her! Und wie werd' ich denn meinem alten Kameraden seine Liebste abjagen? Pfui Teufel! So ein Schuft bin ich mein Lebtag nicht gewesen. Jedem das Seine! Ihm die Braut und mir die dreifache Heizung, das ist christlich und kameradschaftlich geteilt.«

      So war's und so blieb's. Es ist die ganz buchstäbliche Wahrheit, mag es klingen wie es will: meine ganze Liebe und meine ganze Eifersucht waren alle beide im Haffeis eingefroren wie ein alter Torfkahn. Und sind auch festgefroren geblieben für Zeit meines Lebens. An die hübsche Hersilie hab' ich nie mehr anders gedacht, als an andere nette Mädchen; aufgeregt hat's mich nicht mehr. Von diesen Frühlingsgefühlen hat mich die lustige Badereise kuriert: eine Pferdekur ist's gewesen, aber geholfen hat's.

      Ja, aber nu: wie ich wieder 'rausgekommen bin aus dem alten Torfkahn? Na, das war auch man so; und 'ne besondere Sache war's.

      Also, wie ich nun so viel Grog hatte, als ich ungefähr vertragen konnte, verfiel ich in einen Schlaf; ich hatt' gerade noch Zeit, mich in der Koje auszustrecken und den Schafpelz überzudecken, und weg war ich. Und hab' denn auch die ganze schöne Nacht in Frieden geschlafen.

      Und zuletzt hatt' ich einen Traum, daß eben das Eis unter mir bräche und ich mit aller Gewalt ins Wasser sauste, immer tiefer, immer tiefer; und ich hörte im Sinken das Wasser an meinen Ohren vorüber rauschen und rauschen und immerfort rauschen –

      Und meine Angst wurde so groß, daß ich davon aufwachte. Und ich fuhr in die Höhe, stieß mir den Kopf und horchte. Denn es war etwas zu hören. Wahrhaftig, es rauschte immer noch, über mir, um mich her, rauschte und rauschte –

      Himmeldonnerwetter, was sollte das sein? Nu natürlich, Regen war's, richtiger, strammer Pladderregen.

      Also mit dem Tauwind hatte es doch seine Richtigkeit gehabt. Das war eine nette Bescherung. Da saß ich nun richtig im Gefängnis, konnte nicht mehr ausbrechen, und kein Mensch konnte zu mir 'rankommen. Denn wenn das Eis gestern schon so teuflisch geknistert und geknackt hatte, wie sollte das erst heute werden nach der Regennacht? Daran war gar nicht zu denken, wieder aufs Eis zu gehen, außer um schnell ein Ende zu machen.

      Und daran dacht' ich nun aber wirklich. Denn was hatt' ich sonst für schöne Aussichten? Bis das verdammte Eis ganz aufging und die Schiffahrt frei wurde, das hatte gute Weile bei allem Tauwetter, wenn nicht etwa gleich Hundstagshitze kam. Bis dahin würd' ich gerade in aller Gemütlichkeit verhungert sein – denn zu essen hatte der Hallunke von Schiffer nicht eine Brotrinde dagelassen, und der Rum würde auch bald alle sein – außer wenn mich vorher ein Sturm faßte und umschmiß oder leck machte.

      Da kriegt' ich's richtig mit der Verzweiflung. Mit der niederträchtigen, gemeinen, unchristlichen Hundeverzweiflung.

      Das einzige ist, dacht' ich, du machst es wie mancher Matrose, wenn das Schiff nicht mehr zu halten ist und alles aus ist: du säufst Rum bis zur Bewußtlosigkeit, und dann mit einem Sprung aufs Eis und durchs Eis ins Wasser. –

      Und das dacht' ich nicht bloß so wie ein Hanswurst, um mich selbst graulich zu machen, sondern in verdammtem Ernst, und war, weiß Gott, nicht mehr weit ab davon, die Flasche vor den Kopf zu nehmen.

      Da mit einem Male – bum – bam – bum – bam – bum – bam – was ist das? Da fängt es draußen an zu dröhnen und zu summen und zu singen und zu klingen – bum – bam – bum – bam – richtiges, offenbares Glockengeläut, und das so laut und fest, als ob der Kirchturm nicht ein paar hundert Schritt von meinem Kahn ab sein könnte.

      Allmächtiger Gott, dacht' ich, was sind das für Neuigkeiten? Entweder bist du wahnsinnig geworden von der Angst, oder – und mir kam die alte Geschichte in den Sinn, daß in der versunkenen Stadt Vineta manchmal die Glocken läuten sollen unter Wasser: aber wer das Läuten gehört hat, ist ein verlorener Mann und sieht das Land nie wieder – Und das bist du jetzt, und also sind das deine Totenglocken.

      Aber Vineta liegt weit draußen in der Ostsee bei Streckelberg, wie kann man da das Läuten bis hier hören? Ja, dafür sind es Zauberglocken; christliche Glocken läuten auch erst nach dem Tode, nicht vorher.

      Indessen ging das draußen ruhig weiter – bum – bam – bum – bam – immer schöner, immer freundlicher.

      Ich machte die Augen zu, und da kam es mir vor, als ob es die Weihnachtsglocken wären. Und ich faltete die Hände und dachte an die Zeiten früher, wenn am heiligen Abend die Glocken gingen und dann gleich der Baum angesteckt wurde und aufgebaut war – mein Gott, was alles für Herrlichkeiten! – Und wie nachher immer mein erstes gewesen, noch schnell am Abend zu Heinz Wichards zu laufen, seine Sachen zu besehen und meine zu zeigen und zu teilen, was zu teilen war – ja wahrhaftig, wir hatten alles Gute damals geteilt als gute, treue Kameraden, ohne Neid und giftige Eifersucht bis –

      Und in diesem Augenblick hatte ich nur den einen Wunsch und eine recht bitterliche Sehnsucht, meinen Heinz nur einmal noch vor meinem Ende zu sehen, ihm um den Hals zu fallen und – na, ihm eine Kleinigkeit abzubitten.

      Bum – bam – bum – bam –

      Und nun klang es langsam, feierlich aus und wurde ganz still, ganz still.

      Und

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