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Die Ahnen. Gustav Freytag
Читать онлайн.Название Die Ahnen
Год выпуска 0
isbn
Автор произведения Gustav Freytag
Жанр Зарубежная классика
Издательство Public Domain
Über das Waldgebirge breitete sich ein fahler Lichtschein, vielleicht kam er aus dem Boden, vielleicht aus den Wolken des Himmels, undeutlich sah man die Berge über die schwarze Nacht der Talgründe ragen. Plötzlich flammte ein Blitzstrahl. Und wilder als Brausen des Waldes und Gekrach der Bäume klang der Herrenruf des Donnergottes.
Ingo stand hoch über dem Gießbach, mit der Faust hielt er sich fest an einer Wurzel, die seitwärts aus dem Boden ragte, und ehrfurchtsvoll neigte er sein Haupt zu Strahl und Donnerton. »Unter den Nachtgöttern, die ich mir zur Hilfe beschwor, nahst auch du,« murmelte er, »starker Gebieter, was kündet dem flehenden Mann die Himmelsflamme, in der du daherfährst? Mahnst du mich hinweg von der Menschenerde in die Lichthallen, und soll ich zerbrechen, wie die Waldwipfel im Sturme, oder willst du mir vergönnen, daß ich der Frucht gleich, die von deinem Baume fällt, festhafte in den Tälern, wo Menschen wohnen? Hast du ein Zeichen für mich, so laß mich vernehmen, ob die Tat, die ich wagen will, mir zum Heile gelingt.« Da fuhr ein Feuerstrahl aus der Wolke in den Felsen unter ihm, und aus dem Fels flammte blaues Licht dem Blitzschlag entgegen, der Donner krachte, das Felshaupt löste sich und sank in Sprüngen hinab von der Höhe in das Tal, immer wilder die Sätze und schneller der Sprung, es brach durch den Wald und splitterte den Stein, bis es in den Gießbach schlug, daß der Gischt hoch gegen den Himmel sprühte. Aber dem Schlag und Getöse folgte Stille, und aus der Ferne klang mahnend ein Nachtruf von Männerstimmen. Da rief Ingo in wilder Freude: »Die Hochzeitsknaben höre ich, sie laden zum Brautlauf; segne unser Werk, großer Gebieter«, und die Waffe schwingend sprang er durch Wetterwolken und schwarze Nacht dem Tale zu.
Der Mond war hinter den Bergen geschwunden, schwarze Nacht deckte die Waldlauben, mit Getöse fuhren die Sturmriesen um die Häuser des Herrenhofes, sie schlugen den eisigen Regen auf die Dächer, schleuderten die Bretter vom First der Halle und stießen brüllend gegen die geschlossenen Tore. Wer von den Männern im Toben der Nachtgewalten erwachte, der barg scheu das Haupt in seinem Pfühl, selbst die Hofhunde lagen winselnd in den Hütten und unter der Treppe. Im Gemach der Jungfrau flackerte das Licht der Lampe in der scharfen Zugluft, die durch Tür und Wände drang. Irmgard saß an ihrem Lager, vor ihr kniete auf dem Boden Frida, hielt mit ihren Armen den Leib der Gespielin umfaßt und horchte ängstlich auf das Geheul der Nachtgeister.
»Die Windsbraut fährt dahin über die Höfe,« klagte Irmgard, »gejagt von den Riesen; wer es wagt, sein Messer in den Wirbel zu werfen, der verwundet, so sagen sie, das flüchtige Weib. Auch mich hat der Vater mit dem Messer bedroht, weil ich auf meinen Knien flehte, mir morgen das Gelübde an den argen Mann zu erlassen. Dahinfahren will ich wie die Riesenbraut, bevor ich dem Verhaßten die heiligen Worte sage.«
»Sprich nicht so furchtbar,« bat Frida, »daß nicht die Übermenschlichen draußen es hören und dich an deine Rede mahnen.« Und wieder hob sie ihr Haupt und lauschte.
»Nicht lange währte die Seligkeit, die mir die Götter sandten, als er in den Hof trat«, begann Irmgard wieder. »Damals war ich sorglos, als die Nachtsängerin mir Gutes sang und die schwarzen Beeren am Fruchtbaum hingen, stolz meinte ich im Federkleid über die Männererde zu schweben, wenn er zu mir sprach. Jetzt starre ich allein in die Finsternis. Hassen muß ich mich,« fuhr sie auf, »daß ich über die eigene Not klage. Ingo, Geliebter, bitter ist die Sorge, die ich um mich selbst fühle, aber größer das Leid um dein Geschick, denn du bist dahingeschwunden im Nachtwind, keiner bringt mir Kunde von dir, und ich weiß nicht, denkst du mein oder hast du mich vergessen, atmest du noch in der Fremde, bedrängt wie ich, oder soll ich dir den Purpur tragen unter die Erdscholle.« Sie sprang auf und rief: »An meinem Herzen berge ich dein Geheimnis, gebunden bin ich an dein Leben und leben muß ich, bis ich weiß, wo das Haupt meines Königs ruht. Sieh zu, ob der Morgen naht, vor dem ich bebe«, rief sie der Gespielin zu. Frida sprang an die Fensteröffnung und schob einen Zipfel der Decke zurück, gellend brach ein Windstoß herein, warf einen Strahl Himmelswasser in das Gemach und traf die Wange der Frauen mit kalten Schlägen. »Keinen grauen Schein sehe ich am Himmel und keinen Klang höre ich als das Stöhnen in der Luft«, versetzte Frida und verschloß wieder die Öffnung mit Laden und Decke.
»Sei bedankt,« sprach Irmgard, »jetzt ist noch Zeit, fröhlich zu sein. Wenn aber der Morgen kommt, dann werden sich die Hochzeitsgäste sammeln, im Festkleid nahen sie und der Ring wird geschlossen, sie ziehen das Weib hinein, sie sprechen ihr die Worte vor und höhnen sie durch die Frage, ob sie geloben will. Nein«, schrie sie. »Dann sehe ich erschreckte Gesichter und zornrot eines. Er faßt nach dem Messer. Stoß zu!« Und das Antlitz in den Händen bergend, klagte sie: »Armer Vater, auch dir wird es traurig sein, dein Kind zu verlieren. Denn auf einsamem Pfade fahre ich dahin, über leere Heide gleite ich, durch Eisströme wate ich, still ist der Weg und kalt ist die Nacht zum Tor der Todesgöttin, und um mich herum regen sich lautlos die schwarzen Schatten.«
Die Haustür erdröhnte und sprang auf, eine Schattengestalt drang herein, eine zweite, ein ganzer Hauf, riesig die Leiber, schwarz die Häupter und schwarz das Gewand. Entsetzen faßte die Frauen, als sie das Nachtgreuel sahen. Aber aus dem Ring der schweigenden und gleitenden Unholde sprang einer heran. Nur ein Laut, ob ein Schrei, ob ein Seufzer, kam von Irmgards Lippen, dann sank eine dunkle Kappe über ihr Haupt, mit Riesenstärke ward sie gefaßt und hinausgetragen in die Sturmnacht. Hinter ihr warf ein anderer der Nachtgesellen die Hülle über Fridas Haupt und wollte sie heben. Sie aber sträubte sich heftig, und obgleich ihr schauderte, rief sie doch: »Freiwillig will ich gehen auf eigenem Fuße auch unter Nachtgespenstern; hinter der Bärenkappe merke ich eine rötliche Locke, die ich kenne.« Im nächsten Augenblick war das Gemach leer, die Tür von außen geschlossen, durch eine große Lücke der Hofmauer, welche die Nachtgesellen gebrochen, sprangen sie ins Freie. Unter Sturm und Regen schnaubten wilde Rosse und fuhren Reiter dahin. Und wieder schrien die Geister des Sturmes gellenden Racheruf und schleuderten das Wolkenwasser gegen die Dächer des Hofes, aus dem das Herrenkind geschwunden war.
Als der nächste Tag sich neigte, schwieg der Sturm, und die Sonne färbte mit rotem Abendlicht die Eichen der Idisburg. Da sprengte aus dem finstern Walde, der hinter dem Holzring ragte, eine Schar Reiter dem Burgwall zu. Berthar, der selbst die Turmwache hielt, eilte an das Tor und rief, die Arme hebend, den Kommenden lauten Heilgruß entgegen. Die Rosse stoben in den Hof, zwei verhüllte Frauen wurden herabgehoben, Ingo löste die Kappe der ersten und Irmgards bleiches Antlitz wurde vom Sonnenlicht bestrahlt. Die Vandalen warfen sich vor ihr auf die Knie, sie faßten ihre Hand und den Saum des Gewandes und riefen jubelnd Heil ihrer Königin. Berthar aber nahte der Regungslosen ehrfurchtsvoll, faßte ihre Hand und sprach: »Schließt den Ring, Blutgenossen, fleht, daß die hohen Götter den Bund der Könige segnen!« Und er tat die heilige Frage der Vermählung an Ingo, Ingberts Sohn, den König der Vandalen. Darauf wandte sich der Alte, der an Vaterstelle stand, zu der Jungfrau und tat dieselbe Frage. Da öffneten sich ihre Lippen zum erstenmal seit der Angstnacht, aber die bebenden Worte klangen: »Ja, ich will.« Und die Vandalenfrau barg ihr Angesicht an der Brust des Mannes, der ihr lieb war.
Unter den Eichen wurde das Brautmahl gerüstet. Die Knaben trugen die Holztafeln und stellten sie auf Kreuzhölzer, die sie gefügt. Auch den Ehrensitz für den Wirt und die Wirtin hatten sie vorsorglich gezimmert und mit einer Armlehne erhöht. »Laß dir, edle Herrin, heut zum Willkommen, das wilde Mahl deiner Knaben gefallen«, bat der Alte. »Holzschüsseln bieten wir dir statt Silber und zu dem Trunke aus dem Quell und dem Met, den die Bauern gebraut, das Fleisch eines Ebers aus deinem Walde. Sei gnädig und hold deinem Volke.«
Und am Abend sprach Berthar vor der Eiche zu Ingo: »Wie lange ich lebe, oft war ich fröhlich in meinem Sinn, wenn ich auch nur ein schweifender Recke bin; aber fröhlicher als zuvor stehe ich heut vor meinem Herrn. Denn das Nest, das wir hier gebaut wie die Habichte über dem Felsen, das dünkt mich gute Arbeit für dich und eine andere. Und metselig will ich das Werk rühmen, die guten Bollwerke, die tiefen Gräben, die schaffenden Fäuste der Männer. Mehrerlei Menschenwerk habe ich geübt, und öfter habe ich zerschlagen als gebaut, aber als die trefflichste Arbeit lobe ich neben dem Sprunge in die Schlacht die Arbeit der Axt, welche auf herrenlosem Grunde ein Heimwesen schafft. Ruhe,