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die Herren?«

      Er war auf den langen Gang hinausgetreten und wollte eben die erste Tür desselben gewaltsam öffnen, als plötzlich ein Herr heraustrat und ihn ruhigen Blickes ansah, ein junger, sehr vornehm scheinender Mann, dessen halbes Antlitz von einem bis auf die Brust hinabreichenden Barte völlig verdeckt war.

      »Mein Herr Offizier«, sagte er, »ich stelle mich Ihnen zur Verfügung. Da der Reisepaß in Ihren Händen liegt, so weiß ich nicht, woran es etwa sonst noch fehlen könnte! Bitte, befehlen Sie!«

      Monsieur Renard schien zu erschrecken, »Sie wären Herr Andreas Poppinga?« sagte er in zweifelndem Tone.

      »Ja. Wünschen Sie sonst noch etwas?«

      Die Blicke des Franzosen verrieten sein Mißtrauen. »Weshalb, wenn Sie hier in Emden wohnen, beziehen Sie ein Hotel, mein Herr Poppinga?«

      »Weil ich in einer Stunde wieder abzureisen gedenke«, war die Antwort. »Haben Sie übrigens das Recht, unverdächtige Personen derartig auszufragen, mein Herr?«

      Der Offizier drehte sich um, er ließ den Paß auf einen Tisch fallen. »Es ist gut«, sagte er, »Sie können gehen.«

      Der Fremde ergriff das Blatt, wie sich jemand auf einen mühevoll errungenen Schatz stürzt. »Lassen Sie in einer Stunde einen Wagen bereitstehen, Herr Wirt, mein Vater und ich reisen weiter nach Bremen, meine Schwester dagegen bleibt hier bei Verwandten.«

      »Sehr wohl, Herr Poppinga.«

      Der Wirt rieb sich untertänigst die Hände. Damals fand jede Lüge ein williges Ohr, der Betrug war das gewohnte Verkehrsmittel und die kecke Schlauheit das preisgekrönte Verfahren des einen gegen den anderen. Zwei fremde Herren ohne Gepäck oder Legitimation waren am vorigen Abend im Hause Düke Mommsens erschienen und hatten gesagt, daß sie unbemerkt ein paar Rasttage zu halten wünschten – jetzt bemächtigte sich einer derselben des fremden Passes und Namens, er bestellte einen Wagen und ging selbst hastig die Straße hinab, aber der Gastwirt verriet durch keine Bewegung das Erstaunen, welches er empfand, er verdoppelte nur sogleich in Gedanken die Preise der bisher aufgestellten Rechnung und bewunderte die Geistesgegenwart des Unbekannten, der sich auf so dreiste Art in den Besitz des Legitimationspapieres zu setzen gewußt hatte.

      Monsieur Renard war fortgegangen. Düke Mommsen eilte in Onnens Zimmer und erlöste diesen aus der Gefangenschaft. »Gottlob«, keuchte er, »es ist alles gut abgelaufen. Der Teufel hole die Franzosen! – So, nun bist du wieder ein Junge; komm mit hinunter, ich denke, du sollst mit den fremden Herren eine Strecke weit fahren, um nur erst einmal aus dem Gesichtskreise des schurkischen Beamten zu verschwinden.«

      Onnen folgte ihm in das Gastzimmer. »Wer sind die beiden?« fragte er.

      »Weiß ich es? Menschen, denen dein Paß vortrefflich zustatten kam. Nun iß nur erst ein wenig, hörst du – da ist wahrhaftig der eine schon wieder; er sieht aus, als sei ihm ein großes Glück begegnet.«

      Duke Mommsen umschmeichelte aalglatt den Fremden, er stellte ihm den Sohn des Kapitäns förmlich vor und erreichte es, daß dieser mitfahren durfte. »Wir werden dich nach Larrelt bringen«, sagte freundlich der Herr. »Lassen Sie nur den Wagen vorfahren, Herr Wirt, und besorgen Sie die Rechnung.«

      Von Monsieur Renard war nichts zu sehen. In völliger Dunkelheit fuhren die beiden Fremden mit Onnen auf dem Rücksitz davon und in die Nacht hinaus; sie sprachen sehr eifrig miteinander, aber immer französisch, so daß unser Freund keine Silbe verstand; erst als hinter dem Wagen ein anderes Pferd wieherte, hob einer der Herren horchend den Kopf.

      »Man verfolgt uns!«

      »Schadet nicht!« versetzte gleichmütig der zweite. »Ich bin auf der Präfektur gewesen und habe unseren Paß nach Bremen ausfertigen lassen; mögen also die Franzosen kommen.«

      Der erste sah immer noch aus dem kleinen Hinterfenster der Kutsche. »Ein Einspänner«, sagte er, »zwei Männer sitzen darin. Verfolgt man dich, mein guter Junge?«

      Onnen schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht, Herr.«

      »Was bist du denn eigentlich? Ohne Zweifel ein Schmuggler!«

      Onnen schwieg. Es war, als drücke ihm eine unsichtbare Hand die Kehle zusammen. Ein Schmuggler! —jemand, der auf verbotenen Wegen ging!

      Im gleichen Augenblick schlug einer der Insassen des zweiten Wagens Feuer für seine Pfeife. Obwohl er den aufflammenden Blitz sogleich mit der Hand bedeckte, war doch dem Beobachter Zeit genug geblieben, um sein Gesicht zu sehen – er erschrak heftig und bog den Kopf zurück, als fürchte er, trotz Finsternis und Entfernung selbst erkannt zu werden. »Es ist Lemosy!« sagte er halblaut. »Bei Gott, Lemosy!«

      »O – du wirst irren. Das wäre schrecklich!«

      »Es ist Lemosy, ich sage es dir.«

      »Um Verzeihung«, warf Onnen ein, »der Herr, den Sie da soeben gesehen zu haben glauben, ist Polizeimeister des Departements Ostems.«

      »Das wußte ich nicht! Alle Teufel, was fangen wir an?«

      »Sie wollen also von diesem Herrn Lemosy nicht gesehen werden?«

      »Unter keiner Bedingung!«

      »Dann lassen Sie mich nur machen.«

      Er öffnete das Vorderfenster und befahl dem Kutscher, einen Seitenweg einzuschlagen.

      Der Mann schüttelte den Kopf. »Da kämen wir ja an das Emswatt!« sagte er verdrießlich.

      »Das ist auch unsere Absicht.«

      »Na, mir kann‘s recht sein. Hü, Lotte!«

      Er wandte das magere alte Pferd und fuhr in veränderter Richtung weiter; der Fremde beobachtete dabei klopfenden Herzens den zweiten Wagen – ohne zu zögern, nahm dieser die Verfolgung auf, beide fuhren auch jetzt wieder hintereinander.

      »Das gilt dem Knaben!« sagte leise der Fremde. »Lemosy hat uns weder gesehen, noch kann er vermuten, daß wir hier sind.«

      Der andere strich mit der Hand über die Stirn. »Zum Watt kommen wir, Junge? Werden uns da die Franzosen nicht erreichen können?«

      »Ich hoffe nicht. In Larrelt steht ein Wachtposten der Zollbeamten, dahin können Sie auf keinen Fall gehen.«

      Der Wagen fuhr auf dem ebenen Kleiwege ziemlich schnell dahin, so daß der feuchte Hauch vom Watt herüber sehr bald die Luft erfüllte. Über dem Schlick (dem zur Zeit der Ebbe trockenliegenden Grunde des Watts) ballten sich Nebelwolken; grau in grau lag baumlos in herzerkältender Öde die ganze Umgegend. Onnen stand aufrecht im Wagen. »Sobald ich deine Schulter berühre, hältst du, Landsmann! – oder ist dir selbst die Gegend genau bekannt?«

      »Ganz genau!«

      »Gut, dann laß deine Mähre bei dem tiefen Einschnitt des Weges, wo der Kanal ausmündet, ganz plötzlich stillstehen!«

      Er beobachtete fortwährend. »Jetzt kommt die Stelle! Öffnen Sie ein wenig die Wagentür und laufen Sie mir getrost nach! – Nun!«

      Das Gefährt hielt mit einem einzigen Ruck, so schnell und unerwartet, daß das Pferd des anderen Wagens mit dem Kopfe gegen das Kutschendach stieß und der Einspänner von der Wucht dieses plötzlichen Anpralls auf die Seite fiel.

      Beide Insassen stürzten unsanft auf die Straße.

      »Hurra!« schrie Onnen. »Mir nach, Poppinga und Sohn! Ha, ha, ha —«

      Er hatte mit einem gewaltigen Satz den Schlickgrund erreicht und stürmte vorwärts, gefolgt von den beiden Fremden, welche wie Schatten auf dem grauen, schlüpfrigen Watt neben ihm herliefen.

      Während auf der Straße die Kutscher schimpften und die Pferde stampften und wieherten, hatten sich Monsieur Renard und der Polizeimeister Lemosy in aller Eile aufgerafft und waren den Flüchtlingen gefolgt. Mit den genaueren Verhältnissen des fremden nordischen Landes völlig unbekannt, konnten sie Onnens Plan nicht voraussehen und verloren dadurch mindestens zwei Minuten, anderseits aber erwachten auch durch den Sturz auf den Fußboden der Ärger und Verdruß – hitziger als sonst wohl wurde die Verfolgung im selben Augenblick aufgenommen und fortgeführt.

      Onnen

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