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schlangen sich hindurch. Am Oberarm hatte der Mann ein hölzernes Stäbchen mit mehreren Schnüren befestigt, sonst war nicht einmal zum Schutz der nackten Füße irgend eine Vorrichtung getroffen, außerdem aber auch die Haut des ganzen Körpers mit einer Art Aussatz bedeckt.

      Die Jammergestalt wollte schleunigst flüchten, aber auf Holms Wink ersuchte ihn der Führer noch zu bleiben und den Herren zu antworten. »Es soll dir kein Leides geschehen, Graukopf,« setzte er hinzu, »komm und sprich dreist.«

      Der Wilde trat näher und bot den Fremden seine Schwämme. »Die Aniyas sind arm,« sagte er, »sie können den Weißen keine Gastfreundschaft darbringen; ihre Wohnungen bestehen aus einem Mooslager in der Felsenspalte und ihre Nahrung aus Waldfrüchten.«

      Die wohlduftende Gabe wurde dankbar angenommen und dafür der Korb des Wilden mit Geschenken aller Art angefüllt. Holm fragte den Führer nach dem Grunde dieser auffallenden fast nirgends mehr gefundenen gänzlichen Nacktheit und erhielt zur Antwort, daß kein Eingeborner von Fernando Po jemals ein Kleidungsstück an sich dulden würde; vielfache Versuche in dieser Richtung seien bereits fehlgeschlagen, dagegen verwende man auf die Herstellung des Kopfschmuckes alle mögliche Sorgfalt. »Die Aniyas sind ein melancholisches Volk,« setzte er hinzu. »Der fortwährenden, hier heimischen Hautkrankheiten wegen glauben sie unter einem Banne zu stehen. Aber der Alte soll selbst erzählen.«

      Und dann nach kurzer Rücksprache berichtete der Wilde folgende Tatsachen, die auf Fernando Po wie eine Art geschichtliche Überlieferung sowie eine Glaubenslehre gelten. »Die ersten Menschen lebten gesund und glücklich,« hieß es, »denn sie kannten noch nicht die Wohnung des großen Geistes, sie hatten noch nicht seinen Zorn herausgefordert und das Mißgeschick über ihre Häupter herangerufen. Schwämme und Beeren, Wurzeln und Früchte boten die Wälder, die See lieferte Fische und Muscheln, die Kinder meines Volkes wußten nichts von Krankheit oder Hunger. Da verleiteten die bösen Mächte, die in den finsteren Erdtiefen wohnen, einstmals einen der Aniya-Jäger, einem voraneilenden Affen über Felsspalten und durch verworrene Schluchten zu folgen, bis endlich ein grauenvolles, nur von zuckenden Blitzen erhelltes Tal sich vor ihm auftat. Der Affe verschwand plötzlich, der Weg wurde enger und enger, sonderbares, unbekanntes Getier flog und kroch über die Felsspitzen, und aus dem Winkel hervor trat ein Riese von übermenschlicher Größe mit schweren Waffen und einer furchterregenden Stimme. ›Was vermissest du dich, mein Reich zu betreten, vorwitziger Mann!‹ rief er. ›Das sollst du mit dem Leben bezahlen.‹

      »Der Aniya-Iäger, welcher nicht wußte, daß der große Geist in Gestalt eines Riesen vor ihm stand, bereitete sich zum Kampfe. Im Anfang des Ringens schien es, als ob der Bewohner der Höhle siegen werde, dann aber traf ihn ein Schlag von dem Jagdspeer des anderen und streckte ihn zu Boden. Er sah zu seiner Rettung nur noch einen Ausweg, nämlich den der List. ›Ich bin mächtig,‹ begann er. ›viel mächtiger als du glaubst, Mensch, ich kann alle deine Wünsche erfüllen. Wähle dir, was du zu besitzen verlangst, aber laß mich frei!‹

      »Der Aniya erbat sich nun eine ewige, nie wechselnde Fruchtbarkeit des Bodens, einen heiteren Himmel und schöne Blumen; er wollte Jagdglück erringen und kräftige Muskeln behalten bis in das höchste Alter; – alles bewilligte ihm der Riese und mußte zuletzt auch den Felsen gebieten, sich zu öffnen und den Fremdling ziehen zu lassen. Sobald aber dieser die unheilvolle Grotte im Rücken hatte, ertönte hinter ihm ein spöttisches Lachen. ›Ha, ha, ha, deine Haut hast du vergessen, kurzsichtiger Tor! Fortan soll dich jede Stunde daran erinnern, daß du dem großen Geiste eine Beleidigung zugefügt. Zieh hin, das Kra-Kra wird von deinem Stamm nicht mehr weichen.‹

      »Und so geschah es,« schloß der Alte. »Mein Volk ist bis auf diesen Tag nicht wieder erlöst von dem Zorn des großen Geistes. Das Kra-Kra überfällt jedes seiner Kinder.«

      Der Führer hatte Wort für Wort diese ganze Rede übersetzt; er schüttelte den Kopf, als Doktor Bolten entrüstet einer solchen Auffassung von dem Wesen des großen Geistes entgegentreten wollte. »Das nützt nichts, meine Herren,« versicherte er, »sie glauben es alle, Männer und Frauen, wie sie denn auch alle an der schlimmen Hautkrankheit zu leiden haben. Dieser hier plagt sich augenscheinlich daneben auch noch mit dem berüchtigten Guineawurm. Sehen Sie, er haspelt ihn aus der Haut heraus.«

      Der Wilde zeigte seinen Oberarm, an dem unter einer Schicht von gequetschten Blättern, da wo das Holz lag, ein kleines Geschwür zu Tage trat. Ein rot schillernder Faden, dünn wie Zwirn, war zum Teil um das Stäbchen gewickelt, zum Teil aber mußte er noch im Fleische stecken. »Der Guineawurm,« erläuterte der Führer. »Er kommt nur an der Goldküste und hier vor, also an den ungesundesten Stellen, und erregt da, wo er sich Eingang verschaffte, ein bösartiges Geschwür. Als unsichtbar kleine Milbe auf die Haut gelangt, wächst das schreckliche Tier im Fleische bis zur Länge von vier Metern, und zwar wie alle mit der Polypenfamilie verwandten Geschöpfe, indem es, etwa zerrissen oder durch äußere Gewalt halb von seinem Platze entfernt, trotzdem sich ergänzt und ungestört fortlebt. Welche Schmerzen es erregt, das läßt sich denken.«

      »Und mit diesem Holze wickelt es der Mann heraus?« fragte Franz schaudernd.

      »Ja, das heißt, sehr langsam, vielleicht kaum einen Zentimeter lang an jedem Tage. Es fordert Monate, bis der ganze Wurm beseitigt ist.«

      Mehrere andere Eingeborne waren während dieser Unterhaltung herbeigekommen, alle mit Körben zum Schwämme- oder Beerensuchen, alle mit dem seltsamen Kopfputz und ohne Kleidungsstücke. Die Reisenden sahen keinen einzigen, der nicht hier oder da Spuren des Kra-Kra gezeigt hätte.

      »Laßt uns Abschied nehmen,« ermahnte Holm. »Das ist ein unerquicklicher Aufenthalt.«

      Die Wilden wurden reichlich beschenkt, einige ihrer Knochennadeln und Ockerkugeln wanderten für das Museum zuhause in Hamburg in Holms Botanisierkapsel, und dann war der Aufenthalt in diesem kleinen Paradiese, das doch so viel Elend und tiefste menschliche Unwissenheit barg, zu Ende. Alle freuten sich, als sie die Planken des Schiffes wieder unter ihren Füßen fühlten, ja Holm beantragte sogar, den Besuch der Prinzeninsel ganz zu unterlassen, namentlich da der Kapitän erklärte, daß diese außer einer noch reichhaltigeren und blendenderen Schönheit ebenso wie Fernando Po kein weiteres Interesse darzubieten habe. Bei den Hottentotten im Kaplande war jedenfalls mehr Aussicht auf Abenteuer. Der Dampfer änderte also, nachdem Fleisch und Wasser eingenommen waren, seinen Kurs und steuerte der Südspitze von Afrika, der Kapstadt zu. Unterwegs wurde ein Hai gefangen, was natürlich den Knaben besonderes Vergnügen gewährte. Das Raubtier mit seinem kleinen Adjutanten umschwamm während eines ganzen Vormittags beharrlich das Schiff, zuweilen verschwindend, zuweilen plötzlich fast aus dem Wasser hervorragend, bis endlich auf vieles Bitten der beiden Brüder der sogenannte Haihaken ausgeworfen wurde. Ein tüchtiges Stück Speck saß daran; die Kette, womit er, durch mehrere Blöcke gegen einen unerwarteten Ruck gesichert, am Mast befestigt worden, konnte man zuverlässig nennen. Die Fahrt des Dampfers ist auf halbe Kraft gesetzt, der Speck schwimmt verlockend und appetitlich durch das blaue Wasser, – jetzt nur noch ein schneller Sprung, Meister Hai, und dann hat dich dein Geschick ereilt!

      Der alte Witt brachte eine Handspeiche von solidem Aussehen, schon mehr eine kleine Keule; selbst die an solche Jagd gewöhnten Matrosen und Doktor Bolten sahen voll gespannter Erwartung über Bord; der Koch setzte sich eine flache Schüssel und ein großes Messer zurecht; Holm rieb die Hände in der Hoffnung auf den Riesenkopf, welchen er bereits gehörig abgekocht als weißes, sauberes Knochenpräparat vor sich stehen sah. »Auch den Magen muß ich selbst öffnen, Kapitän,« rief er lebhaft, »das bedinge ich mir. Vielleicht sind Würmer und Schnecken darin, die man sonst nirgends zu erlangen vermag.«

      »Aber die Nürnberger hängen keinen, Doktor! es sei denn, sie hätten ihn zuvor.«

      »Wir werden ihn schon kriegen.«

      Das schien indessen doch nicht so gewiß. Der Haifisch schnupperte, aber er biß nicht; zuweilen kümmerte er sich gar nicht um den Köder, und schon machte Franz den Vorschlag, den Räuber, wenn man ihn denn durchaus nicht fangen könne, wenigstens zu erschießen, da trat der alte Witt an die Kette und hob langsam den Speck aus dem Wasser. Das Mittel half über Erwarten. Als Meister Hai die Beute verschwinden sah, griff er hastig zu und schoß dann so urplötzlich auf den Grund, daß das Schiff in allen seinen Fugen zitterte. Ein lautes Hurra der Mannschaft begleitete das Stoßen des

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