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es aber nicht über sich, ihr zu sagen, wie sehr auch er sich schuldig fühlte. Sie kam ihm so ganz anders vor als einst. Jetzt, da er sie stetig beobachtete und auf ein Lächeln wartete, fiel ihm eine Veränderung auf, die sich allmählich an ihr vollzogen hatte: Ihr Gesicht war schmal geworden, ihr Körper hatte sich gestreckt. Mit Unbehagen stellte Peter fest, daß sie um eine Handbreite größer war als er. Auch ihr Gesichtsausdruck erschien ihm anders als sonst, fremder. Es war nicht mehr das Gesicht eines gekränkten Kindes; auf ihren Zügen lag ein Stolz, der ihn zurückstieß. Peter hatte keine Ahnung davon, daß er die entstandene Entfremdung durch seine Art zu leben steigerte. Er sah nicht die verächtlichen Blicke, die ihn streiften, wenn er wie ein Raubtier das blutige Fleisch von den Knochen riß; er sah nicht den Abscheu, den seine schmutzigen Hände mit ihren dunklen Nagelrändern und seine verschmierten Füße erregten. Doch er hatte nicht die Muße, sich Grübeleien hinzugeben. Die nackte Tatsache, daß ihm nicht mehr das qualmende Feuer die Bären vom Halse halten würde, zwang ihn, sich auf unausbleibliche Kämpfe vorzubereiten.

      Eine Knorrenkeule versah er mit scharfkantigen Hartsteinsplittern, die er mit Harz und Wachs einkittete. Er nahm alle seine Beile vor, um die stumpfgewordenen Kanten durch Absplittern zu schärfen und locker gewordene Bindungen zu erneuern.

      Eines Tages zwang ihn die Dämmerung, die in der Höhle besonders früh eintrat, die Arbeit an den Beilen einzustellen. Statt dessen zerschlug er Hartsteinknollen, um scharfkantige Faustkeile zu erhalten. Bei jedem Schlag bemerkte er an den Schlagflächen der Steine ein Flimmern, das ihm nie aufgefallen war, wenn er tagsüber oder im Schein des Feuers Hartsteine bearbeitet hatte. Ein Erinnerungsbild stieg in ihm auf: der Ähnl, der immer einen grauen Hartstein bei sich getragen und aus dessen Kanten mit Hilfe eines harten Bügels Funken geschlagen hatte. Und die Funken hatte er mit »Zundel« aufgefangen, mit »Zundel« aus Buchenschwamm. Die harte Rinde hatte er weggehackt ... das braune Mark des Schwammes auf einen flachen Stein gelegt ... mit einem Holzschlegel darauf herumgeklopft, bis daraus ein dünner, weicher, lederartiger Lappen geworden war ...

      Peter warf die Hartsteine ins Allerlei und verließ die Höhle. An der alten Buche auf dem Fuchsenbühel wußte er einen erreichbaren Holzschwamm, der eine halbe Armlänge breit war. Den schlug er vom morschen Stamm und brachte ihn heim. Das Abschälen aber schien fast unmöglich; selbst die schärfsten Steinbeile versagten, prallten von der harten, federnden Rinde ab. Es wurde dunkler. Da riß Peter, zornig und ungeduldig, einen fast kopfgroßen Steinbrocken aus der Höhlenvermauerung und hämmerte damit wie besessen auf den Buchenschwamm ein, bis ihm der Schweiß von der Stirn rann. Der Schwamm wurde rissig und nach und nach polsterig weich.

      Eva kam neugierig herab: »Was machst du denn?« — »Zundelschlagen wie der Ähnl.« Und schon zupfte er vom Pilzklumpen ein zwei Finger breites Läppchen los, legte einen Hornsteinsplitter darauf und begann dessen Kante mit einem Jaspisknollen zu schlagen. Beide sahen das schwache Leuchten an den Schlagstellen, ein eigenartig brenzliger Geruch wie von angebrannten Haaren stieg ihnen in die Nase, ja, einmal behauptete Peter sogar, er habe einen wirklichen Funken herausspringen sehen — aber alles Schlagen blieb vergeblich, der Zundel wollte nicht glimmen. Erschöpft und hungrig verkroch sich der Entmutigte in seiner Schlafgrube.

      Eva hielt die Steine an ihre Nase: Ja, sie rochen brenzlig! Sinnend betastete sie den stellenweise so wohlig weichen Pilzknollen. War er auch als Zunder nicht brauchbar, sie wollte ihn noch weicher klopfen und im Winter als warme Einlage in ihren Schuhen tragen. Und außerdem — vielleicht gelang ihr, was Peter nicht gelungen war? Fest klemmte sie den Hornstein mit dem untergelegten Zunder zwischen Daumen und Zeigefinger der Linken, faßte mit der Rechten einen scharfen Jaspissplitter und begann damit zu schlagen. Schon beim ersten Hieb hatte sie den zu weit vorgeschobenen Daumen angeschnitten. Das Blut tropfte auf den Rand des Feuerschwamms und wurde von ihm gierig aufgesogen. Da umwickelte sie den verwundeten Daumen mit dem Buchenschwammlappen, und die Blutung hörte auf. Das Feuerschlagen hatte sie versucht, und ein blutstillendes Mittel hatte sie gefunden! Eva ertastete im Finstern eine Handvoll roher Kastanien und nahm sie mit in ihre Kammer.

      Die Angst vor einem Winter ohne Feuer machte die Höhlenkinder ernst. An einem regnerischen Tage besserte Peter an seinen Waffen herum, zerschlug große Bergkristalle und Zitrine und erhielt nicht nur eine Anzahl sehr scharfer Pfeilspitzen, sondern auch zwei lange, dünne, haarscharfe Splitter, die ihn durch ihre Gestalt zu einer besonderen Verwendung anregten. Den einen, dessen Kante splitterig war, versah er mit weiteren Kerben und schattete ihn mit der Rückenkante der Länge nach in ein daumendickes Stück Waldrebe, das beim Austrocknen einen Längsriß erhalten hatte. Mit der so gewonnenen Säge schnitt er, nur um ihre Leistungsfähigkeit zu prüfen, nicht ohne Mühe eine Zinke von dem im Vorjahr gefundenen Hirschgeweih ab. Da das innere Knochengewebe des handlichen »Hirschhorns« im Vergleich zur harten Außenseite auffallend locker war, ließ es sich leicht bohren, und das neue Stück bot sich förmlich zur Schäftung des zweiten Splitters an, der als Messer verwendbar war. Mit warmgeknetetem Wachsharz, das beim Erkalten hart wurde, sorgfältig eingepicht, saß die Messerklinge im Hirschhornschaft fest. Peter hatte an den neuen Geräten so viel Freude, daß er damit zu Eva eilte, er wollte ihr Lob haben. Aber die Art, wie sie die gelungenen Werkzeuge nach einem flüchtigen Blick zurückgab, hatte etwas Demütigendes, er kam sich wie ein abgewiesener Bettler vor.

      Ein feuchter Serpentinbrocken, der sich mit dem Schlagstein über Erwarten gut bearbeiten ließ, machte ihn den Verdruß vergessen; vielleicht gelang es ihm, daraus ein durchlochtes Beil herzustellen!

      Der Hunger zwang Peter, die Arbeit in der Höhle zu unterbrechen und auf Jagd zu gehen. Wie gewohnt, umwickelte er beim Herumstreifen den schußbereiten Pfeil der Länge nach straff mit der Sehne und umklammerte ihn mit der Hand, während er den Bogen rechts geschultert trug. Die Entdeckung, daß die gespannte Sehne, sobald er den Griff der Hand lockerte, den Pfeil in drehende Bewegung versetzte, brachte ihn auf einen neuen Gedanken: Wenn er den quer zum Bogen gestellten Pfeil mit der Sehne umwickelte und seine Steinspitze als Bohrer auf Holz oder Stein stützte, während er das untere Ende niederdrückte und so den Bohrer in der senkrechten Lage erhielt? Dann mußte sich der Pfeil durch Hin- und Herziehen des Bogens immer rascher drehen lassen, oder nicht? Der Versuch gelang! Nach drei Tagen hatte er das Serpentinbeil so weit bearbeitet, daß er mit dem Bohren des Schaftloches beginnen konnte. Aber die neue Bohrvorrichtung bewährte sich erst, nachdem Peter den Stein, aus dem das Beil werden sollte, in einer Vertiefung des Lehmbodens festgelegt und dem Bohrer zwischen gegabelten Stäben eine Führung gegeben hatte. Aber so schnell, wie Peter gehofft hatte, ging‘s auch nicht. Die schräg im Boden steckenden Führungsstäbe gaben bald nach, er mußte sie tiefer eintreiben; dann zersprang die Bogensaite und mußte erneuert werden. Die Linke mit dem schalenförmig vertieften Speckstein als Druck am oberen Ende des Bohrpfeiles, die Rechte am Bogen, hockte Peter denkbar unbequem auf der Erde und drillte unverdrossen so lange fort, bis er einen Wadenkrampf hatte.

      »Eva, sei so gut, lös mich ab!« Ungewohnt klang das.

      Wortlos nahm sie seine Arbeit auf.

      Und er reckte die steifgewordenen Glieder, griff nach seinem Jagdzeug und ging.

      Eva hielt die Arbeit in der Weise, wie Peter sie betrieben hatte, nicht lange aus. Der Bohrer lief erst kreischend, dann leise quietschend im Bohrloch. Nein, so kam nicht viel dabei heraus! Sie sah den Bohrer genau an und fand, daß der Bohrstein in den Schaft geglitten war und ihn gesprengt hatte. Eva mußte sich einen neuen Bohrer richten und verwendete dazu einen hartgetrockneten Holunderstab. Um dem Beilstein mehr Halt zu geben, verkeilte sie ihn im Riß eines Holzstrunks. Da sie keinen Bohrstein fand, der genau in das Markloch des Bohrstabs gepaßt hätte, streute sie scharfkantige, winzige Quarzsplitter unter den Bohrstab. Um beide Hände zur Führung des Bogens freizubekommen, preßte sie den Druckstein mit den Zähnen gegen den Bohrstab. Und nun begann sie zu drillen, es knirschte hart, ein Beweis, daß die Quarzsplitter gut eingriffen. Dabei spürte sie das Prellen des holprig arbeitenden Bohrers so stark, daß ihr der Kopf brummte. Sie ersetzte den Druckstein durch ein Stück Holz, an dem ein Astloch rundherum vernarbt war. Ihre Zähne griffen in die Holzfasern, und die Vertiefung im Astloch nahm das Stabende auf. Im Eifer der Arbeit schwand ihr Zorn auf Peter. Der sollte staunen! Schneller und schneller drillte sie den Bohrer in den Beilstein. In heftigem Atem bewegten sich ihre Nasenflügel. Da — was war das? Ein feiner Rauchgeruch stieg ihr in die Nase, und vor ihren Augen kräuselte

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