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hier? Ich habe ihn ja erst vorgestern in Darmstadt gesprochen.« – »Er ist per Telegraf zum König von Preußen gebeten worden. Ich ersehe aus den Zeilen, daß es sich um irgendeine diplomatische, sehr dringende Angelegenheit handelt. Vielleicht bezieht sie sich auf die Neustellung Hessens zu Preußen, dem es ja im beendeten Krieg feindlich gegenübergestanden hat; vielleicht aber handelt es sich auch um weitläufigere Dinge. Dieser Herr von Bismarck ist ein außerordentlicher Kopf und rechnet mit ungewöhnlichen, kühnen Zahlen. Daß die Gegenwart des Großherzogs so verzugslos gewünscht wird, läßt auf wichtige Dinge schließen. Man gibt ihm dadurch den Charakter eines bedeutenden Mannes, und darum wird sein Einfluß eine größere Tiefe erhalten. Dies freut mich auch um deinetwillen. Der Großherzog bittet mich, zu ihm zu kommen, und ich werde diese Gelegenheit benutzen, ihm zu erzählen, wie man dich, seinen Schützling, den er so warm empfohlen hat, hier empfängt. Ich bin überzeugt, daß er dir zu einer glänzenden Genugtuung verhelfen wird.«

      Der Herzog hielt in seiner Rede inne, horchte und trat an das Fenster. Es hielt unten am Tor ein Wagen, doch waren die Insassen desselben bereits ausgestiegen, so daß man sie nicht mehr sehen konnte. Dann ließen sich draußen im Vorzimmer laute, muntere Stimmen vernehmen, und ohne eine Anmeldung durch den Diener wurde die Tür geöffnet. In derselben erschien Rosa Sternau, die einstige Gräfin Rosa de Rodriganda. Hinter ihr erblickte man eine schöne, obgleich nicht mehr ganz junge Dame und einen alten Herrn von sehr distinguiertem Aussehen.

      »Ah, gefunden, obgleich ich noch nie in Berlin gewesen bin!« rief Rosa, indem sie näher trat. – »Meine liebe Tochter!« jubelte der Herzog voll freudiger Überraschung. »Wie ist es möglich, Sie hier zu sehen, so sehr bald nach unserer Trennung?«

      Sie eilte auf ihn zu, umarmte und küßte ihn und antwortete:

      »Ich komme, Ihnen zwei sehr liebe und hochwillkommene Gäste zuzuführen, lieber Papa. Sehen Sie und raten Sie!«

      Sie deutete auf die anderen beiden Personen, die hinter ihr eingetreten waren, und der Herzog warf infolgedessen einen forschenden Blick auf dieselben. Sie hatten das Aussehen sehr vornehmer, aber schnell gereister, ermüdeter Touristen. Dieser Ausdruck der Ermüdung war besonders auf dem schönen Angesicht der Dame zu bemerken, denn er wurde bei ihr hervorgehoben durch einen Zug stillen, entsagungsvollen Leidens, welcher in ebendemselben Grad sich auch in den Zügen Rosas de Rodriganda bemerken ließ.

      Obgleich der Herzog in dem Herrn sofort einen Engländer erkannte, schüttelte er doch den Kopf und sagte:

      »Lassen Sie mich nicht raten, liebe Tochter, sondern erfreuen Sie mich sofort durch die Bezeichnung der Freude, die Sie mir bereiten wollen!« – »Nun wohl!« sagte sie. »Dieser Herr ist der von uns so lange Zeit vergeblich gesuchte und verschollen gewesene Sir Henry Lindsay, Graf von Nothingwell, und diese Dame ist …« – »Miß Amy, die Tochter des verehrten Grafen?« fiel Olsunna schnell ein. – »Allerdings, Papa!«

      Da schritt der Herzog auf die beiden zu, streckte ihnen die Hände entgegen und meinte mit vor Freude strahlendem Angesicht:

      »Willkommen, von ganzem Herzen willkommen! Wir haben nach Ihnen gesucht und geforscht eine ganze Reihe von Jahren, leider vergeblich. Darum ist es für uns fast wunderbar, Sie so unerwartet bei uns zu sehen.«

      Sir Lindsay nickte langsam und bedeutungsvoll mit dem Kopf und erwiderte:

      »Wir haben gehört, wie fleißige und sorgfältige Nachforschungen Sie hielten, um uns zu finden. Ich werde Ihnen erzählen, warum diese Nachforschungen ohne Erfolg blieben. Einstweilen will ich bemerken, daß ich aus Mexiko komme, um diplomatische Aufgaben zu lösen. Das letzte Lebenszeichen, das in unsere Hände kam, belehrte uns, daß Gräfin Rosa de Rodriganda in Rheinswalden zu finden sei, und ich konnte meiner Tochter den Wunsch nicht abschlagen, diesen Ort aufzusuchen, bevor ich an meine Geschäfte trete. Wir fanden die Gräfin und hörten, daß Sie, Herzogliche Durchlaucht, hier zu finden seien; darum reisten wir sofort ab, um uns Ihnen vorzustellen.« – »Daran haben Sie wohlgetan, Sir. Es sollte mich freuen, Ihnen in Beziehung Ihrer diplomatischen Sendung von Nutzen sein zu können. Gestatten Sie mir, Ihnen hier meinen jungen Freund, den Leutnant Kurt Helmers, vorzustellen?« —»Helmers? Diesen Namen kenne ich. So hieß ein Steuermann, dessen Bruder ein berühmter Präriejäger war.« – »Der Steuermann war mein Vater«, fiel Kurt ein. – »Ah, Herr Leutnant, so bin ich imstande, Ihnen von Ihrem Vater zu erzählen«, sagte der Engländer. »Leider aber kenne ich sein Schicksal nur bis zu dem Augenblick, als er die Hacienda del Erina verließ.«

      Man nahm Platz, um die Unterhaltung fortzusetzen. Amy stand im Begriff, sich auf einem Fauteuil niederzulassen, der am Fenster stand. Dabei fiel ihr Blick ganz unwillkürlich auf die Straße, sie stieß einen lauten Ruf der Überraschung aus und trat eilig vom Fenster zurück.

      »Was ist‘s? Was überrascht dich?« fragte ihr Vater, indem er hinzutrat. – »Mein Gott, sehe ich recht? Ist‘s möglich?« rief sie, auf einen Mann deutend, der in einfacher, bürgerlicher Tracht langsamen Schrittes auf dem jenseitigen Trottoir herbeigeschlendert kam und dessen Augen mit einem sehr neugierigen Blick das herzogliche Palais musterten.

      Es war Kapitän Parkert, den wir in Gesellschaft der Offiziere getroffen haben. Er hatte dort seine Überraschung bemeistert, als der Name Sternau genannt worden war, und sich fest vorgenommen, das Terrain zu rekognoszieren.

      Jetzt kam er, und es war ihm sehr angenehm, vis-à-vis dem Palast die Restauration zu bemerken, in der er sich leicht erkundigen konnte.

      »Meinst du den Herrn, der da drüben geht?« fragte Lindsay, der den Blicken seiner Tochter gefolgt war. – »Allerdings, diesen«, antwortete sie erregt. – »Kennst du ihn?« fragte er neugierig. »Es wäre fast wunderbar, wenn du so fern von den Orten, an denen wir bisher lebten, eine Person fändest, die du kennst.« – »Ob ich ihn kenne? Diesen Menschen!« rief sie, bleich vor Erregung. »Ich habe dieses Gesicht in einem Augenblick gesehen, den ich nie vergessen werde!« – »Wer ist er?« – »Es ist kein anderer als Landola, der Seeräuber!«

      Es ist nicht zu beschreiben, welchen gewaltigen Eindruck diese Worte machten. Die Zuhörer standen einen Augenblick erstaunt, dann aber brach es los.

      »Landola, der Kapitän der Pendola?« rief Rosa. – »Kapitän Grandeprise, der Pirat?« rief der Herzog. »Irren Sie sich nicht?« – »Nein«, antwortete Amy. »Wer dieses Gesicht ein einziges Mal gesehen hat, der kann sich nicht irren.«

      Kurt hatte nichts gesagt. Er war an das Fenster getreten und heftete sein Auge auf den Mann, wie der Adler das seinige auf seinen Raub richtet.

      »Er beobachtet unser Haus«, meinte der Herzog. – »Er weiß, daß wir hier wohnen«, fügte Amy hinzu. – »Der Zerstörer unseres Glückes sinnt auf neue Schandtaten«, sagte Rosa. – »Er tritt in jene Restauration«, bemerkte jetzt Kurt. »Jedenfalls wird er sich nach uns erkundigen wollen. Ah, er soll bedient werden.«

      Er war mit einigen raschen Schritten zur Tür hinaus.

      »Kurt, halt! Bleibe hier!« rief ihm der Herzog nach, doch vergeblich.

      Die Anwesenden hörten, daß er nicht das Haus verließ, sondern die Treppe empor nach seinem Zimmer ging. Der Herzog folgte ihm nach und fand ihn im Begriff, in höchster Eile seine Uniform abzulegen.

      »Was willst du tun?« fragte er ihn. – »Ich will diesen Menschen überlisten«, antwortete der Gefragte. – »Du? Diesen gewandten Bösewicht? Wirst du das fertigbringen?« – »Ich hoffe es. Es ist heute nicht das erste Mal, daß ich ihn sehe.« – »Ah, du kennst ihn?« fragte der Herzog erstaunt. – »Ja. Ich sah ihn bereits in Rheinswalden einmal. An dem Tag, an dem ich mich vom Hauptmann von Rodenstein verabschiedete, ging ich in den Wald und sah diesen Mann aus der Hütte des Hüters Tombi kommen, ohne daß er mich bemerkte. Als er fort war, fragte ich Tombi, wer der Fremde sei, und der Zigeuner sagte, es sei ein Mainzer Bürger, der sich hier im Wald verirrt und ihn nach dem rechten Weg gefragt habe.« – »So hat er also bereits in Rheinswalden nach uns spioniert!« – »Ja, und Tombi ist sein Vertrauter, wie es scheint. Dieser Seeräuber hat mich noch nie gesehen, erkennt mich nicht, ich werde mich umkleiden und ihn aufsuchen. Aus seinen Fragen wird zu hören sein, was er beabsichtigt.« – »Du magst recht haben, mein Sohn, aber ich ersuche dich, recht vorsichtig zu sein. Wir werden unterdessen überlegen,

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