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Dann konnte man Kurt ungestört aus seiner Lage befreien. Er war in der Weise geschlagen worden, daß er kaum noch die nöthige Besinnung besaß die Umstehenden zu erkennen. Er hatte sich, um den Schmerz zu beherrschen und nicht zu schreien, in die Lippen und die Zunge gebissen. Auch die Mutter war von den Streichen, welche ihren Kopf getroffen hatten, beinahe betäubt und konnte nur in kurzen abgerissenen Worten Auskunft ertheilen. Der Knabe war ohne Geld nach Hause gekommen, und als sein Vater dazu gehört hatte, wie Kurt mit dem Prinzen, von dem er doch eher hätte etwas verdienen sollen, umgesprungen war, hatte er seine Wuth nicht zügeln können und war über Mutter und Sohn in dieser unmenschlichen Weise hergefallen. Die Polizei führte ihn ab.

      Die Wunden der Beiden wurden von den theilnehmenden Nachbarn mit Essig behandelt und dann verbunden. Kurt konnte sich wieder ankleiden.

      »Armer Junge!« meinte der General. »Willst Du fort aus ‚diesem Hause?«

      »Nein.«

      »Wirum nicht?«

      »Ich bleib bei meiner Mutter.«

      »Ah, brav! Aber wenn sie nun auch fortgeht?«

      »Und auch die Geschwister?«

      »Ja.«

      »Und der Vater nicht?«

      »Nein.«

      »So gehe ich mit, gnädiger Herr. Aber wohin sollen wir?« »Zu mir. Ich werde für Euch sorgen. jetzt muß ich nach Hause. Könntest Du mich begleiten, oder sind die Schmerzen zu groß dazu?«

      Der Knabe lächelte, schien sich aber dennoch zugleich zu schämen.

      »Ich habe oft so ausgesehen und doch sogleich wieder arbeiten müssen.«

      »So komm!«

      Er legte der Mutter, welche noch immer wie gelähmt an ihrem Platze saß, seine Börse in den Schooß und verließ das Haus. Magda ergriff die Hand des Knaben.

      »Armer Kurt! Du bist so gut und so muthig, hast mich aus dem Wasser gezogen und mußt Dich dafür so sehr schlagen lassen! Thut es noch recht sehr weh?«

      Sein jugendliches Gesicht erhellte sich.

      »Nun gar nicht mehr.«

      »Ist es auch wahr?«

      »Ja.«

      Das kleine Mädchen ahnte nicht, welchen Eindruck ein einziges Wort, ein einziger Blick oder Händedruck hervorbringen kann. Sie ließ den Knaben nicht los, bis sie die Wohnung des Generals erreichten.

      Dort bot sich ihnen ein sonderbarer Anblick dar. Auf dem Korridore stand sämmtliches Dienstpersonal und korrespondirte durch die verschlossene Thür mit drei weiblichen Stimmen, welche man im Innern bitten, rufen, befehlen, jammern und wehklagen hörte.

      »Was gibt es?« frug der General.

      Alle wollten zu gleicher Zeit antworten; aber die schrille Stimme der Zofe errang zuletzt den Sieg.

      »Was es gibt, Excellenz? Ein Unglück, ein großes, fürchterliches, ungeheures Unglück.«

      »Welches?«

      »Ja, das wissen wir nicht.«

      »Macht auf!«

      »Wir können nicht. Der Schlüssel ist fort.«

      »So wartet!«

      Er trat zur Thür und klopfte.

      »Wer ist drin?«

      »Wir!« antworteten kreischend die drei schwesterlichen Stimmen.

      »Ihr habt Euch eingeschlossen?«

      »Nein!« klang es unisono.

      »Was ist geschehen?«

      »Mach auf und bring Hilfe! Das Zimmer wimmelt von – »

      »Ungeheuern —,« rief eine zweite Stimme.

      »Schlangen —,« die dritte.

      »Molchen und Drachen —,« die erste wieder.

      Und dann kreischte es in fürchterlichen Dissonanzen:

      »Lindwürmer, Madenwüriner, Bandwürmer, Chamäleons; o, komm, ich falle vom Tische, ich vom Stuhle, ich vom Sopha, Hilfe, Hilfe, Hilfe!«

      Da gab Kunz dem Gärtner, welcher natürlich auch mit anwesend war, einen Wink und dieser blickte nieder.

      »Ah,« meinte er,«»da habt Ihr vergebens gesucht, und hier liegt der Schlüssel am Boden!«

      »Her damit!« gebot der General.

      Er öffnete, und nun bot sich ein Anblick, der nicht nur den Herrn, sondern auch die Dienerschaft zum lauten Lachen zwang.

      »Wer hat das gethan?« frug der Herr.

      »Ich nicht,« antworteten Alle.

      »So! Wo sind die Thiere hergekommen?«

      »Hier aus dem Korbe,« berichtete Freya.

      »Ah!« machte der General und streifte dabei seinen Leibdiener mit einem raschen Blicke. »Da hat sich der Hektor in diese Thiere verwandelt. Wunderbar! Macht, daß Ihr sie aus dem Hause bringt!«

      Er ging.

      »Fort doch damit, greift zu!« gebot Freya, und ihre Schwestern stimmten bei.

      Der Gärtner schüttelte höchst bedenklich den Kopf.

      »Der Hektor in diese Thiere verwandelt? Hm, gefährlich! Mein Dienst ist nicht hier, sondern im Garten!«

      Er ging. Auch Kunz zog ein eigenthümliches Gesicht.

      »Der Hektor? Hm, ist stets ein obstinates Viehzeug gewesen, das den Teufel im Leibe hatte. Aber ich habe nicht die Damen, sondern den Herrn General zu bedienen.«

      Auch er verließ das Zimmer. Weder Magda noch eine der Dienerinnen getrauten sich, eines dieser häßlichen Thiere zu erfassen. Da erschien endlich Kurt unter der Thür. Er hatte sich bisher aus Bescheidenheit zurückgehalten. Die Schwestern sahen ihn und jubelten.

      »Da kommt ein Retter! Kurt, lieber Kurt, schaffe dieses Gewürme fort!«

      »Wohin?«

      »Wohin Du willst, nur fort!«

      Er sah den offenen, umgestürzten Korb, richtete ihn wieder empor und sperrte alle die schrecklichen Geschöpfe, welche er mit der größten Schnelligkeit fing, in denselben ein.

      »So, meine gnädigen Fräuleins, nun können Sie ihn fortbringen lassen.«

      Die Damen verließen ihre Festungen, auf denen sie bisher so arg belagert worden waren.

      »Wir danken Dir, Junge!« rief Zilla. »Du darfst gar nicht wieder fort von uns.«

      »Nein, Du bleibst hier bei uns!« stimmte Wanka bei.

      »Natürlich!« bestätigte auch Freya. »Er bleibt hier, denn er muß ja vor allen Dingen meine arme Mimi suchen, welche sich wegen dieses Prinzen aus dem Fenster stürzen mußte. Und dann gleich muß er versuchen herauszubekommen, wer uns diesen Streich gespielt hat, denn wir müssen Rache nehmen!«

      »Rache!« rief auch Wanka.

      »Rache!« rief auch Zilla. »Dreifache Rache; und der Herr Lieutenant von Wolff wird uns nach Kräften unterstützen!«

      Zweites Kapitel: Himmel und Hölle

      Mitten in der weiten Ebene erhebt sich ein vielfach zerklüfteter, aus gewaltigen Basaltmassen bestehender Berg, welcher mit seinem Haupte hoch in die Wolken ragt und seine Füße weit in das Land hineinstreckt, wie ein vom Himmel gefallener Titane oder ein aus dem Innern der Erde emporgeschleuderter riesiger Cyklope, der nun seit Jahrtausenden im Schlummer liegt, um von den gigantischen Kämpfen auszuruhen, die ihn vom Olympos stürzten oder aus dem Orkus an das Tageslicht hervorgetrieben haben.

      Auf seinem Gipfel stand seit uralten Zeiten eine Burg, die den Namen Himmelstein führte. Sie wurde niemals erobert und zerstört, denn ihre Lage machte sie vollständig uneinnehmbar. Aber der Zahn der Zeit nagte unaufhaltsam an ihren Mauern, und als sie in den Besitz des königlichen Hauses kam, war es nothwendig geworden, sie von Grund

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