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Der Schut. Karl May
Читать онлайн.Название Der Schut
Год выпуска 0
isbn
Автор произведения Karl May
Жанр Зарубежная классика
Издательство Public Domain
Ein Häuschen stand auf hohem Rand. Rechts und links, vorn und hinten war das Dach eingefallen. Der Giebel hatte einen Riß, welcher die Haustüre vollständig überflüssig machte. Vom Dorfweg führte eine Steintreppe hinauf; aber von dieser Treppe war nur die oberste und die unterste Stufe vorhanden. Wer da hinauf wollte, der mußte entweder Alpenjäger mit Steigeisen oder Akrobat mit Sprungstange sein.
Läden und Holztüren schien es nicht zu geben, und so offen, wie die Gebäude, waren auch die Bewohner derselben, denn ich sah nicht eine einzige Person, welcher nicht vor Erstaunen über uns der Mund sperrangelweit aufstand. Wäre der Spötter Heinrich Heine an meiner Stelle gewesen, so hätte er zu seinen geographischen Reimen noch den einen hinzugefügt:
»Glogovik ist die Blume des Orientes;
Wer's mit Schaudern gesehen hat, der kennt es!«
Unser Führer hielt vor dem ansehnlichsten Gebäude der Ortschaft an. Zwei mächtige dunkle Tannen beschatteten es; darum hatte der Besitzer es für überflüssig gehalten, das halb eingestürzte Dach zu reparieren. Das Haus lag nahe am Bergabhang. Ein Wässerlein floß von da herab bis vor die Türe und fand dort in der bereits erwähnten Goldgrube Gelegenheit, sich mit einer chemisch anders gearteten Flüssigkeit zu vereinigen. Hart am Rand dieses »Bassins ästhetischer Anschauungen« lagen einige Baumklötze, von denen uns der Konakdschi sagte, daß sie das Amphitheater der öffentlichen Versammlungen bildeten, an welchem Ort schon manche welterschütternde Frage erst mit Worten, dann mit Fäusten und endlich gar mit Messern behandelt worden sei.
Wir nahmen auf diesen Klötzen der Politik Platz und ließen unsere Tiere aus dem Wässerlein trinken, aber oberhalb der erwähnten Vereinigungsstelle. Unsern Führer schickten wir auf Entdeckung in das Haus, denn Halef hatte die Kühnheit, zu behaupten, daß er Hunger habe und irgend etwas essen müsse.
Nachdem wir ein aus dem Hause schallendes Duett angehört hatten, welches aus dem Kreischen einer weiblichen Fistelstimme und aus den fluchenden Baßtönen des Konakdschi bestand, erschienen die beiden Tonkünstler vor der Türe, und zwar in der Weise, daß der Baß den Diskant an einem Fetzen herausgezogen brachte, welcher hierzulande von den Besitzern einer großen Einbildungskraft und unter ganz besonders günstigen Umständen vielleicht Schürze genannt werden konnte.
Wir sollten den zwischen ihnen ausgebrochenen Streit mit einem Machtwort entscheiden. Der Baß behauptete noch immer im tiefen C, daß er etwas zu essen haben wolle, und der Sopran erklärte mit Bestimmtheit und im drei gestrichenen B, daß absolut gar nichts vorhanden sei.
Halef schlichtete den Zwiespalt, indem er in seiner Weise die höhere Stimme des Duetts beim Ohr nahm und mit ihr im Innern des Hauses verschwand.
Es dauerte fast eine halbe Stunde, bevor er wieder erschien. Während dieser Zeit herrschte eine fast beängstigende Stille in den innern Gemächern der Gastlichkeit. Als er dann zum Vorschein kam, wurde er von der Wirtin begleitet, welche unter unheilverkündenden Gestikulationen in einer Mundart schimpfte, von welcher ich kein Wort verstand. Sie gab sich Mühe, ihm eine Flasche zu entreißen; er aber hielt sie heldenhaft fest.
»Sihdi, es gibt etwas zu trinken!« rief er triumphierend. »Ich habe es entdeckt.«
Er hielt die Flasche hoch empor. Die Wirtin suchte dieselbe mit der Hand zu erreichen und schrie dabei etwas, wovon ich nur die Silben »Bullik jak« verstehen konnte. Aber, obgleich ich mit meinem Türkischen überall so leidlich ausgekommen war, was >Bullik jak< bedeutete, wußte ich noch nicht.
Der Hadschi zog endlich, um sich von der Anhänglichkeit der widerwilligen Hebe zu befreien, die Peitsche aus dem Gürtel, worauf sie um mehrere Schritte zurückwich und dann stehen blieb, um sein Beginnen mit entsetztem Blick weiter zu verfolgen.
Er zog den Stöpsel heraus, welcher aus einem alten Kattunwickel bestand, winkte mir verführerisch mit der Flasche zu und setzte sie an den Mund.
Die Farbe des Getränkes war weder hell noch dunkel. Ich konnte nicht erkennen, ob dieser Raki dick oder dünn war. Jedenfalls hätte ich vor dem Trinken die Bouteille erst einmal gegen das Licht und dann an die Nase gehalten. Halef aber war über seinen Fund so erfreut, daß er an eine solche Prüfung gar nicht dachte. Er tat einen langen, langen Zug — —
Ich kannte den kleinen Hadschi schon eine sehr geraume Zeit; aber das Gesicht, welches er jetzt machte, hatte ich noch nie bei ihm gesehen. Er hatte plötzlich einige hundert Falten bekommen. Man sah, daß er sich bemühte, die Flüssigkeit auszuspucken, aber der Schreck hatte dem untern Teil seines Gesichtes alle Fähigkeit der Bewegung geraubt. Der Mund war zum Erschrecken weit offen und blieb eine ganze, lange Weile so; ich befürchtete schon, es sei ein Kinnbackenkrampf eingetreten, der bekanntlich nur mit einer kräftigen Ohrfeige geheilt werden kann.
Nur die Zunge hatte einen geringen Teil ihrer Beweglichkeit behalten. Sie schwamm auf dem langsam und fett über die Lippen rinnenden Raki hin und her wie ein in saure Milch gelegter Blutegel. Dazu hatte der Hadschi die Brauen emporgezogen, daß sie den Rand des Turbans erreichten, und die Augen so fest zu gekniffen, als ob er all seine Lebtage das Licht der Sonne nicht mehr sehen wolle. Die beiden Arme hielt er ausgestreckt und alle zehn Finger so weit wie möglich auseinander gespreizt. Die Flasche hatte er im ersten Augenblick des Entsetzens von sich geschleudert. Sie war in die vereinigte Flüssigkeit gefallen, aus welcher sie von der fast bis an die Kniee in derselben watenden Frau mit Lebensgefahr gerettet wurde. Dabei hatte dieses weibliche Wesen die Stimme wieder erhoben und schimpfte aus Leibeskräften. Von dem, was sie sagte, verstand ich abermals nur die edlen Runen des bereits erwähnten »Bullik jak«.
Da Halef zögerte, das ergreifende »lebende Bild«, welches er gegenwärtig stellte, zu Ende zu bringen, so trat ich zu ihm und fragte:
»Was ist's denn? Was hast du getrunken?«
»Grrr — g — gh!« lautete die gurgelnde Antwort, welche zwar keiner artikulierten Sprache angehörte, aber von allen verstanden wurde.
»So komm doch zu dir! Was war es denn für Zeug?«
»Grrr — g — gh — rrr!«
Er brachte den Mund noch immer nicht zu und hielt die Arme und die Finger noch ausgespreizt. Die Augen aber öffneten sich und sahen mich mit einem trostlos ersterbenden Blick an.
»Bullik jak!« rief die Frau als Antwort auf meine Frage.
Ich durchflog im Geist alle Wörterbücher, welche mir jemals im Leben zu Gebot gestanden hatten; doch vergeblich. »Bullik« verstand ich absolut nicht. Und >jak<? Es konnte doch nicht etwa ein tibetanischer Yak oder Grunzochse gemeint sein!
»Mach doch den Mund zu! Spuck' das Zeug aus!« riet ich ihm.
»Grrrr!«
Da näherte ich mich seinem offenen Mund — und der Geruch sagte mir alles. Ebenso schnell verstand ich nun auch die beiden Worte der Wirtin. Diese bediente sich der Mundart ihres Dorfes. Anstatt »Bullik jak« sollte es heißen >Balyk jaghi<, wörtlich ins Deutsche übersetzt: Fischöl, also Fischtran. Der kleine Hadschi hatte Fischtran getrunken.
Als ich das meinen Begleitern erklärte, brachen sie in ein schallendes Gelächter aus. Diesen Ausdruck eines aller Hochachtung baren Gefühles gab dem stets so selbstbewußten Hadschi augenblicklich sein früheres Wesen zurück. Er zog die ausgestreckten Arme ein, sprudelte den Inhalt seines Mundes von sich, sprang wütend auf die Lacher zu und schrie:
»Wollt ihr still sein, ihr Kinder des Teufels, ihr Söhne und Vettern seiner Großmutter! Wenn ihr über mich lachen wollt, so fragt erst, ob ich es euch erlaube! Ist es euch so lächerlich zu Mut, so laßt euch doch einmal die Flasche geben und trinkt von diesem Oel der Verzweiflung! Wenn ihr dann noch lacht, so will ich es gelten lassen.«
Ein noch lauteres Gelächter war die Antwort. Sogar die Wirtin stimmte mit ein. Da aber fuhr der Hadschi grimmig auf sie los und holte mit der Peitsche aus. Glücklicherweise schlug er durch die Luft, denn die Frau war blitzschnell mit einem fast lebensgefährlichen Sprung durch die Türe verschwunden.
Halef