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beschrieben, daß das kleine Mädchen christlich getauft sei und Elisabeth heiße. Die Worte waren kaum leserlich; der Schreiber hatte offenbar seine Hand verstellt. Ringsumher in den Ecken des Blattes wimmelte es von Buchstaben, Krähen- und Krackelfüßen, die aber trotz aller Bemühungen, sie zusammenzustellen, sich denselben ebensowenig fügten, als die Charaktere, welche auf dem Papiergelde sich zerstreut vorzufinden pflegen. Dieses Blatt war um einen Zylinder geschlungen, welcher zwei optische Gläser einfaßte. Der alte Baron nahm den Zylinder, blickte durch das Okularglas, richtete das Perspektiv gegen das Freie, um sich die Erläuterung des Fundes aus der Luft zu holen, aber soviel er auch richtete und durchblickte, er bekam nichts, als blaue Luft und verworren-schwimmende Gegenstände zu sehen.

      Über diesen vergeblichen Anstrengungen, die Krackelfüße zusammenzustellen, und durch das optische Glas die Wahrheit zu entdecken, war wohl eine halbe Stunde vergangen, während welcher der Baron noch gar nicht dazu gekommen war, sich nach dem Geber der vor ihm liegenden Gottesgabe zu erkundigen. Auch der Bediente, der mit aufgesperrtem Munde bald das Kind, bald die Anstrengungen seines Gebieters betrachtete, hatte bisher verabsäumt von dem alten Weibe zu reden. Endlich verfiel der alte Baron auf die unter den obwaltenden Umständen so natürliche Frage, der Bediente gab die Auskunft, die er erteilen konnte, wurde der Spitzbübin nachgesandt, rannte einen halben Tag lang in allen Richtungen umher, kam aber unverrichteter Sache zurück, denn er hatte weder das alte Weib gesehen, noch jemand getroffen, der sie gesehen hätte.

      Inzwischen waren die Frauen, die alte Baronesse, welche damals noch lebte, und Fräulein Emerentia, in das Zimmer getreten, und der alte Baron, der mit seiner eigenen Verwunderung noch zu schaffen hatte, mußte jetzt dem Sturme von Ausrufungen und Fragen Rede stehn, welcher über die Lippen der Gemahlin und Tochter strich. Eine Dienerin war gefolgt und sorgte, während die Herrschaften über die Exegese des Ereignisses verhandelten, für die notdürftige Fütterung und Stillung des noch immer schreienden Kindes.

      Als dieses still, lächelnd und schlummernd wieder in seiner Schachtel lag, setzte sich die Familie um den Tisch, worauf letztere stand, zu einer Beratung nieder, was mit dem Findlinge zu beginnen sei. Der Haus- und Schloßherr, dessen Torheiten nur von seiner unverwüstlichen Gutmütigkeit übertroffen wurden, war sofort der Meinung, daß das Kind zu behalten, und wie ein eignes aufzuziehen sei. Seine Gemahlin leistete ihm einigen Widerstand, bequemte sich indessen doch bald zum milderen Entschlusse, da ihr einfiel, daß der ältere Zweig der graumelierten Linie, der Zweig Schnuck-Muckelig-Pumpel selbst mütterlicherseits von einem Findlinge abstamme, in welchem eine Tochter hoher Herkunft gesteckt habe. Den heftigsten Einspruch hatte er von Emerentien zu erleiden. Das Fräulein war nach ihrer zweiten Badereise so überaus tugendsam, zartsinnig und verschämt geworden, daß auch die entfernteste Beziehung auf die Verhältnisse, durch welche wir entstehen und werden, sie tief verletzen konnte. Sie mochte die Blumen nicht mehr leiden, seitdem ihr ein durchreisender Professor die Bedeutung der Staubfäden auseinandergesetzt hatte, sie war vom Tische aufgestanden, als man erzählte, daß die braune Diane sechs Junge geworfen habe, und hatte vor ihrem Fenster Scheuchanstalten besonderer Art gegen die Sperlinge anbringen lassen, um die Schnäbeleien nicht mit ansehen zu dürfen, womit diese Tiere nach der Lebhaftigkeit ihres Naturells leider gegeneinander nur zu freigebig sind.

      In dem Findlinge ahnete sie nun, wie sie sagte, (und die Ahnung der Frauen ist stets sicher und wahr) eine Frucht verbotener Liebe. Worte, die sie vor Scham kaum hervorzubringen vermochte! Sie erklärte, daß sie eine solche nur mit Abscheu anzusehen vermöge, daß ihr das Verbleiben der Kreatur unerträglich sein werde. Sie beschwor ihren Vater, das Kind einer öffentlichen Anstalt zu übergeben. Aber der alte Baron blieb fest bei seinem Vorsatze, und da die Mutter, wie schon berichtet worden ist, auch auf seine Seite getreten war, so mußte sich Emerentia endlich, wiewohl mit großem Widerwillen, fügen.

      Diesen ließ sie aber in der Folge auf jede Weise an dem Kinde aus, und selbst, als die blonde Elisabeth, oder Lisbeth, wie sie im Schlosse genannt wurde, heranwuchs, und das beste, zutätigste Wesen wurde, mochte sie sich selten dazu verstehen, ihr einen gütigen Blick zu gönnen. Lisbeth dagegen war durch nichts in den sonderbaren Neigungen, die ihr die Natur vorgezeichnet zu haben schien, irre zu machen. An dem Fräulein, die ihr so übel begegnete, hing sie mit einer unglaublichen Zärtlichkeit, sie verrichtete freudig das Schwerste für sie, ließ sich von ihr schelten, und lächelte danach noch eins so freundlich, wogegen sie dem alten Baron, der doch eigentlich ihr alleiniger Beschützer und Wohltäter war, nur eine Empfindung widmete, welche die Grenzen der Dankbarkeit nicht überschritt.

      Fünftes Kapitel

Der alte Baron wird Mitglied eines Journal-Lesezirkels

      In ihm war, als Jagd, Spiel und Gastereien für ihn aufgehört hatten, und nur die Schwalben oder Fledermäuse, welche durch die Mauerlücken schlüpften, in den unbewohnten Zimmern des sogenannten Schlosses zu nisten, allenfalls noch für Besuche gelten konnten, eine große Langeweile entstanden, die anfangs auf keine Weise sich beschwichtigen lassen wollte. Zwar malte er sich zur Unterhaltung seine Erwartung bestens aus, wie er bald als Geheimer Rat im höchsten Collegio sitzen werde, neben sich den Herrn von so und so und den Herrn von da und da auf der Adelsbank, er stellte sich den Präsidenten lebhaft vor, und alle Besonderheiten des altertümlichen Konferenzsaals, er entwarf das Bild des Sessionstisches mit den großen Haufen von Schriften und Papieren darauf, die er mit seinen Herrn Nachbarn nicht zu lesen habe, sondern welche von gelehrten und bürgerlichen Beisitzern durchzustudieren seien; aber als dieses Gemälde von ihm zum hundertsten und aber hundertsten Male im stillen vollendet und seinen zwei Angehörigen beschrieben worden war, wurde es ihm doch zu eintönig, und er sehnte sich nach anderer Beschäftigung. Diese versuchte ihm nun seine Tochter Emerentia zu gewähren, indem sie ihrerseits eine Schilderung zu liefern begann, wie Fürst Hechelkram, pseudonym Rucciopuccio geheißen, plötzlich eines Tages in einem rotlackierten Wagen mit sechs Isabellen bespannt, ankommen, einen schottischkarierten Läufer mit Blumenhut und seidenem goldbefranztem Schurz hereinschicken und anfragen lassen werde, ob Marcebille oder Emerentia, nach der er so lange das ganze Schnurrenburg-Mixpickelsche Geschlecht vergebens hindurch gefragt habe, bis er endlich zufällig erfahren, sie sei eine geborne Schnuck-Puckelig — ob sie, Emerentia, noch an die Stunde denke, die Stunde der Andacht in Nizza? Wie sie sich für diesen Fall schon ihre Antwort ausgedacht, also lautend: »Gnädigster Herr! In den Blütentagen der Jugend opferten wir der Leidenschaft auf dem Altare unserer Herzen! Für dieses Opfer ist uns der Weihrauch ausgegangen. Aber der Altar blieb stehen; lassen Sie uns auf demselben der Freundschaft ein Opfer entzünden, für welches ich ewig, Ihnen gegenüber, Vorrat besitzen werde!« — Wie sie dann, mit dem großen goldenen Stiftskreuze begnadiget, ein Schloß in der Nähe seiner Residenz beziehen, nur seine Freundin im reinsten platonischen Sinne sein, ihn nie anders als vor Zeugen sprechen, ihn mit seiner Gemahlin versöhnen, überhaupt der segnende Genius des Fürstenhauses und des Landes werden wolle.

      Allein den alten Baron unterhielt diese Schilderung auch nicht; er hielt sie für ein »Carmen« wie er sich ausdrückte, und womit er Gedicht sagen wollte. Von Gedichten war er aber nie ein sonderlicher Liebhaber gewesen. Endlich fiel er auf den Gedanken, zu lesen, da er gehört hatte, daß damit so viele Menschen ihre Zeit hinbrächten. Indessen wollten auch die Bücher, deren eine kleine Sammlung von seinem Vater her noch auf dem Speicher stand, und unter denen er auf gut Glück jetzt wählte, wenig Trost gewähren. Die Sachen wurden ihm darin alle zu lang und ausgesponnen abgehandelt; der Autor sagte oft erst auf der vierundzwanzigsten Seite, was er mit der ersten gemeint hatte, pflegte überhaupt die Forderung an den Leser zu stellen, daß er seine Gedanken zusammenhalten solle, und dazu konnte sich der alte Baron in seinen vorgerückten Jahren nicht mehr bequemen. Er wollte Abwechselung, Zerstreuung, mancherlei, wie vorlängst in seinen grünen und lustigen Tagen.

      Alles dieses fand er auf einmal, da ihm der gute Einfall wurde, in einen Journalzirkel einzutreten, der alle Wißbegierige auf dem Flächenraume der umliegenden vier Quadratmeilen mit Geistesnahrung versorgte, und dessen Reichhaltigkeit ihm schon lange gepriesen worden war. Der Unternehmer hatte, um die Nebenbuhler in der erwähnten weiten Ausdehnung unrettbar daniederzuschlagen, nicht weniger als sämtliche Zeitschriften des deutschen Vaterlandes in seinen Mappen versammelt. Es fanden sich sonach darin nicht nur die Morgen- die Abend- die Nachmittags- und Mitternachtblätter, sondern auch die Boten für West, Ost, Süd, Nord, Nordwest und

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