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ich habe am Abend, als sie mir von der Verlobung erzählte, gefragt, wo sie den Herrn Bräutigam eigentlich kennen gelernt habe. Also, mir kommt es jetzt vor, als wenn Fräulein Jensen ein wenig verlegen geworden wäre. Sie hat gesagt, durch einen ganz komischen Zufall, und dann von etwas anderem gesprochen.«

      Rot im Gesicht, erregt und wichtig zogen die vier Damen ab und Dr. Clusius blieb mit Krause allein zurück.

      »Nun?« fragte Clusius gespannt.

      Krause ließ nochmals den Blick über die vier vor ihm liegenden Meldescheine und den Brief des Fräuleins Pfeiffer gleiten, steile, aufrechte, naive, gotische oder lateinische, schlecht gekritzelte, undeutliche Buchstaben tanzten vor seinen Augen. Die Fältchen im Gesicht verdichteten, glätteten und verdichteten sich wieder, dann ging er, die Hände in den Hosentaschen, auf und ab und hielt so eine Art Vortrag.

      »Wohl der schwierigste Fall, den Sie mir bisher übergeben haben, Herr Doktor. Vier Mädchen verschwinden, von denen jede einen der banalsten und häufigsten Namen hat, den man sonst nur erfinden könnte. Müller, Möller, Jensen, Pfeiffer! Dergleichen laufen im Deutschen Reiche zu Zehntausenden umher. Keine hat eine frühere Adresse angegeben, keine von Freunden oder Verwandten erzählt. Ferner: Alle vier scheinen sogenannte bessere, halb oder ganz gebildete Personen, aber keineswegs mit Glücksgütern gesegnet gewesen zu sein. Direkt arm waren sie aber auch nicht, trotz der Armseligkeit ihrer Hinterlassenschaft. Dafür, daß sie nicht ganz arm waren, spricht die Tatsache, daß sie alle vorausbezahlt haben und, wie jede der vier Vermieterinnen erzählt, entweder Ohrringe oder hübsche Fingerringe, die eine eine goldene Uhr mit Kette, eine sogar eine Brillantbrosche besaßen.«

      »Zu welcher Schlußfolgerung kommen Sie daraus?«

      »Oberflächlich betrachtet, könnte man aus diesen gewissen Gleichartigkeiten auf sonderbare Zufälligkeiten schließen. In Wirklichkeit könnten aber die Gleichartigkeiten, die primitiven Namen, der Mangel an Anhang in Berlin, nicht völlige Mittellosigkeit und bessere Art, die Umstände gewesen sein, die sie eben zu Opfern eines Mordbuben machten.«

      »Versteh‘ ich nicht ganz!«

      »Ist doch sehr einfach, Herr Doktor! Der saubere Bräutigam hat sich eben prinzipiell nur mit Mädchen, die hier keine Familie haben, gewöhnliche Namen tragen und etwas Geld sowie Schmuck besitzen, verlobt, weil er bei diesen Mädchen einerseits auf genügende Beute rechnen durfte, andererseits sich vor Entdeckung sicherer fühlte, als wenn er mit Mädchen aus Berliner Häusern angeknüpft hätte.«

      »Und was nun, Herr Krause?«

      »Die nächsten Schritte, Herr Doktor, werden Ihre Beamten machen müssen. Aufrufe in den Berliner, Hamburger und bayerischen Zeitungen nach Personen, die über die Vermißten etwas sagen können, Ausschreibungen von hohen Belohnungen, Nachforschungen in Ketzin und Umgebung und in den transatlantischen Passagierlisten nach Fräulein Jensen, die im Frühling aus New York zurückgekehrt sein will. In der Zeit, die darüber vergehen wird, werde ich einiges zu besorgen haben. Jedenfalls bitte ich Sie, heute noch die Reporter aller Zeitungen bei sich zu versammeln, damit die ganze Öffentlichkeit interessiert wird. Wer weiß — vielleicht werden noch andere Abgängigkeitsanzeigen erstattet oder es kommen wichtige Spuren zutage. Natürlich sofort Steckbrief erlassen nach dem blonden Schuller, Schullern oder Schindler mit dem Kneifer.«

      Dr. Clusius sprang nervös auf. »Krause, die Geschichte wird ungeheuer viel Staub aufwirbeln, und wehe uns, wenn wir nichts herausbekommen. Ich muß mich wieder einmal ganz auf Sie verlassen.«

      Selma Cohen als Fünfte

      Der Chef der Kriminalpolizei hatte mit seiner Vermutung nur zu recht gehabt. Das Aufsehen, das die Mitteilungen der Polizei über das spurlose Verschwinden von vier Mädchen machten, war enorm. Die Tatsache, daß man von den Mädchen selbst nicht das geringste wußte, das Geheimnis, das den blonden Mann mit dem Kneifer umhüllte, die Möglichkeit, daß sich noch andere Frauen unter seinen Opfern befänden, das alles wirkte aufregend, entzündete die Phantasie, war Lesestoff, den die Berliner mit Gier verschlangen. Und die Zeitungen taten das ihrige, um den Fall auszuschlachten, überboten einander in schreienden Überschriften, machten, je nachdem, aus dem blonden Mann einen Blaubart, einen Aufschlitzer, einen perversen Wüstling. Aber sie unterstützten auch die Polizei nach besten Kräften, indem sie ihre Korrespondenten in Hamburg und München alarmierten und Berichterstatter nach Ketzin schickten, um dort Nachforschungen anzustellen. Über Nacht wurde aus dem freundlichen, aber verschlafenen Städtchen eine Weltberühmtheit, die Berichterstatter schilderten das Rathaus, den Marktplatz, die Kirchen, die Gasthöfe mit allen Details, nur von dem blonden Mann und seinen Bräuten konnten sie nichts melden. Wohl war im Laufe der letzten Wochen im Gasthof »Zum Löwen« oder im Hotel Bismarck hier und da ein Liebespärchen eingekehrt, das die Aufmerksamkeit der guten Ketziner erregt hatte, wohl wollten die Klatschbasen von Ketzin einmal ein fremdes Mädchen mit einem blonden Herrn gesehen haben, der einen unheimlichen Blick an sich hatte, aber bei näherer Nachforschung stellte sich alles als Phantasie oder Harmlosigkeit heraus.

      Auch die Polizei war durchaus nicht müßig. Sie forschte in Hamburg und in allen bayerischen Städten, sie blätterte sämtliche Schiffslisten des letzten Jahres durch, sie schrieb enorme Belohnungen aus, sie ließ ihre tüchtigsten Detektive in Begleitung glänzend dressierter Polizeihunde die ganze Umgebung von Ketzin, die Auen längs der Havel, die Wälder, den Strom selbst durchsuchen — alles vergebens! Niemand meldete sich, der eines der Mädchen gekannt hätte, nirgends wurde eine Spur gefunden, man tappte völlig im Dunkeln.

      Nur, daß sich sehr bald den vier Fällen ein fünfter zugesellte. Wenige Tage nach dem Erscheinen der ersten Zeitungsberichte meldete sich bei Dr. Clusius eine Frau Rosenbaum, die unweit des Nollendorfplatzes wohnte und Zimmer vermietete. Sie gab an, daß am 8. Juli bei ihr eine junge Dame gemietet habe, die Selma Cohen hieß und laut Meldeschein 24 Jahre alt und in Berlin geboren war. Fräulein Cohen hatte erzählt, daß sie sich seit Jahren mit einer leidenden Dame auf Reisen befunden habe und nun in Berlin bis zu ihrer Verheiratung bleiben wolle. Sie sei nämlich mit einem Herrn verlobt, der im Begriff sei, unweit von Berlin an der Havel ein kleines Landgut zu kaufen. Frau Rosenbaum hatte ihre Mieterin nur einmal gesehen und schilderte sie als auffällig üppig und wahrscheinlich schwarzhaarig. Mehr wußte sie nicht, da Fräulein Cohen einen dichten Schleier trug. Die Mieterin, die mit unverkennbar jüdischem Jargon sprach, habe die Miete für einen Monat gezahlt und sei am anderen Tag zeitlich morgens mit einer Handtasche eingezogen, ohne von jemandem gesehen worden zu sein, da sie gleich nach der Bezahlung der Miete den Schlüssel bekommen habe. Am selben Vormittag habe sich Fräulein Cohen mit der Handtasche wieder entfernt und ihr, Frau Rosenbaum, die sich gerade im Badezimmer aufgehalten, durch die Tür mitgeteilt, daß sie mit ihrem Bräutigam verreise, aber unbedingt am nächsten Tag wieder zurück sein werde. Sie kam nicht mehr, aber da sie ihr Gepäck mitgenommen hatte, habe sie keinen Anlaß zu Befürchtungen gehabt, sondern geglaubt, daß das Fräulein sich die Sache überlegt und unter Verzicht auf die Zimmermiete irgendwo anders eingezogen sei. Erst die alarmierenden Zeitungsartikel hatten sie veranlaßt, die Anzeige zu erstatten. Nunmehr war allerdings kaum ein Zweifel vorhanden, daß auch Fräulein Selma Cohen von dem blonden Ungeheuer verschleppt worden war.

      Nachdem Dr. Clusius dem Krause das Protokoll vorgelesen hatte, pfiff dieser vor sich hin und fuhr sich mit der schlanken, mageren Hand nervös durch das angegraute Haar.

      »Nun beginnt die Geschichte grotesk zu werden. Ein fünftes Frauenzimmer und diesmal gar eines, das ausgerechnet Cohen heißt! Ebensogut konnte sie gar keinen Namen haben! Andererseits gibt es in ganz Deutschland kein jüdisches Mädchen ohne Verwandte, und es müßte doch der Teufel seine Hand im Spiel haben, wenn sich nach Veröffentlichung dieses neuen Falles nicht irgend ein Onkel oder Vetter oder Schwager melden würde!«

      Aber der Teufel hatte wohl seine Hand im Spiel, denn der Fall Selma Cohen erregte zwar abermals gewaltiges Aufsehen, aber niemand aus dem Kreise des Mädchens meldete sich.

      Krause hatte indessen, während die Zeitungen nachgerade ungeduldig wurden und mit Sticheleien gegen die Polizei begannen, durchaus nicht die Hände in den Schoß gelegt. Nachdem alle Nachforschungen nach Verwandten oder Bekannten der fünf verschwundenen Mädchen erfolglos geblieben waren, schien es ihm klar, daß

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