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      Höflich streckte der Hagere seine Beine noch steifer von sich, ergriff den Becher und verneigte sich so geschmeidig, wie man von dem vertrockneten Gerüst in dem Geckengewand kaum erwarten konnte. »Da der redliche Abscheu Eures Ordens gegen die Vergewaltiger der See bekannt ist«, sprach er ziemlich unbeteiligt, »so werden Eure Gebete mit uns sein. Ich weiß – ich weiß.« Er führte den Pokal oberflächlich und ohne zu nippen an seinen Mund. Sein Nachbar jedoch, der Hauptmann von Moltke, riß ihm ungeduldig den Pokal, bevor er noch dazu aufgefordert wurde, aus der Hand, tat einen tiefen Blick hinein und stürzte das Getränk gierig hinunter. Der Kriegsmann mochte durstig sein. Allein unvermutet hielt er inne, und während er böse die verschwollenen Augen aufriß, goß er gereizt den Rest auf die Erde.

      »Gemischt«, knurrte er, und seine Stimme klang, wie wenn man Scherben gegeneinander reibt. »Himmel und Hölle – ich – –«

      In diesem Augenblick schlug erneutes Pferdegetrappel aus dem Wald heraus, der Reiter verschluckte das Weitere, hob die abschreckend dürre Hand und schwenkte sie dem neuen Ankömmling entgegen. »He, Cona«, krähte er immer in demselben bitteren, menschenverachtenden Ton, »meiner Seel! Ihr standet gut im Futter, seit wir uns zuletzt begegneten. Wißt Ihr noch auf der Tagfahrt zu Wismar? Man sagt, Liebwertester, Ihr hättet über See recht einträgliche Geschäfte betrieben. Und kennt die Schliche der Schuimer aus Erfahrung.«

      Es mußte eine besonders giftige Anspielung in jener Anrede liegen, denn der Reichshofmeister, der plötzlich noch fahler aussah als gewöhnlich, hob abwehrend die Rechte, schöpfte vergeblich Luft und versuchte sein Unbehagen hinter einem begrüßenden Lächeln zu verbergen. Er brachte es jedoch nur zu einem Grinsen, zumal er wahrnahm, wie der Graf von Cona, der nun in der Abendsonne dicht neben seinem jungen Sohne mitten auf der Lichtung hielt, verärgert und beschämt das feiste Vollmondgesicht verzog. Spähend blinzelte der so Wohlgenährte im Kreise umher, ob auch die Mönche den beißenden Spott verstanden hätten. Dann strich er mit der fleischigen Hand über den halblangen blauen Tappert, der ihn schlafrockartig umhüllte, und stieß endlich kurzatmig nach Art der Dicken hervor:

      »Seid gegrüßt, ihr Herren. Auch du, Moltke. Immer munter. Immer gelenkig. Wollen absteigen und das Nachtmahl einnehmen, das der Herr Abt für uns gerüstet. Aus leerem Magen steigt zudem allerlei verwirrtes Zeug. Und wenn es euch wirklich Ernst gegen die Freibeuter ist, die ja manchem ein verstecktes Plätzchen gut zu bezahlen wußten – nicht wahr, nicht wahr, so ist es doch? –, dann werden wir morgen in Stralsund weitersehen. Werden sehen, wo unser Vorteil liegt. Und nun zu Tisch, liebe Herren.«

      Schwerfällig und ächzend schwang er das rechte Bein vom Roß. Allein durch die weit ausladende Bewegung des unförmlichen Körpers mochte der dürre unruhige Gaul des Dänenhauptmanns gereizt werden. Mit einem schrillen Wiehern stieg das Tier kerzengerade in die Höhe. Ringsum wurde ein einziger Schrei laut. Doch ohne Zögern schlossen sich die sehnigen Beine des Kriegers um den Leib seiner Schecke zusammen. Ja, er rührte sich kaum, so fest saß er im Sattel. Zu gleicher Zeit aber sah man, wie der Knabe im weißen Kittel hochauf in den Zügeln des Schimmels hing. Die kleinen Fäuste rissen erbarmungslos am Maulbügel des Tieres.

      »Laß los«, krähte der Däne ungehalten und fletschte die stockigen Zähne. Da war das Pferd schon zur Erde gebracht. Und der Helfer stand nun, keineswegs befangen, sondern die Hände stolz in die Hüften gesetzt, geschwellt von einem rauschenden Kraftgefühl, mitten in dem ihn umgaffenden Kreis. Wieder merkte er es kaum, daß seine Gefährtin auf ihn zugestürzt war, um ihm ängstlich Brust und Glieder zu befühlen.

      »Unsinn«, schimpfte der Hauptmann mißfällig, »Ragazzaccio maledetto!« vervollständigte er seinen Fluch auf welsche Art, denn er hatte sich seinen ersten Kriegsruhm in den italienischen Städtekriegen erworben. Gezwungen nestelte er an seiner Ledertasche, um dem Buben ein paar Scheidemünzen zuzuwerfen, doch einer besseren Einsicht folgend, unterließ er diese Spende wieder auf halbem Wege.

      »Wer ist der Bursche?« fragte statt seiner der Graf von Cona, der inzwischen auf krummen Beinen neben dem gleichfalls abgestiegenen Reichshofmeister stand. Und da er den einfachen linnenen Kittel und daneben den prächtigen Wuchs des Knaben nicht recht zusammenzureimen wußte, setzte er dringlich hinzu, denn die nahe Tafel lockte den immer Hungrigen: »Schnell, schnell, wer ist es? Gäbe einen stattlichen Knecht.«

      Eine Stille entstand. Bis das Schweigen von der Stimme des Bruders Franziskus unterbrochen wurde. Einem unwiderstehlichen Trieb folgend, hatte sich der Pater vor die Kinder aufgepflanzt. Jetzt gab er besorgt die Auskunft:

      »Es ist der Sohn des Fischers Claus Beckera.«

      »Das ist ein lauer Hund«, stotterte der Dicke, der im ersten Augenblick seine unangenehme Überraschung nicht meistern konnte. »Sorgt schlecht für uns.« Und sein Doppelkinn unter dem Kragen des blauen Tappert weit hervorschiebend, begann er vor Verlegenheit zu poltern: »Wozu treibt sich der Sasse hier herum?«

      In das Antlitz des Jungen war Hitze gestiegen, böse zerrten die dunklen Augen an dem blauen Faltenrock herum.

      »Mein Vater – –«, schrie er.

      Da wurde er von dem Mönch zurückgerissen. Zugleich fühlte er, wie ihm die Lippen fest verschlossen wurden.

      »Er hat eine Sternscholle für die Tafel gebracht«, erklärte der Bruder ruhig und zeigte nach dem Mauervorsprung, auf dem der Riesenfisch in der Abendsonne glitzerte.

      Neugierig wandte sich der Graf. Mochte es nun sein, daß ihn der Anblick des mächtigen Fanges versöhnte, oder war er sonst froh, der lästigen Begegnung überhoben zu sein, gemütlich schob er seinen Arm unter den des Reichshofmeisters und zog ihn mit sich.

      »Man speist gut bei den Brüdern«, schmatzte er mit breitem Lachen. »Wer weiß, welche Überraschung unser wartet. Kommt, Herr Drost, ihr Herren kommt. Man soll den Koch nicht warten lassen.«

      So zogen die Gäste, geführt von den Mönchen, durch die enge Pforte über den Grasstufen. Die Knechte leiteten die Pferde um die Mauer herum in die Ställe, und bald lag die Lichtung in Einsamkeit.

      Nur ein einzelner Reiter war zurückgeblieben. Auffällig zögerte er mit dem Absitzen, lenkte seinen Rappen vielmehr spielerisch hin und her, bis der Junggraf Malte von Cona seinen Entschluß gefaßt haben mußte. Mit einem Sprung setzte sein Pferd hinter den bereits heimkehrenden Kindern her, und während die Jungmännerfaust keck und ohne Umstände in die Haarflechten des aufschreienden Mädchens griff, rief er wie zur Beruhigung mit einem zugleich harmlosen und gebieterischen Lachen, denn das Ganze sollte nach der Sitte der Zeit einen Scherz darstellen:

      »Dirn, versteh Spaß, wo kommst du her?«

      Die Kleine starrte ihn mit blauen Augen flehentlich an und begann vor dem vornehmen Herrn zu zittern.

      »Laß ab, Herr«, stammelte auch Bruder Franziskus in aufsteigender Empörung, »es ist noch ein Kind.«

      Doch der Jüngling warf dem Mönch nur einen verächtlichen Blick zu, es kümmerte den Geschorenen nichts, mit wem der Grundherr seine Belustigung auf offener Straße treiben wollte. Doch verwunderlich dünkte es den Reiter, auf welche Weise der Fischerknecht den gnädigen Scherz aufnahm. Atemlos lehnte der weiße Kittel an einer mächtigen Buche, von wo der Knabe zuvörderst ohne genaue Erkenntnis des Vorganges die bunte Pracht des Adligen in unruhiger Gier verschlang. Die überlangen Schnäbel der rosa Strümpfe, die enggepreßte rote Schecke des Wamses und darüber den kurzen gelben Kragen, der mit blitzenden Gold — und Silberstücken besetzt war. Und doch – die Faust des Burschen riß und zerrte dabei auf eine sonderliche Art an einem stämmigen Ast herum. Wollte der Lümmel etwa die schuldige Ehrfurcht vergessen? Ungläubig und geringschätzend zuckte der Junker die Achsel, dann ließ er seinen Blick von neuem hartnäckig über die feine Gestalt der Dirne laufen, die sein Anruf so völlig der Sprache beraubt hatte.

      »Komm zu dir, Rotröckchen«, meinte er ungeduldig, obwohl er beifällig genug auf die nackten Füße des Kindes herabschaute. »Wo kommst du her? Bist du die Schwester des Sassen da?«

      Noch immer hielt er das Ganze für einen ihm ziemenden Scherz und wunderte sich nur, warum das Mädchen so sehr in Zittern und Beben versank.

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