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erreicht wird, die aber bei einer Frau durch eine aufgeregte, leidenschaftliche Stimme, die einen Hymnus auf ihre Schönheit singt, hervorgebracht wird.

      Tiburcio war ganz in süßen und bitteren Erinnerungen versunken, die er nur allein zurückzurufen schien, ganz wie ein Mensch, der in dem getrübten Spiegel eines Baches die anmutigen Bilder, die einst sein klares Wasser widerstrahlte, noch einmal zusammenzusetzen sucht. Er fuhr mit sanfterer und bewegterer Stimme fort. »Ich habe ebensowenig die Lianenblüten vergessen, die ich für Euch pflückte und die mir frischer und wohlriechender vorkamen, wenn sie vom Duft Eures Haares erfüllt waren! Dieser süße Duft war also nur ein feines Gift, das eine unheilbare Liebe in meine Adern ergoß? Narr, der ich war! Diese Glockenblümchen sagten mir: ›Berausche dich, aber hoffe!‹ Und ich? Ich berauschte mich mit Hoffnung! Ist es möglich, Rosarita, daß Ihr die Erinnerungen vergessen hättet, die mir bis jetzt das Leben erhalten haben?«

      Es gibt gewisse rücksichtslose Data, an die die Frauen nicht immer sich zu erinnern geruhen, so genau man sie auch erwähnen mag. Doña Rosarita schwieg einen Augenblick, als ob ihr rebellisches Gedächtnis die Einzelheiten, die Tiburcio anführte, vergessen hätte. »Nein«, sagte sie endlich mit leiser Stimme, um nicht etwa ein leichtes Zittern zu verraten; »aber wir waren damals noch zwei Kinder! Jetzt …«

      »Jetzt ist das alles vergessen, weil ein artiger Herr aus Arizpe gekommen ist und die Gnade gehabt hat, Euch in seine ehrgeizigen Pläne mit einzuschließen!«

      »Mich in seine ehrgeizigen Pläne mit einzuschließen? Und wer sagt Euch, daß nicht vielmehr im Gegenteil ich es bin, die es für angemessen hält, ihn in die meinigen mit einzuschließen?«

      »Das ist sonderbar«, antwortete Tiburcio; »dieser Don Estévan, den ich noch mehr als jenen Senator verabscheue, hat Euch – sagt Ihr – von den Vergnügungen in Madrid und von jenen märchenhaften Ländern, die es jenseits des Meeres geben soll, erzählt, und Ihr wünscht, es mit eigenen Augen zu sehen?«

      So weit war Tiburcio in seinen Vorwürfen gekommen, die jeder Mann mit Recht glaubt an die Frau richten zu dürfen, deren Liebe er nicht hat erwerben können, als hinter dem dichten Orangengebüsch, das Don Estévan und Cuchillo verbarg, sich ein fast unhörbares Rauschen der Blätter hören ließ.

      »Still!« rief das junge Mädchen. »Habe ich nicht ein Geräusch gehört?«

      Tiburcio wandte sich rasch um und hätte gern den dumpfen Zorn, der in ihm grollte, an irgend jemand ausgelassen; aber die Strahlen des Mondes beleuchteten nur die Blätter der Orangenbäume; alles war ruhig. Er nahm darum bald wieder seine finstere, tiefsinnige Haltung an. Der Schmerz hatte sogleich wieder von seiner Seele Besitz genommen, die der Zorn nur wie ein einziger Blitz einen dunklen Himmel durchzuckt hatte. »Es ist vielleicht der Geist irgendeines armen Liebenden, der vor Verzweiflung gestorben ist und in diesen Bäumen seufzt«, sagte er melancholisch.

      »Jesus, Ihr erschreckt mich!« rief das junge Mädchen und zog unter seinem Schleier den bloßen Arm hervor, um sich hastig zu bekreuzigen. »Glaubt Ihr denn, daß man davon sterben kann?« fragte es naiv.

      Ein trauriges Lächeln spielte auf den Lippen Tiburcios. »Hört, Rosarita, Ihr seid ehrgeizig, sagt Ihr. Wohlan, wenn ich nun alles, was Euch versprochen ist, Euch ebenfalls geben könnte? Hört«, sagte er, »ich habe bis jetzt nur die Sache des armen und verwaisten Tiburcio geführt; ich will jetzt für den Tiburcio Arellanos sprechen, der reich und mächtig zu werden im Begriff steht; ich werde angesehen werden, denn ich will Euch einen berühmten Namen anbieten.«

      Bei diesen Worten hob Tiburcio eine vertrauensvolle Stirn gen Himmel, auf der der Stolz eines alten Geschlechts wieder aufzuleben schien. Zum erstenmal seit dem Anfang dieser Unterredung hatte er aufgehört, unverständig zu sprechen; Rosarita lieh ihm auch aufmerksam ihr Ohr.

      17. Mangel an Verständnis

      Die beiden Lauscher hatten nicht ein Wort von der ganzen Unterhaltung und kaum eine Gebärde aus dem Schauspiel verloren, das sich unter ihren Augen zutrug. Bei den letzten Tiburcio entschlüpften Worten und während er sich einen Augenblick sammelte, wechselten Don Estévan und Cuchillo einen raschen Blick. Wut und Verwirrung kämpften auf dem Gesicht des Banditen, der grimmig seine eigene Bestürzung sah und fühlte, wie er von Tiburcio getäuscht war – und das nach der unverschämten Art, mit der er sich gegen Don Estévan gerühmt hatte, er habe ihn ganz ergründet und auch seine geheimsten Gedanken gelesen.

      Was den edlen Spanier betrifft, so hatten sich seine Augen mit einem Ausdruck schonungslosen Spottes auf ihn gerichtet. Vielleicht ließ er auch absichtlich Cuchillo den Stachel dieses Hohns fühlen. »Wirklich«, sagte er kalt, »dieser junge Mann setzt ein mittelmäßiges Pferd weit über das schönste Mädchen dieser Gegend.«

      Der Bandit verbiß schweigend seine Wut.

      »Wir werden nun erfahren«, fügte der Spanier hinzu, »ob er die Stelle, wo das Val d‘Or liegt, ebensowenig ahnt als die, wo sich das irdische Paradies befindet.«

      Bei diesen Worten, die den Banditen an seine lügenhaften Behauptungen erinnerten, zuckte dieser zusammen wie der Stier, wenn er fühlt, daß die scharfen Spitzen der Bandilleras in sein Fleisch dringen.

      Unterdessen hielt es Arechiza, der zufrieden war, die bösen Leidenschaften des Banditen geschürt zu haben, für klug, sie bis zu dem Augenblick im Zaum zu halten, wo es im Interesse seiner Politik läge, ihren Ausbruch nicht mehr zu hemmen. Ein unter seinen Augen begangenes Verbrechen, ohne daß sein Mund es befohlen oder nur dazu geraten hätte, mußte sein Gewissen sichern und ließ ihm gegenüber Cuchillo das ganze Ansehen, die ganze Gewalt, die ihm durch eine Mitschuld geraubt worden wäre. Er faßte also kräftig den Arm Cuchillos und sagte zu ihm: »Bei Eurer Seele Seligkeit – erinnert Euch daran, daß das Leben dieses jungen Mannes geheiligt ist!«

      Ein Lächeln von böser Vorbedeutung verfinsterte noch das Gesicht des Banditen, der eben antworten wollte.

      »Still!« sagte Arechiza. »Hören wir!« Und seine Hand blieb auf dem Arm Cuchillos liegen, während seine Blicke sich von ihm abwandten. —

      Dies alles war das Werk einer Minute gewesen; die Stimme Tiburcios ließ sich nach kurzem Schweigen abermals vernehmen. »Wohlan, warum soll ich es Euch noch länger verbergen?« rief Tiburcio, von der aufmerksamen Miene Rosaritas angefeuert. »Ehren, Reichtümer, Macht – alles kann ich zu Euren Füßen legen, und nur Ihr, Ihr allein hättet dieses Wunder getan!«

      So ungläubig die Frauen auch in mancherlei Punkten sind, so gern glauben sie doch wieder an die Wunder, die sie verrichten. Rosarita heftete ihre Augen fragend auf Tiburcio.

      »Ich hätte es Euch vielleicht schon früher mitteilen müssen«, sagte er und schlug die Augen unter einem Vorwurf seines Gewissens nieder, »daß meine Adoptivmutter zu dem gegangen ist, der die Stelle meines Vaters vertreten hat; aber bei meiner Ankunft hier habe ich nur an eine gedacht …«

      »Ich weiß es«, unterbrach ihn das junge Mädchen; »Ihr seid jetzt allein in der Welt; ich habe es heute abend aus dem Mund meines Vaters erfahren.«

      Die Stimme Rosaritas war bei diesen Worten sanft wie ein Lufthauch, der in den Orangenbäumen seufzte, und Tiburcio fühlte einen sanften Druck. Bei diesem Anblick hörte die Hand Don Estévans nach und nach auf, den Arm Cuchillos zu halten.

      »Meine Mutter ist arm gestorben«, fuhr Tiburcio fort; »und doch hat sie mir eine unschätzbare Erbschaft nebst einem Rachevermächtnis hinterlassen. Ich meinesteils habe in ihren letzten Worten freilich nur ein gefährliches Geheimnis gesehen, denn es tötet diejenigen, die in seinem Besitz sind; aber dieses Geheimnis soll mir wenigstens das Mittel liefern, mich bis zu Eurem Reichtum zu erheben. Die Rache soll später kommen; später will ich den Mörder Arellanos‘ suchen.«

      Bei diesen Worten erbleichte Cuchillo und knirschte mit den Zähnen. Sein Arm war frei geworden; Don Estévan hielt ihn nicht mehr fest. Rosaritas Hand war in der Tiburcios geblieben.

      »Hört mich also«, fuhr dieser fort. »Sechzig Meilen von hier, an einem Ort, den Marcos Arellanos gesehen hat – aber mitten unter den indianischen Stämmen —, gibt es eine Goldmine von unberechenbarem Reichtum. Ich weiß, wo sie ist; sie kann mein sein, wenn Ihr mich liebt, Rosarita; denn was soll mir ohne Eure Liebe soviel

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