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oder gar Stunden gehören, mit der Schnelligkeit des Blitzes und tagesheller Deutlichkeit zum Bewußtsein bringt. Noch war der Schuß nicht verhallt und der Führer nicht ganz versunken, so wußte ich bereits alles. Die beiden Mörder wollten ihre Ankläger verderben; sie hatten ihren Führer um so leichter gewonnen, als derselbe auf den unserigen eifersüchtig war. Sie brauchten uns gar kein Leid zu tun; wenn sie unsern Führer töteten, waren wir unbedingt verloren. Sie lauerten also hier bei der gefährlichsten Stelle des ganzen Weges und schossen Sadek nieder. Nun brauchten sie nur zuzusehen, wie wir versanken.

      Daß Sadek von der Kugel in den Kopf getroffen war, merkte ich trotz der Schnelligkeit, mit der alles geschah. Hatte die durchfahrende Kugel auch mein Pferd gestreift, oder war es der Schreck über den Schuß? Der kleine Berberhengst zuckte heftig zusammen, verlor hinten den Halt und brach ein.

      »Sihdi!« brüllte hinter mir Halef in unbeschreiblicher Angst.

      Ich war verloren, wenn mich nicht eins rettete: noch während das Pferd im Versinken war und sich mit den Vorderhufen vergeblich anzuklammern suchte, stützte ich die beiden Hände auf den Sattelknopf, warf die Beine hinten in die Luft empor und schlug eine Volte über den Kopf des armen Pferdes hinweg, welches durch den hierbei ausgeübten Druck augenblicklich unter den Salzboden gedrückt wurde. In dem Augenblick, während dessen ich durch die Luft flog, hat Gott das inbrünstigste Gebet meines ganzen Lebens gehört. Nicht lange Worte und viele Minuten gehören zum Gebete; wenn man zwischen Leben und Tod hindurchfliegt, gibt es keine Worte und keine Zeit zu messen.

      Ich bekam festen Boden; er wich aber augenblicklich unter mir; halb schon im Versinken, fußte ich wieder und raffte mich empor; ich sank und erhob mich, ich strauchelte, ich trat fehl, ich fand dennoch Grund; ich wurde hinabgerissen und kam dennoch vorwärts und ging dennoch nicht unter; ich hörte nichts mehr, ich fühlte nichts mehr, ich sah nichts mehr als nur die drei Männer dort an der Salzwelle, von denen zwei mit angeschlagenem Gewehre mich erwarteten.

      Da, da endlich hatte ich festen Boden unter den Füßen, festen, breiten Boden, zwar auch nur Salz, aber es trug mich sicher. Zwei Schüsse krachten – Gott wollte, daß ich noch leben sollte; ich war gestolpert und niedergestürzt; die Kugeln pfiffen an mir vorüber. Ich trug mein Gewehr noch auf dem Rücken; es war ein Wunder, daß ich es nicht verloren hatte; aber ich dachte jetzt gar nicht an die Büchse, sondern warf mich gleich mit geballten Fäusten auf die Schurken. Sie erwarteten mich nicht einmal. Der Führer floh; der ältere der beiden wußte, daß er ohne Führer verloren sei, und folgte ihm augenblicklich; ich faßte nur den jüngeren. Er riß sich los und sprang davon; ich blieb hart hinter ihm. Ihm blendete die Angst und mir der Zorn die Augen; wir achteten nicht darauf, wohin unser Lauf führte – er stieß einen entsetzlichen, heiseren Schrei aus, und ich warf mich sofort zurück. Er verschwand unter dem salzigen Gischte, und ich stand kaum dreißig Zoll vor seinem heimtückischen Grabe.

      Da ertönte hinter mir ein angstvoller Ruf.

      »Sihdi, Hilfe, Hilfe!«

      Ich wandte mich um. Grad an der Stelle, wo ich festen Fuß gefaßt hatte, kämpfte Halef um sein Leben. Er war zwar eingebrochen, hielt sich aber an der dort zum Glücke sehr starken Salzkruste noch fest. Ich sprang hinzu, riß die Büchse herab und hielt sie ihm entgegen, indem ich mich platt niederlegte.

      »Fasse den Riemen!«

      »Ich habe ihn, Sihdi! O, Allah illa Allah!«

      »Wirf die Beine empor; ich kann nicht ganz hin zu dir. Halte aber fest!«

      Er wandte seine letzte Kraft an, um seinen Körper in die Höhe zu schnellen; ich zog zu gleicher Zeit scharf an, und es gelang – er lag auf der sicheren Decke des Sumpfes. Kaum hatte er Atem geschöpft, so erhob er sich auf die Knie und betete die vierundsechzigste Sure:

      »Alles, was im Himmel und auf Erden ist, preiset Gott; sein ist das Reich, und ihm gebührt das Lob, denn er ist aller Dinge mächtig!«

      Er, der Muselmann, betete; ich aber, der Christ, ich konnte nicht beten, ich konnte keine Worte finden, wie ich aufrichtig gestehe. Hinter mir lag die fürchterliche Salzfläche so ruhig, so bewegungslos, so gleißend, und doch hatte sie unsere beiden Tiere, und doch hatte sie unseren Führer verschlungen, und vor uns sah ich den Mörder entkommen, der dies alles verschuldet hatte! Jede Faser zuckte in mir, und es dauerte eine geraume Weile, bis ich ruhig wurde.

      »Sihdi, bist du verwundet?«

      »Nein. Aber Mensch, auf welche Weise hast du dich gerettet?«

      »Ich sprang vom Pferde, grad wie du, Effendi. Und weiter weiß ich nichts. Ich konnte erst dann wieder denken, als ich dort am Rande hing. Aber wir sind nun dennoch verloren.«

      »Warum?«

      »Wir haben keinen Führer. O, Sadek, Freund meiner Seele, dein Geist wird mir verzeihen, daß ich schuld an deinem Tode bin. Aber ich werde dich rächen, das schwöre ich dir beim Barte des Propheten; rächen werde ich dich, wenn ich nicht hier verderbe.«

      »Du wirst nicht verderben, Halef.«

      »Wir werden verderben; wir werden verhungern und verdursten.«

      »Wir werden einen Führer haben.«

      »Wen?«

      »Omar, den Sohn Sadeks.«

      »Wie soll er uns hier finden?«

      »Hast du nicht gehört, daß er nach Seftimi gegangen ist und heute wieder zurückkehren wird?«

      »Er wird uns dennoch nicht finden.«

      »Er wird uns finden. Sagte nicht Sadek, daß der Weg nach Seftimi und nach Fetnassa auf zwei Dritteile ganz derselbe sei?«

      »Effendi, du gibst mir neue Hoffnung und neues Leben. Ja, wir werden warten, bis Omar hier vorüberkommt.«

      »Für ihn ist es ein Glück, wenn er uns findet. Er würde hier hinter uns untergehen, da der frühere Pfad versunken ist, ohne daß er es weiß.«

      Wir lagerten uns neben einander am Boden nieder; die Sonne brannte so heiß, daß unsere Kleider in wenigen Minuten getrocknet und mit einer salzigen Kruste überzogen wurden, so weit sie naß gewesen waren.

      Zweites Kapitel: Vor Gericht

      Obgleich ich die Ueberzeugung hegte, daß der Sohn des ermordeten Führers kommen werde, konnte er doch statt über den See, um denselben herumgegangen sein. Wir warteten also mit großer, ja mit ängstlicher Spannung. Der Nachmittag verging; es waren nur noch zwei Stunden bis zum Abend; da ließ sich eine Gestalt erkennen, welche von Osten her langsam der Stelle nahte, an welcher wir uns befanden. Sie kam näher und näher und erblickte nun auch uns.

      »Er ist es,« meinte Halef, legte die Hände wie ein Sprachrohr an den Mund und rief: »Omar Ben Sadek, eile herbei!«

      Der Gerufene verdoppelte seine Schritte und stand bald vor uns. Er erkannte den Freund seines Vaters.

      »Sei willkommen, Halef Omar!« grüßte er.

      »Hadschi Halef Omar!« verbesserte Halef.

      »Verzeihe mir! Die Freude, dich zu sehen, ist schuld an diesem Fehler. Du kamst nach Kris zum Vater?«

      »Ja,« antwortete Halef.

      »Wo ist er? Wenn du auf dem Schott bist, muß er in der Nähe sein.«

      »Er ist in der Nähe,« antwortete Halef feierlich.

      »Wo?«

      »Omar Ibn Sadek, dem Gläubigen geziemt es, stark zu sein, wenn ihn das Kismet trifft.«

      »Rede, Halef, rede! Es ist ein Unglück geschehen?«

      »Ja.«

      »Welches?«

      »Allah hat deinen Vater zu seinen Vätern versammelt.«

      Der Jüngling stand vor uns, keines Wortes mächtig. Sein Auge starrte den Sprecher entsetzt an, und sein Angesicht war furchtbar bleich geworden. Endlich gewann er die Sprache wieder, aber er benützte sie auf ganz andere Weise, als ich vermutet hatte.

      »Wer ist dieser Sihdi?« fragte er.

      »Es ist Kara Ben Nemsi, den ich

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