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Im Reiche des silbernen Löwen III. Karl May
Читать онлайн.Название Im Reiche des silbernen Löwen III
Год выпуска 0
isbn
Автор произведения Karl May
Жанр Зарубежная классика
Издательство Public Domain
»Ob das ein Beweis ist, daß unsere Spitzbuben hier gewesen sind?« fragte Halef.
»Ja. Und zwar ein sicherer Beweis,« antwortete ich. »Um welches von unseren Pferden es sich handelt, das weiß ich nicht; aber man hat eines von ihnen hierher an den Felsen gedrängt, um es zu zwingen, sich besteigen zu lassen. Es hat sich gewehrt und ist dafür mit diesem Aste gezüchtigt worden. Man hat ihn an dem edlen Tiere in Splitter geschlagen und diesem dabei diese Haare aus dem Schwanze gerissen. Aber der Hengst hat die Missethat sofort vergolten und den Betreffenden so getroffen, wahrscheinlich an die Brust, daß aus seiner Lunge ein Bluterguß erfolgt ist. Sie sind also in diesem Thale aufwärts geritten, und wir wissen nun, welche Richtung wir einzuschlagen haben, wenn wir ihnen folgen wollen.«
»Wie? Was?« fragte Halef zornig. »Unseren Barkh oder unseren Assil Ben Rih geschlagen? Mit diesem Knüppel hier? Das muß hundertfach gerochen werden! Das erste Gebot für uns ist, Allah zu lieben; das zweite ist, die Menschen zu lieben, und das dritte ist, die Tiere und überhaupt alle Geschöpfe zu lieben, welche uns dienen sollen, weil Allah sie uns anvertraut hat. Wer gegen eines dieser drei Gebote handelt, der ist ja gar nicht wert, daß sie ihm gegeben worden sind! Ich will nicht etwa sagen, daß das Schlagen überhaupt verboten sei, denn warum hätte man sonst die Peitsche erfunden, und wozu wäre da ganz besonders auch meine eigene Kurbatsch[28] vorhanden, welche in diesem Augenblick allerdings nicht mehr vorhanden ist? Ich hoffe aber, daß ich sie sehr bald wiederbekomme, um die Hiebe, mit denen die edle Haut unseres Pferdes entweiht worden ist, mit Zinsen und wieder Zinseszinsen von diesen Zinsen zurückgeben zu können! Wer ein Pferd schlägt, durch dessen Adern reines Blut und edler Wille fließt, der ist ein Schuft, ein Schurke, ein elender Taugenichts, der die größte Verachtung verdient. Und wenn er gar das Pferd vorher gestohlen hat und mit dem Knüppel also eine Stelle bearbeitet, welche gar nicht sein rechtmäßiges Eigentum ist, so – — so – — so fehlen mir überhaupt die Worte, dir zu erklären, wie unendlich tief der Abgrund der Niederträchtigkeit ist, in dem er diese mir ganz unbegreifliche That begangen hat!«
Das war so recht die Gesinnung und die Ausdrucksweise meines kleinen Hadschi. Er stand mit geballten Fäusten vor mir. Seine Augen blitzten, und sein Gesicht zeigte den Ausdruck des höchsten Zornes. Ein Vollblutpferd mit dem Stocke zu bestrafen, das ging ihm über alle menschenmöglichen Begriffe. Er riß mir den Ast aus der Hand und fuhr fort:
»Gieb ihn mir! Ich sehe den Rücken schon von weitem, auf welchem ich dieses Werkzeug der Missethat vollends zersplittern werde!«
»Sei ruhig, Halef,« fiel ich ein. »Schau hier das Blut! Die That ist ja schon gerächt worden, und zwar viel strenger, als du sie rächen könntest.«
»Meinst du! Hm! Ja! Der Haupttäter hat seinen Lohn bekommen. Aber es waren elf andere dabei, welche die Mißhandlungen geduldet haben. Traust du mir etwa zu, daß ich sie begnadige?«
Diese Frage war so ernst gemeint, daß ich über sie lächeln mußte.
»Warum lachst du?« fragte er. »Willst du etwa meinen Grimm vergrößern? Soll ich nun auch noch auf dich zornig werden?«
»Nein; das wünsche ich nicht, lieber Halef. Aber schaue dich an, und schenke auch mir einen Blick! Wie stehen wir da! Wie sehen wir aus! Worin besteht unser Besitz und unsere Macht? Und da sprichst du von Begnadigung?«
»Warum soll ich das nicht?« fragte er im Tone des Erstaunens. »Werden wir etwa so, wie wir jetzt aussehen, hier stehen bleiben? Haben wir nicht soeben die Spur derer entdeckt, welche wir suchen? Werden wir ihnen denn nicht alles wieder abnehmen, was sie uns gestohlen haben? Und sind sie dann nicht ganz und gar in unsere Hände gegeben? O, Sihdi, von dir habe ich gelernt, an mich und dich zu glauben, und nun bist grad du es selbst, der keinen Glauben hat! Was soll ich von dir denken! Selbst wenn es aus allen anderen Gründen unmöglich wäre, an diesen Schurken Vergeltung zu üben, so ist doch diese eine Unthat, unser Pferd geschlagen zu haben, so ungeheuerlich, daß sich das Kismet[29] gezwungen sehen muß, uns diese Kerle auszuliefern! Also zweifle nicht! Ich weiß, was kommen wird. Paß auf, was ich jetzt thue!«
Er schleuderte den Ast weit von sich und fügte dann hinzu:
»So wie ich dieses Werkzeug des Verbrechens wegwerfe, so werde ich alle meine Güte und Gnade von mir werfen, wenn diese Spitzbuben mich um Schonung bitten! Sei so gut und komme mir dann ja nicht mit deiner wohlbekannten »Menschenliebe«, mit welcher du mir schon so manche unbezahlte Rechnung ausgestrichen hast! Ich will und werde mich rächen, und zwar so, wie ich mich noch nie gerächt habe. Jetzt komm! Wir wollen fort von hier! Wir dürfen keine Zeit versäumen, um Gericht zu halten über alle, die uns beraubt, belogen, betrogen und beleidigt haben!«
Wir gingen, um dem Thale zu folgen, in welchem wir uns befanden. Mein Gesicht schien jetzt einen Ausdruck zu haben, der Halef nicht gefiel, denn dieser sah mich, während wir neben einander gingen, forschend an und sagte dann:
»Du lächelst abermals und doch ist es kein Lächeln. Du lächelst zwar sehr deutlich, aber innerlich. Habe ich recht?«
»Ja,« nickte ich.
»So sag: Was kommt dir spaßhaft vor?«
»Deine Ungnade.«
»Die ist ganz und gar nicht lächerlich. Ich meine doch, daß du mich kennst, Sihdi!«
»Ja, ich kenne dich!«
»Nun? Weiter? Was willst du sagen?«
»Dein Grimm will oft die ganze Welt verschlingen. Dann aber schleicht sich heimlich und leise dein gutes Herz heran, um diese ganze Welt verzeihend zu umarmen!«
»So! Also so stark und so schwach bin ich in deinen Augen?«
»Ja, aber nicht so, wie du es meinst, sondern umgekehrt: schwach im Grimme und stark in deiner Güte.«
»Höre, Sihdi, ich will nicht mit dir streiten. Ich streite ja überhaupt nie mit dir, weil ich dir sonst zeigen müßte, daß du immer und immer unrecht hast. Und diese Kränkung will ich dir ersparen, denn ich bin dein wahrer Freund, und liebe dich. Aber dieses Mal muß ich dir doch sagen, daß du dich in mir täuschest. Es wird meinem Herzen nicht einfallen, geschlichen zu kommen, um hinter meinem Rücken meinen Grimm in Liebe zu verwandeln. Du denkst nie so scharf und empfindest nie so tief wie ich! Ich habe vorhin mit ganz besonderer Absicht gesagt: beraubt, belogen, betrogen und sogar auch noch beleidigt. Diese Beleidigung kannst du freilich nicht so ganz unten in der tiefsten Tiefe des Zornes fühlen wie ich, denn du bist ein Abendländer aus Dschermanistan[30], wo man es für höflich hält, das Heiligtum des Hauptes preiszugeben. Ihr grüßt, indem ihr dem Kopfe das nehmt, was an jedem Kopfe das Allerwichtigste ist, nämlich die Bedeckung. Ich aber bin ein Scheik des Morgenlandes aus der Dschesireh[31], wo man es für eine Schande hält, die ehrenvolle Würde des Scheitels zu entblößen. Wer mich zwingt, unbedeckten Hauptes zu erscheinen, der hat schlimmer an mir gehandelt, als wenn er mir hundert Ohrfeigen oder tausend Stockhiebe gegeben hätte. Er hat ein Verbrechen an mir begangen, welches ihm zu verzeihen mir ganz unmöglich ist. Nun schau mich an! Was siehest du? Oder vielmehr, was siehest du nicht?«
»Das Allerwichtigste, was es an deinem Kopfe giebt,« antwortete ich.
»Halt! Lächle nicht etwa schon wieder! Diese Kerle haben mir nicht nur den Fez geraubt, sondern auch das Turbantuch, mit welchem man den obersten und höchsten Teil des Morgenlandes schmückt. Ich bin der hervorragendste Punkt des berühmten Volkes der Haddedihn vom großen Stamme der Schammar. Und dieser Punkt ist unbedeckt, der Luft, der Sonne, dem Regen und jedem Auge preisgegeben! Verstehest du das? Kannst du mir das nachfühlen, wenn ich mir Mühe gebe, es dir so deutlich wie
28
Peitsche aus Nilpferdhaut.
29
Schicksal.
30
Deutschland.
31
Gegend zwischen Euphrat und Tigris.