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verloren, daß sie nur noch darum bemüht war, den Gegensatz zwischen diesem Putz und ihrer äußeren Erscheinung nicht gar zu schrecklich werden zu lassen.

      Was Aleksey Aleksandrowitsch anbetraf, so hatte sie dies erreicht, und erschien diesem anziehend. Sie bildete für ihn die einzige Insel nicht nur von Zuneigung, sondern auch der Liebe, inmitten des Meeres von Feindseligkeit und Hohn, das ihn umgab.

      Durch die Spießrutengasse von höhnischen Blicken hindurchschreitend, strebte er naturgemäß ihrem Blick voll Liebe zu, wie die Pflanze dem Licht.

      „Ich gratuliere Euch,“ sprach sie zu ihm, mit den Augen auf sein Ordensband weisend.

      Ein Lächeln des Vergnügens unterdrückend, zuckte er nur mit den Schultern, die Augen schließend, als wollte er sagen, es könne ihn dies nicht erfreuen. Die Gräfin Lydia Iwanowna wußte recht wohl, daß dies für ihn eine der höchsten Freuden war, obwohl er es nimmermehr eingestanden haben würde.

      „Was macht unser Engel?“ sagte die Gräfin Lydia Iwanowna, an Sergey denkend.

      „Kann nicht gerade sagen, daß ich vollständig zufrieden mit ihm wäre,“ sagte Aleksey Aleksandrowitsch, die Brauen in die Höhe ziehend und die Augen öffnend. „Auch Sitnikoff ist nicht zufrieden mit ihm.“ Sitnikoff war der Pädagog, dem die weltliche Erziehung Sergeys anvertraut war. „Wie ich Euch schon gesagt habe, besitzt er eine gewisse Kühlheit gerade denjenigen Hauptfragen gegenüber, die die Seele eines jeden Menschen, und jedes Kind berühren,“ begann er, seine Gedanken über die einzige, ihn neben seiner amtlichen Thätigkeit interessierende Frage zu entwickeln – über die Erziehung seines Sohnes.

      Nachdem Aleksey Aleksandrowitsch mit Hilfe Lydia Iwanownas aufs neue dem Leben und der Thätigkeit wieder geschenkt worden war, fühlte er auch seine Verpflichtung, sich mit der Erziehung des Kindes zu befassen, welches in seinen Händen geblieben war. Da er sich vorher niemals mit Erziehungsangelegenheiten beschäftigt hatte, so opferte Aleksey Aleksandrowitsch einige Zeit dem theoretischen Studium des Gegenstandes, und indem er einige anthropologische, pädagogische und didaktische Bücher durchlas, stellte er einen Erziehungsplan auf, und ging, den besten Petersburger Schulmann zur Leitung desselben einladend, ans Werk. Dieses Werk nun beschäftigte ihn beständig.

      „Ja, aber das Herz? Ich erkenne in ihm das Herz des Vaters und mit einem solchen Herzen kann ein Kind nicht schlecht sein,“ sagte Lydia Iwanowna verzückt.

      „Ja, mag sein; was mich anbetrifft, so erfülle ich meine Pflicht. Das ist alles, was ich thun kann.“

      „Ihr kommt doch mit zu mir,“ sagte die Gräfin Lydia Iwanowna, eine Pause machend, „ich muß über eine traurige Angelegenheit mit Euch reden. Alles hätte ich darum gegeben, Euch mit gewissen Erinnerungen zu verschonen, aber die anderen denken ja nicht so. Ich habe ein Schreiben ‚von ihr‘ erhalten. Sie ist hier, in Petersburg.“

      Aleksey Aleksandrowitsch erschrak bei der Gemahnung an sein Weib, sofort aber stand auch jene totenhafte Unbeweglichkeit auf seinen Zügen, welche seine vollkommene Hilflosigkeit in dieser Sache ausdrückte.

      „Ich habe das erwartet,“ sagte er.

      Die Gräfin Lydia Iwanowna blickte ihn verzückt an, und die Thränen des Enthusiasmus vor seiner Seelengröße traten ihr in die Augen.

      25

      Als Aleksey Aleksandrowitsch in das kleine, mit altertümlichem Porzellan dekorierte und Gemälden behängte anheimelnde Kabinett Lydia Iwanownas trat, war die Herrin selbst noch nicht anwesend. Sie kleidete sich um.

      Auf einem runden Tische war ein Tafeltuch aufgedeckt, auf welchem ein chinesisches Service und eine silberne Theemaschine stand. Aleksey Aleksandrowitsch betrachtete zerstreut die unzähligen, ihm bekannten Porträts, welche das Kabinett schmückten, und öffnete, nachdem er sich an dem Tische niedergelassen, das auf demselben liegende Evangelium.

      Das Rauschen des seidenen Kleides der Gräfin zog ihn davon ab.

      „So, nun wollen wir uns gemächlich setzen,“ sagte die Gräfin Lydia Iwanowna, mit aufgeregtem Lächeln hastig zwischen Tisch und Diwan durchschreitend, „und bei unserem Thee sprechen.“

      Nach einigen Worten der Vorbereitung gab die Gräfin Lydia Iwanowna schwer atmend und errötend das empfangene Schreiben Aleksey Aleksandrowitsch in die Hände.

      Das Schreiben durchlesend, blieb dieser lange stumm.

      „Ich glaube nicht das Recht zu haben, ihr einen abschläglichen Bescheid geben zu dürfen,“ sagte er zaghaft, die Augen erhebend.

      „Mein Freund, Ihr seht doch in keinem Menschen das Böse!“

      „Im Gegenteil sehe ich, daß alles von Übel ist! Ob es aber richtig ist.“

      In seinem Gesicht lag Unentschlossenheit und das Suchen nach Rat, nach Unterstützung und Leitung in der Sache, die ihm unerfaßbar war.

      „Nein“ – unterbrach ihn die Gräfin Lydia Iwanowna, „alles hat seine Grenze! Ich begreife die Unmoral,“ sagte sie – nicht ganz aufrichtig, da sie nie begreifen konnte, was Frauen zur Unmoral führt – „begreife aber nicht diese Hartherzigkeit. Gegen wen? gegen Euch! Wie kann man in dieser Stadt verbleiben, in welcher Ihr seid? Nein; man kann hundert Jahre leben und lernt nicht aus! Ich aber lerne Eure Erhabenheit und ihre Niedrigkeit erkennen!“ —

      „Wer will einen Stein auf sie werfen?“ sagte Aleksey Aleksandrowitsch, augenscheinlich mit seiner Rolle zufrieden. „Ich habe alles vergeben, und kann sie daher nicht dessen berauben, was eine Forderung ihrer Liebe ist, der Liebe zu ihrem Kinde“ —

      „Aber ist denn das Liebe, mein Freund? Ist das aufrichtig von Euch? Gesetzt auch, Ihr habt ihr vergeben, Ihr verzeiht ihr – haben wir deshalb das Recht, auf die Seele jenes Engels einzuwirken? Er hält sie für tot. Er betet für sie und bittet Gott, ihr ihre Sünden zu vergeben. So ist es doch am besten. Sonst aber – was wird er da denken?“ —

      „Hieran dachte ich nicht,“ antwortete Aleksey Aleksandrowitsch, augenscheinlich zustimmend.

      Die Gräfin Lydia Iwanowna bedeckte das Gesicht mit den Händen und blieb stumm. Sie betete.

      „Wenn Ihr nach meinem Rate fragt,“ sagte sie, mit beten fertig und das Gesicht wieder aufdeckend, „dann empfehle ich Euch, dies nicht zu thun. Sehe ich denn nicht selbst, wie Ihr leidet, wie dies alle Eure Wunden wieder geöffnet hat? Aber nehmen wir an, Ihr vergäßet, wie immer, Euch selbst; wozu könnte das dann führen? Zu neuen Leiden nur Eurerseits, zu Qualen für das Kind! Wenn in ihr noch etwas Menschliches geblieben ist, so darf sie dies selbst nicht wünschen. Ich rate, ohne mich dabei zu bedenken, nicht dazu, und wenn Ihr bestimmt, werde ich ihr schreiben.“ —

      Aleksey Aleksandrowitsch willigte darein, und die Gräfin Lydia Iwanowna schrieb folgendes Billet auf Französisch:

      „Geehrte Frau! Die Erinnerung an Euch kann für Euren Sohn zu Fragen seinerseits führen, auf die es keine Antwort giebt, welche in die Seele des Kindes nicht den Geist des Tadels dem gegenüber einpflanzen müßte, was für ihn ein Heiligtum sein soll; demgemäß ersuche ich Euch, den abschläglichen Bescheid Eures Gatten im Geiste der christlichen Liebe aufzufassen.

      Ich bitte den Höchsten um seine Barmherzigkeit mit Euch.

Gräfin Lydia Iwanowna.“

      Dieses Schreiben verfolgte jenen geheimen Zweck, den die Gräfin Lydia Iwanowna sogar vor sich selbst verhehlte. Es traf Anna bis auf den Grund der Seele.

      Aleksey Aleksandrowitsch seinerseits von Lydia Iwanowna nach Hause zurückgekehrt, vermochte es nicht, sich an diesem Tage seinen gewöhnlichen Geschäften zu widmen, und jenen inneren Frieden des gläubigen und geretteten Menschen zu finden, den er vorher empfunden hatte.

      Die Erinnerung an sein Weib, das so schuldbeladen vor ihm war, und vor welchem er so hehr erschien, wie ihm ganz richtig die Gräfin Lydia Iwanowna gesagt hatte, hätte ihn nicht beunruhigen dürfen; und doch war er nicht ruhig; er vermochte das Buch nicht zu verstehen, welches er las, er vermochte die quälenden Erinnerungen an seine Beziehungen zu ihr nicht von sich zu weisen, die Erinnerung an jene Fehler, die er, wie ihm jetzt schien, ihr gegenüber begangen hatte.

      Die

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