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      Hubert Wiest

      Dennis und Guntram – Zaubern für Helden

      (Band 4)

      Für Nina, Janek, Ben und Lola

      WAS BISHER GESCHAH

      Fünftklässler Dennis Blauberg hat endlich einen guten Freund gefunden, den zehnjährigen Zauberer Guntram Mempelsino von Falkenschlag. Ein Zauberer als Freund könnte vieles einfacher machen. Doch seit Kalle, der Anführer der Haibande, in Guntrams Zauberstab gebissen hat, geht beim Zaubern so einiges schief.

      Dennis und Guntram gehören nach einer Mutprobe im Schwimmbad auch zur Haibande, aber immer bestimmt Kalle, wo es langgeht. Das nervt manchmal ziemlich. Trotzdem halten die Fünf von der Haibande zusammen, wenn es darauf ankommt.

      1. Der Duda

      „Hey, du da, nenne mir fünf deutsche Bundesländer!“, rief Herr Zieseke, der Geografie-Lehrer. Sein Finger deutete direkt auf Dennis. Dennis wich aus. Er bog sich zur Seite. Vielleicht meinte Zieseke überhaupt nicht ihn, sondern Flora in der hinteren Reihe. Doch der Zeigefinger folgte Dennis wie eine Kompassnadel dem Nordpol. Dennis bekam einen tomatenroten Kopf. Nicht, dass Dennis fünf deutsche Bundesländer wie aus der Pistole geschossen gewusst hätte. Nein, sicher nicht, aber drei wären ihm schon eingefallen. Viel mehr ärgerte Dennis, dass Zieseke seinen Namen nach zwei Monaten noch immer nicht kannte. In der alten Schule wusste Frau Bretscher die Namen aller Kinder gleich am zweiten Tag, und sie vergaß nicht einen einzigen Geburtstag.

      „Du da, sag schon“, bohrte Herr Zieseke nach.

      „Nennen Sie erst meinen Vornamen, dann können wir über die Bundesländer reden“, gab Dennis pampig zurück.

      Dennis erschrak. Hatte er das wirklich gesagt? Am liebsten wäre er im Boden versunken und nie wieder aufgetaucht. Welcher Teufel hatte ihn da geritten?

      Die fünfte Klasse war nie besonders ruhig, schon gar nicht in Geografie. Aber jetzt erstarrten alle wie schockgefroren. Niemand bewegte sich. Keiner blätterte in seinem Heft. Nicht ein einziger Papierflieger segelte durchs Klassenzimmer. Kein Atemzug war zu hören.

      Nur Herr Zieseke sog die Luft durch die Zähne, dass es pfiff. Mit knarzenden Schuhen schritt er auf Dennis zu. Noch einen Augenblick kostete Herr Zieseke die Stille aus. Dann bellte er: „So eine Unverschämtheit ist mir noch nie untergekommen, so wahr ich Zieseke heiße. Bis zur nächsten Stunde schreibst du alle sechzehn Bundesländer auf. Und zwar jedes fünfzig Mal. Hast du mich verstanden, du da?“ Herr Zieseke drehte ab und schritt in aller Ruhe zum Pult.

      Fünfzig Mal? Das war Wahnsinn. Dennis zitterte vor Wut. Sein Kopf dröhnte. Ohne vom Tisch aufzusehen murmelte er ganz leise: „Blödmann.“ Doch er hatte die Stille unterschätzt.

      Herr Zieseke zuckte zusammen und fauchte wie ein angeschossener Löwe: „Du da, das habe ich ganz genau gehört. Einhundert Mal. Du schreibst jedes Bundesland einhundert Mal auf.“

      Die Klasse verharrte mucksmäuschenstill.

      Herr Zieseke schritt die Reihen ab. „Wer möchte sich dem da anschließen?“, rief er in scheinbar bester Laune und deutete mit dem Daumen lässig über seine Schulter - dorthin, wo Dennis saß.

      Keiner muckste. Selbst Kalle, der sonst nie ein Blatt vor den Mund nahm, saß wie versteinert auf seinem Stuhl.

      „Na also. Es geht doch. Ein bisschen Disziplin und Ordnung sind das halbe Leben“, sagte Herr Zieseke und nahm ein Stück Kreide in die Hand.

      Dennis sackte in sich zusammen. Hundert Mal sechzehn Bundesländer ergab eintausendsechshundert Wörter. Wenn man die Länder mit den Doppelnamen wie Schleswig-Holstein als zwei Wörter zählte, waren es noch viel mehr. Dafür würde er den ganzen Nachmittag brauchen. Ausgerechnet heute, wo er die anderen im Skatepark treffen wollte. Das konnte er sich jetzt komplett abschminken.

      Dennis hörte nicht einmal den Schulgong, so sehr kreisten seine Gedanken um die ungerechte Strafe. Er fühlte sich wie in einem Wattenebel. Umständlich stopfte er die Bücher in seine Schultasche.

      Auf dem Heimweg schlug Guntram vor, dass er die Hälfte der Worte übernehmen würde. Dennis' Last schien sich für einen Augenblick zu halbieren, doch dann winkte er ab: „Du hast eine andere Schrift. Der Zieseke merkt so etwas. Das ist zu gefährlich. Sonst lässt er mich weltweit alle Städte tausend Mal aufschreiben.“

      „Das sind aber viele“, schluckte Guntram erschrocken.

      Zu Hause pfefferte Dennis seinen Schulranzen in die Ecke. Jetzt konnte er die Tränen nicht mehr unterdrücken.

      „Mama, die neue Schule ist total bescheuert“, beschwerte er sich bei seiner Mutter. Und dann erzählte er, was passiert war. Fast alles. Nur das mit dem Blödmann erwähnte er nicht. Über so ein Detail würde sich seine Mutter höchstens aufregen.

      Frau Blauberg zog die Augenbrauen zusammen und machte eine dicke Falte auf der Stirn: „Da ist Herr Zieseke aber zu weit gegangen. Den werde ich mir kaufen.“ Sie wischte ihre Hände am Geschirrhandtuch ab und warf es wütend Richtung Spüle. „Mit diesem Herrn Geografie-Lehrer werde ich gleich einen Termin ausmachen.“

      Dennis erschrak. Um Himmels willen, nein. Das würde alles noch viel schlimmer machen. „Mama, das ist nicht nötig“, versuchte er seine Mutter zu beschwichtigen. „Damit komme ich schon alleine klar.“

      Und plötzlich hatte Dennis das Gefühl, dass er diese Kleinigkeit mit dem Blödmann doch hätte erwähnen sollen. Aber irgendwie passte das jetzt nicht. Er würde es später nachholen.

      Dennis setzte sich an seinen Schreibtisch und begann, die Bundesländer aufzuschreiben. Es dauerte, bis er alle sechzehn ein einziges Mal aufgeschrieben hatte. Einhundert Mal, das war doch Wahnsinn! Und dann stellte er auch noch fest, dass er Baden-Württemberg und Thüringen falsch geschrieben hatte. Konnte man Thüringen nicht auch ohne h schreiben, genau wie Tür? Aber das würde der Zieseke ihm nie durchgehen lassen. Diese rasende Ungerechtigkeit! Warum durfte ein Lehrer das? Tränen schossen Dennis in die Augen. Eine tropfte herab. Mitten auf Bayern. Und Bayern verschmierte zu einem großen blauen Fleck, als wäre es der Chiemsee. Wütend riss Dennis das Papier vom Block und zerknüllte es. Er schnappte sich ein Kissen vom Bett und kickte es durchs Zimmer. Immer wieder. Bis das Regal schepperte. Sein Globus stürzte vom Schreibtisch und der Sockel brach ab. „Geschieht ihm ganz recht“, fauchte Dennis. Diese bescheuerte Geografie!

      Frau Blauberg steckte ihren Kopf zur Tür herein. „Dennis!“, sagte sie in vorwurfsvollem Ton.

      Jetzt fiel ihm Mama auch noch in den Rücken.

      Doch dann lächelte Frau Blauberg und meinte: „Es nützt doch nichts, wenn du dich so aufregst. Setz dich hin und fang einfach an. Vielleicht schreibst du die Bundesländer heute fünfundzwanzig Mal auf und morgen sehen wir weiter. Ich backe jetzt einen Apfelkuchen. Du weißt schon, das Rezept von Oma.“

      Dennis nickte. Das Wasser lief ihm im Mund zusammen, als er an den köstlichen Oma-Apfelkuchen dachte. Er schniefte und wischte mit einem Taschentuch übers Gesicht. Dann nahm er ein neues Blatt Papier und einen Bleistift und begann. Fünfunfzwanzig Mal schrieb er das Wort Bayern und dann Bremen. Zuerst die kurzen Bundesländer, hatte er sich überlegt.

      Am Abend hatte sich seine Laune dank des Apfelkuchens merklich gebessert. Und der nächste Schultag war auch in Ordnung, da hatten sie keine Geografie.

      Doch als Dennis am nächsten Mittag nach Hause kam, machte seine Mutter so ein merkwürdiges Gesicht. Nach süßsaurem Kürbis sah sie aus. Ziemlich ungenießbar.

      „Was ist los?“, fragte Dennis.

      „Mein Sohn, wir müssen miteinander reden. Setzen wir uns an den Küchentisch.“

      Dennis hatte ein mulmiges Gefühl. Diese Gespräche am Küchentisch führte seine Mutter nur, wenn es um furchtbar wichtige Dinge ging. Und seit wann nannte sie ihn mein Sohn? Dennis hockte sich auf die Stuhlkante. Verkrampft saß er da. Sein Magen klumpte, als hätte er einen ganzen Topf Käsefondue alleine

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