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      Wolfgang Altgeld / Thomas Frenz / Angelica Gernert / Michael Groblewski / Rudolf Lill

      Geschichte Italiens

      Reclam

      Aktualisierte und erweiterte Ausgabe 2021

      2002, 2021 Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

      Covergestaltung: Cornelia Feyll, Friedrich Forssman

      Coverabbildung: Markusplatz Venedig, Photochrom um 1895, CC BY 2.0 / trialsanderrors

      Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

      Made in Germany 2021

      RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

      ISBN 978-3-15-961073-3

      ISBN der Buchausgabe 978-3-15-014210-3

       www.reclam.de

      [11]Italien im Mittelalter (568–1454)

      Von Thomas Frenz

      Epochenüberblick

      Vier Elemente kennzeichnen die Geschichte Italiens im Mittelalter: 1. die Kleinteiligkeit der politischen Ordnung, 2. die singuläre Rolle der Kirche, 3. die intensiven Beziehungen zu den Nachbarstaaten, 4. die frühe und ausgeprägte Entwicklung kommunaler Lebensformen.

      1. Italien bildete im Mittelalter niemals einen einheitlichen Staat; in drei, zeitweise vier Zonen spielte sich seine Geschichte parallel und in ständig wechselnden Konstellationen ab. Durch die langobardische Eroberung seit 568 zerfiel es in zwei Gebiete: ein germanisches, das die Poebene und die Toskana sowie die Herzogtümer Spoleto und Benevent umfasste, und ein römisches in der Mitte der Halbinsel und im Süden, das unter byzantinischer Herrschaft blieb. Aus dem römischen Gebiet in Mittelitalien entwickelte sich der Kirchenstaat; die Insel Sizilien ging im 9. Jahrhundert an die Sarazenen verloren. Vom 11. Jahrhundert an entstand durch die normannische Eroberung das Königreich Sizilien, das das gesamte Land südlich des Kirchenstaates umfasste. Norditalien wurde zunächst Teil des Karolingerreiches, dann in der ersten Hälfte des 10. Jahrhunderts unter den sogenannten Nationalkönigen ein selbständiges Gebiet, schließlich 950 eines der drei Teilregna des römisch-deutschen Kaiserreichs. Die späten Staufer vereinigten zwar alle Gebiete außerhalb des Kirchenstaates [12]in Personalunion, aber nach ihrem Ende waren Norditalien, der Kirchenstaat und Süditalien, das jetzt unter die Herrschaft Karls von Anjou kam, wieder getrennt; das Königreich Sizilien zerfiel zudem 1282 in einen festländischen und einen Inselanteil. In Norditalien dauerte die Herrschaft des deutschen Königs formal weiter; de facto waren die zahlreichen Städte aber selbständig, wobei im Laufe des 14. und 15. Jahrhunderts mittelgroße territoriale Einheiten entstanden (Mailand, Florenz, Venedig usw.), ehe am Ende des 15. Jahrhunderts eine Phase ausländischer Einmischung begann.

      2. Durch die sogenannte Pippinische Schenkung erwarb das Papsttum in Mittelitalien ein ausgedehntes weltliches Herrschaftsgebiet. Deshalb hatten alle kirchengeschichtlichen Ereignisse Rückwirkungen auf die politische Geschichte Italiens, und umgekehrt. Die Sorge um dieses weltliche Herrschaftsgebiet verleitete die Päpste, besonders in der Auseinandersetzung mit den Staufern und während der Renaissance, zum Missbrauch ihrer geistlichen Gewalt zu politischen Zwecken. Im wirtschaftlichen Bereich führte die universalkirchliche Stellung der Päpste zu einem enormen Kapitalzufluss aus ganz Europa nach Italien.

      3. Stärker als bei anderen Ländern war die Geschichte Italiens durch die Verflechtung mit den benachbarten Gebieten bestimmt: Zunächst war der von den Langobarden nicht eroberte Anteil weiterhin der byzantinischen Herrschaft unterworfen; das Bündnis des Papsttums mit den Franken brachte eine enge Verbindung mit den Ländern jenseits der Alpen, insbesondere seit 950 mit dem deutschen Königtum; Sizilien gehörte zwei Jahrhunderte lang dem islamischen Kulturkreis an; im Spätmittelalter herrschten aus [13]Frankreich und Spanien stammende Fürsten in Süditalien, bis am Ende des Mittelalters der Süden geradezu zum spanischen Nebenland wurde.

      4. Die relative Schwäche der (deutschen) Königsherrschaft ließ es zu, dass, in Kombination mit einer fortschrittlichen Wirtschaftsentwicklung, in Nord- und Teilen Mittelitaliens im 11.–13. Jahrhundert selbstverwaltete und de facto unabhängige, aber auch politisch auf ihren eigenen Gesichtskreis beschränkte Kommunen entstanden. Diese konnten im 12. und 13. Jahrhundert in einem taktischen Bündnis mit dem Papsttum den staufischen Restaurationsbemühungen widerstehen, wodurch die polyzentrische Struktur des Landes erhalten blieb.

      Die skizzierten Bedingungen wirkten über das Mittelalter hinaus weiter und prägen die Politik Italiens und das Verhältnis der Italiener zu ihrem Staat bis heute.

      (Hinweis: Wenn im Folgenden die Ordnungszahl eines Papstes in Klammern gesetzt ist, bedeutet dies, dass dieselbe Ordnungszahl später von einem anderen Papst noch einmal verwendet wurde. Ein historisches Urteil über die Rechtmäßigkeit des Papstes wird dadurch nicht ausgedrückt.)

      Die Langobardenzeit (568–774)

568 Einmarsch nach Italien.
574–584 Interregnum.
584–590 König Authari (Wiederherstellung des Königtums), Königin Theudelinde (gest. 627).
590–604 Papst Gregor I. der Große.
636–652 [14]König Rothari.
663 Kaiser Konstans II. in Rom.
680 Friedensvertrag zwischen den Langobarden und Byzanz.
712–744 König Liutprand.
749–756 König Aistulf.
754 Pippinische Schenkung.
757–774 König Desiderius.

      Der Einmarsch der Langobarden

      Italien in der Langobardenzeit

      Im Jahre 568 marschierten die Langobarden unter König Alboin nach Italien ein. Dieses Ereignis kann als der eigentliche Beginn der italienischen Geschichte und zugleich als das Ende der Antike in Italien bezeichnet werden.

      Zwar hatte es auch zuvor schon »barbarische« Invasionen nach Italien gegeben, und zum Entsetzen der Zeitgenossen war 410 sogar Rom von den Westgoten erobert worden; aber diese Invasionen waren entweder von kurzer Dauer, oder es gelang den Kaisern, die Germanen als »Föderaten« in ihren Dienst zu nehmen, so dass sie de jure in die römische Herrschaft integriert wurden und die römische Verwaltung intakt blieb. Zuletzt hatte so von 493 bis 526 Theoderich der Große einvernehmlich über Ostgoten und Römer geherrscht, und anschließend hatten es bis 552 die Generäle Kaiser Justinians geschafft, sogar die direkte römisch-byzantinische Herrschaft über Italien wiederherzustellen. Die Langobarden kamen dagegen als reine Eroberer, die sich außerhalb der römischen Rechtsordnung stellten, die römischen Staatsstrukturen bewusst und auf Dauer [15]zerstörten und die römische Oberschicht auch physisch auslöschten.

      Der langobardische Einmarsch erfolgte von Nordosten her. Der Hauptstoß traf die Poebene, also die später so genannte »Langobardei« oder Lombardei. Ravenna, der damalige Hauptsitz der römischen Behörden, blieb links [16]liegen

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