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Mit dem Einwohnerrückgang ging auch der Bedarf an Trinkwasser sowie an der Abwasserentsorgung zurück. Die neu errichteten großen zentralen Anlagen bedingen aber in ländlichen Räumen für die Auslastung ihrer Kapazitäten sehr große bzw. weite Ver- bzw. Entsorgungsnetze. Wenn das Trinkwasser aufgrund zu geringer Entnahme in den Netzen zu lange steht bzw. nur einen sehr langsamen Durchfluss aufweist, beginnen sich in den Rohren Schwemmstoffe zu lösen, die das Wasser verunreinigen. Es kann dadurch zu einer Verkeimung kommen. Dann müssen die Netze aufwendig gespült werden. Wenn der Durchsatz (Durchfluss) des Abwassers zu gering ist, kann es zu Verstopfungen und Geruchsbelästigungen kommen, was ebenfalls aufwendige Netzspülungen erfordert. Führen die Spülungen zur deutlichen Verdünnung des Abwassers, sterben in unseren modernen, vollbiologischen Kläranlagen die dafür erforderlichen Mikroorganismen ab und die Klärfunktion bricht zusammen. Auf diese Probleme wurde angesichts der ostdeutschen Einwohnerentwicklung von Experten frühzeitig hingewiesen, mit der Empfehlung dezentrale und semizentrale Anlagen mit flexiblen Nutzungskonzepten zu errichten. Damit hätte man die Probleme vermeiden oder zumindest stark vermindern können. Diese Warnungen und Empfehlungen wurden aber längere Zeit ignoriert, wie ich selbst bei meiner Beratung eines ostdeutschen Bundeslandes erfahren musste.

      Ähnlich waren letztlich auch Fehlentscheidungen in der Schulplanung. Bei der Errichtung neuer Schulen, insbesondere in ländlichen Räumen die neuen großen, zentralen Berufsschulstandorte, wurde häufig die bevorstehende Schülerentwicklung nicht beachtet. Dabei war anhand der Anzahl der in Krippen und Kindertagesstätten betreuten Kinder eindeutig der bevorstehende Schülerrückgang und damit sinkende Kapazitätsbedarf ersichtlich. Die Folgen dieser Behördenausrichtung waren dann teilweise Berufsschulen, die nur noch zum Teil genutzt wurden, aber hohe, eigentlich vermeidbare Unterhaltskosten verursachten.

      Ostdeutschland wies damals sowohl hervorragende Naturgebiete auf, die sich häufig im guten Zustand befanden, als auch erhebliche Umweltschäden. Umweltschäden gab es vor allem durch den Braunkohletagebau, aber auch durch den Uranabbau der WISMUT in Sachsen und Thüringen sowie durch punktuelle Einzelfälle wie die Teerseen bei Nobitz. Allein für die Sanierung der Hinterlassenschaft der WISMUT wurden Anfang der 90er Jahre etwa fünf Milliarden DM veranschlagt, damals eine gewaltige Summe. Diese Maßnahme ist inzwischen seit langem erfolgreich abgeschlossen. Die Landschaftsschäden der Braunkohlegebiete südlich von Leipzig sind mit enormem Aufwand in eine attraktive naturräumliche Freizeit-Seen-Landschaft umgewandelt worden. Dafür erfolgten die Flutung der einstigen Abbaugruben und eine massive Aufforstung der Landschaft.

      Heute kann man resümieren, unter der Regierung Kohl fand ein enormer Mitteltransfer nach Ostdeutschland statt. Es wurde viel erreicht. Es gibt dort keine Wohnungsnot mehr. Die Warenversorgung entspricht dem westdeutschen Niveau. Die Ortsbilder haben sich durch umfassende Sanierungshilfen wesentlich verbessert. Die damals marode Infrastruktur befindet sich heute überwiegend im guten Zustand. Zugleich wurde aber auch durch falsche Konzepte und oft unzulängliche oder fehlende fundierte Prüfungen in enormem Ausmaß Geld vergeudet. Das Konzept zur wirtschaftlichen Angleichung wies große Schwächen auf, wie der immer noch bestehende Unterschied zwischen West- und Ostdeutschland zeigt. Viele Betriebe, die Probleme für die strukturelle Anpassung hatten oder an denen aus marktwirtschaftlicher Sicht keine Investoren aus Westdeutschland und dem Ausland Interesse fanden, wurden dichtgemacht, oder in der damaligen Sprache der dafür zuständigen Treuhandgesellschaft des Bundes „abgewickelt“. Größere ostdeutsche Investoren gab es nicht, da in der DDR nur der ostdeutsche Staat über die erforderlichen Ressourcen verfügte und der war ja mit der Wiedervereinigung aufgelöst worden. Die Entwicklung führte zur umfassenden Freisetzung ostdeutscher Arbeitskräfte. In Ostdeutschland wurde damals etwa jeder dritte Ostdeutsche, trotz seiner im europäischen Vergleich guten Ausbildung und vieler Umschulungen, dauerhaft arbeitslos. Dabei hat sich die oben angesprochene Verpflichtung zur Umsiedlung arbeitsloser ostdeutscher Fachkräfte besonders nachteilig ausgewirkt. Hiermit entfiel ein möglicher wichtiger Anreiz für westliche Firmen, Betriebsstätten in Ostdeutschland zu übernehmen oder zu errichten. Dadurch und wegen konjunktureller Einbrüche waren die 90er Jahre, insbesondere die zweite Hälfte dieses Jahrzehnts, von hoher bis sehr hoher Arbeitslosigkeit geprägt. Sie betrafen nun auch Westdeutschland, wenngleich in geringerem Ausmaß. Zugleich bewirkte die Entwicklung eine anhaltende Abwanderung junger Menschen aus Ostdeutschland. Sie galt nun nicht nur wie anfangs für junge Männer, sondern später im fast noch stärkeren Maße für ostdeutsche Frauen. Diese Entwicklung hatte auch langfristige nachteilige Folgen. Spätestens seit der Jahrtausendwende bzw. 20 Jahre nach der Wiedervereinigung wird die Entwicklung in den neuen Bundesländern durch den Fachkräftemangel benachteiligt.

      Besonders bedauerlich sind die nicht genutzten Chancen durch die Ablehnung jeglicher Errungenschaften Ostdeutschlands zu Gunsten einer weitgehendsten Ausrichtung auf die westdeutschen Systeme. Als Beispiel sei auf die Verkehrsanbindung in ländlichen Räumen verwiesen. Heute verfügen diese Räume über hochmoderne, bequeme Verkehrsmittel, aber dafür werden etliche Ortschaften nicht mehr vom öffentlichen Personennahverkehr angefahren, z. B. in der Region Greifswald über ein Viertel der Dörfer. Die Grundversorgung im Gesundheitswesen ist wie oben angesprochen (S. 43-44) gleichfalls ein Beispiel für damaliges Versagen, vor allem die Schließung der Polikliniken und Abschaffung der Gemeindeschwestern zugunsten rein privatwirtschaftlicher ambulanter Versorgungsstrukturen. Die inzwischen aufgetretenen Versorgungsprobleme wären vermeidbar gewesen, wenn man die betreffenden DDR-Institutionen erhalten und weiter entwickelt hätte anstatt sie zugunsten einer rein privatwirtschaftlichen Ausrichtung abzuschaffen. Aber es geht nicht nur um ungenutzte Chancen, sondern um die Veränderungen in der Wirtschaftspolitik. Wie die in der Einleitung angeführten Befürchtungen verschwindet mit der Ablösung der sozialistischen Staaten die Systemkonkurrenz, die für Ludwig Erhards Modell der sozialen Marktwirtschaft wesentlich war. Damit wird eine Entwicklung in Richtung Kapitalismus begünstigt, wie das soziale Auseinanderdriften in Deutschland belegt.

       1.3 Die Zeit der rot-grünen Regierung unter Kanzler Schröder

      Im Verlauf der 90er Jahre stieg die Arbeitslosigkeit immer weiter an. Dieser Anstieg wurde vor allem durch den Wirtschaftsumbruch in Ostdeutschland mit den zahlreichen Betriebsschließungen und freigesetzten Arbeitskräften sowie durch größere konjunkturelle Einbrüche verursacht. Das Thema Arbeitslosigkeit hatte für Westdeutschland spätestens seit dem „Wirtschaftswunder“ der 50er Jahre nahezu keine Bedeutung. 1998 waren dann aber etwa 3,5 Mio. Menschen arbeitslos. Die Tendenzen sprachen für einen weiteren Anstieg, ggf. auf 4 Mio. Der SPDKanzlerkandidat Schröder ging mit großen Ankündigungen zum Abbau dieses Problems in den Wahlkampf. Er versprach bei seiner Wahl, die Arbeitslosigkeit sehr bald zu halbieren und danach noch weiter zu reduzieren. Schröder hat dann tatsächlich die Wahl gewonnen. Der inzwischen altbacken wirkende Kanzler Kohl war zudem gegen den jugendlich, frisch auftretenden SPDKandidaten Schröder den Wählern nicht mehr zu vermitteln.

      Der neue Kanzler Schröder bemühte sich intensiv um die wirtschaftliche Belebung und den Abbau der Arbeitslosigkeit. Dazu fand ein erheblicher sozialer Umbau statt. Schröder versuchte vor allem durch große steuerliche Vergünstigungen für Konzerne und Kapitalerträge sowie durch massiven Sozialabbau sein Wahlversprechen des Abbaus der Arbeitslosigkeit und zugleich einen wirtschaftlichen Aufschwung zu erreichen. Die unter seiner Regierung erfolgten Veränderungen der Einkommen-, Körperschafts- und Erbschaftsteuern hatten erhebliche Auswirkungen. Damit fand ein Wandel zugunsten der Wirtschaft, Wohlhabenden und Reichen zulasten der breiten Bevölkerung statt (Hartmann M., S. 128). Der Spitzensteuersatz der Einkommensteuer, der bislang dem in Dänemark entsprach, wurde um etwa einem Fünftel gesenkt (3.4, S. 225), die Körperschaftssteuer sogar um 37,5 %, also um mehr als ein Drittel. Hingegen erfuhren die Reichen mit hohen jährlichen Millioneneinkommen eine steuerliche Entlastung von etwa 25 %, die sehr Reichen um über 40 %. Aufgrund der neuen Steuergesetze verzichtete der Staat bei den reichsten Deutschen sogar auf jährliche Steuereinnahmen in der Höhe von fast 1,6 Milliarden € (Hartmann, M., S. 129).

      Zugleich erfolgte unter Schröders Kanzlerschaft ein deutlicher Abbau der sozialen Errungenschaften seiner

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