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Blitz hinter ihm eingeschlagen. Zu seinem Glück stockte der Wasserstrahl augenblicklich.

      »Tut mir leid, wenn ich dich erschreckt habe. Wie heißt du?«

      Die Schüssel hatte eine angenehme Altstimme, das musste er zugeben. Aus der Tonlage ging nicht klar hervor, welchen Geschlechts sie war, aber das spielte im Augenblick keine Rolle. Verstört, wie Jonas war, fand er keine Worte, um die einfache Frage zu beantworten.

      »Bist ein Hübscher«, flirtete die Schüssel unbeirrt weiter.

      Jetzt entdeckte er das diskrete Loch und das Auge dahinter.

      »Ich wollte eigentlich nur …«, murmelte er verlegen.

      »Ach so, schade.«

      Das Auge verschwand, eine Klappe fiel über das Guckloch.

      »Vielleicht überlegst du dir’s noch«, hörte er gedämpft durch die Trennwand.

      In aller Eile suchte er nach weiteren Spionageeinrichtungen. Er setzte sich erst wieder, als er sicher war, allein zu sein. Doch so sehr er sich auch bemühte, die Zuschauer in seinem Kopf wollten keine Ruhe geben. Es war zwecklos. Das Ventil wollte sich nicht mehr öffnen. Mit einer leisen Verwünschung beendete er seine Sitzung, spülte und eilte hinaus. Nur weg vom Hygienebereich. In der Aufregung erwischte er die falsche Abzweigung und stolperte in ein Boudoir, das sich erfreulicherweise sogleich als zweite Bar entpuppte. Da er nicht Wasser lassen konnte, beschloss er, wenigstens den prozentualen Anteil von H2O mithilfe von Alkohol zu reduzieren. Das sollte zu schaffen sein in seinem Zustand. Er gab vor, das kopulierende Paar hinter dem Tresen nicht zu bemerken und näherte sich einer Frau, die offenbar gefunden hatte, was er suchte. Sie saß zusammengesunken auf einem Barhocker, hielt den leeren Kognakschwenker fest umklammert – und schlief mit dem Kopf auf der Tischplatte.

      Ein schönes Kind, dachte Jonas beim Anblick des schlanken Körpers, des seiden glänzenden roten Haars und der keck vorstehenden Backenknochen. Sie mochte ungefähr in seinem Alter sein. Schade, war sie nicht ansprechbar. Er sah sich nach der Quelle um, die zum Glas gehörte. Eine leere ›Asbach Uralt‹-Flasche stand auf der Anrichte.

      »Mist«, schimpfte er ärgerlich, denn im Gegensatz zur Bar im Foyer herrschte hier Ebbe.

      Die schlafende Schöne regte sich. »Ruhe«, lallte sie undeutlich.

      »Entschuldigung, ich wollte Sie – dich nicht wecken.«

      Beinahe wäre er ins förmliche Sie zurückgefallen, denn irgendwie hatte er das Gefühl, die Frau gehörte nicht hierher.

      Sie hob den Kopf, blickte ihn aus großen Augen verwirrt an und murmelte: »Ich brauch Nachschub.«

      Als er nicht gleich reagierte, hielt sie ihm das Glas unter die Nase.

      »Ver – stehst?«

      Mit dem S hatte sie etwas Mühe. Das konnte er gut verstehen. »Ich weiß nicht, ob es eine gute Idee ist«, gab er zu bedenken.

      »Bist ein ganz Gscheiter, wa?«

      Er nahm ihr das Glas aus der Hand, bevor sie es fallen ließ. Mit geschlossenen Augen stieg er über das Paar hinter der Theke, das nun bei der Stellung Hund angelangt war. Schnaps fand er in keinem Schrank, wohl aber einen funktionierenden Wasserhahn über der Spüle. Die Rothaarige war schon wieder eingenickt, als er ihr das Wasser reichen wollte.

      »Nachschub«, sagte er laut, um das Gestöhn der Hunde zu übertönen.

      Die Schöne trank gierig vom vermeintlichen Weinbrand, bis sie abrupt innehielt. Sie sah ihm entsetzt ins Gesicht, als wäre er allein für ihr ganzes Elend verantwortlich. Das Wasser aus ihrem Mund ergoss sich wie ein tropischer Sprühregen über ihn. Einzelne Spritzer trafen sogar die fleißigen Sexarbeiter, sodass der Rüde verwundert aufblickte, bevor er sich umso heftiger weiter vergnügte.

      »Pfui Teufel, was ist denn das?«, rief die Rothaarige erbost.

      Durch den Schock hörten sich Stimme und Aussprache beinahe wieder nüchtern an. Jonas trocknete sich das Gesicht mit einem Papiertaschentuch. »Man nennt es Wasser«, erklärte er dabei.

      »Wasser – willst mich vergiften?«

      »Das besorgst du schon selbst. Der Schnaps ist alle.«

      »Blödsinn, eben war die Flasche noch voll.«

      »Das habe ich befürchtet.«

      Sie schien sich wirklich über ihn zu ärgern, nicht über sich selbst, aber weshalb sollte ihn das überraschen? Um sie abzulenken, versuchte er es mit Smalltalk. Er streckte ihr die Hand hin und stellte sich vor:

      »Ich bin Captain Hook – und du?«

      Sein Verstand sagte ihm, dass ein solcher Satz nie über seine Lippen kommen dürfte. Es würde auch nie wieder passieren, schwor er sich, aber er wollte sich unbedingt mit dieser unbegreiflichen Frau unterhalten. Zu seiner Überraschung formte sich ein Lächeln auf ihrem Gesicht.

      »Bist scharf auf mich, wie?«, stellte sie völlig korrekt fest.

      Die naheliegende Antwort blieb ihm im Halse stecken. Er guckte nur albern aus der Wäsche und wartete darauf, dass sie die schwierige Frage selbst beantwortete. Gerade als er die Hand zurückziehen wollte, schlug sie ein.

      »Ich bin die Tess.«

      Er lachte erleichtert. »Ach so, Polanski, verstehe.«

      »Gar nix verstehst du.«

      »Der Film ist doch von Polanski?«

      »Welcher Film?«

      »Tess.«

      »Und?«

      »Wie – und – was meinst du?«

      »Wie ist sie, deine Hollywood-Tess?«

      Er erinnerte sich nur schwach an den alten Film. Die echte Tess interessierte ihn ohnehin wesentlich mehr. »Ich glaube, sie ist eine ziemlich tragische Romanfigur«, antwortete er vorsichtig. »Unerfüllte Liebe und so.«

      »Stimmt genau.«

      Die Antwort gab ihm neue Rätsel auf. Kannte sie die Geschichte nun oder war es ihre Geschichte? Ein tiefer Seufzer hinter der Theke unterbrach seine Gedanken. Die Hunde waren fertig. Jonas hörte, wie der Mann die Klappe des Mülleimers öffnete und etwas hineinwarf, das er sich lieber nicht vorgestellt hätte. Dann entfernten sich die beiden mit glücklichen roten Gesichtern in Richtung der sprechenden Kloschüssel.

      »Hallo«, gab er ihnen grinsend mit auf den Weg.

      »Die hab ich schon oft hier gesehen. Bleiben immer zusammen. Versteh ich nicht.«

      »Vielleicht mögen sie sich«, wagte Jonas zu vermuten.

      Tess schüttelte den Kopf. »Versteh ich nicht. Warum kommen sie dann hierher?«

      »Ah – das ist eine sehr gute Frage.«

      Er konnte sie auch für sich selbst nicht beantworten. Vor allem wunderte ihn, dass er immer noch da war. Schicksal vielleicht? Eine unbekannte kosmische Kraft, die ihn dazu zwang, das Geheimnis dieser Frau zu lüften?

      Aus einem Durchgang, der wie das Tor zu Dantes Inferno aussah, drang plötzlich Stimmengewirr. Eine kehlige Männerstimme begann zu lachen. Die Glocken heller, weiblicher Stimmen fielen ein, dann fing jemand an, rhythmisch zu klatschen. Die Stimmen aus der ewigen Verdammnis begannen zu singen:

      »Ja, mir san mit‘m Radl da …«

      Der höllische Gesang kam näher. Eine erste Gestalt quoll aus dem schwarzen Schlund. Ein wohlgenährter, älterer Herr betrat fröhlich klatschend die Bar, nackt bis auf den Stringtanga. Obwohl – so genau sah Jonas nicht, was sich unter seinem Wanst verbarg. Er war der Anführer einer ausgelassenen Polonaise. Männlein und Weiblein in unterschiedlich geschmackvoller Ausstattung wechselten sich ab. Stets spuckte das Höllentor neue abenteuerliche Gestalten aus. Die Prozession wollte nicht enden. Es war zu spät für eine Flucht. Starr vor Schreck ließ Jonas den Albtraum vorüberziehen. Er wagte kaum

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