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schließlich die Wahrnehmung der Lehrperson durch die Lernenden – und nichts dabei, bei dem uns die Technik helfen kann, sondern nur das direkte, beobachtende, wohlwollende Umgehen miteinander und mit sich selbst.

      Nichts anderes – und auf keinen Fall weniger – fordern wir zusammen mit Whitehead in unseren Gesprächen – oder mit anderen Worten: Whitehead ist auf dem aktuellen Stand der Bildungsforschung!

      Guter Unterricht ist der Schlüssel

      Was bedeutet das nun für die Digitalistisierung der Schule? Nun zunächst einmal, dass nichts, aber auch wirklich gar nichts, das unmittelbare leibhaftige Miteinander von Schülerinnen und Schülern mit Lehrerinnen und Lehrern ersetzen kann. Dieses Miteinander ist es, das den jungen Menschen wirklich hilft, ihren Weg durch die Schule zu gehen und zwar so, dass es ein guter Weg wird. Und wenn unmittelbares Miteinander nicht möglich ist, so wie in Zeiten einer Pandemie? Dann muss man sich erst einmal klarwerden, dass man sich damit sehr weit von dem, was Schule ausmacht, entfernt, und dass es daher auch nicht möglich ist, in solchen Zeiten all das zu leisten, was in normalen Zeiten erreichbar wäre. Klar muss man alle verfügbare Technik einsetzen, die geeignet scheint, die große Lücke bei den persönlichen Kontakten wenigstens ansatzweise zu überbrücken. Dazu muss diese Technik auch vorhanden sein (Laptops bzw. Tablets etc. pp. für alle Schüler) und sie muss funktionieren (schnelles Internet, WLAN etc. pp.), keine Frage – hier hat Deutschland zweifelsohne Nachholbedarf. Aber man muss auch ganz klar die Grenzen des Möglichen und vor allen Dingen des Wünschenswerten erkennen. Whitehead fordert schon für normale Zeiten »Weniger ist mehr« – in Ausnahmezuständen gilt das erst recht.

      Was Hattie zeigt und was Whitehead nicht müde wurde zu predigen, ist, dass wir es im gesamten Bereich Bildung mit Lebendigem zu tun haben: mit Kindern und Jugendlichen einerseits und mit Frauen und Männern andererseits, die sich der verantwortungsvollen Aufgabe verschrieben haben, die ihnen anvertrauten Kinder und Jugendlichen auf ihrem Weg ins Erwachsenenleben zu begleiten. Die Rolle der Lehrerinnen und Lehrer kann gar nicht überbewertet werden. Nur wenn sie in der Lage sind, ihre Schützlinge so zu sehen, wie sie sind, und erkennen, was ihnen helfen kann, und wenn es ihnen zudem gelingt, das Vertrauen der Schüler zu gewinnen, dann kann Bildung gelingen. Und vor diesem Hintergrund sind dann auch sämtliche Medien bzw. Hilfsmittel zu sehen: Bücher oder Internet, Tafel oder Whiteboard, Hefte oder Tablets, Präsenz- oder Distanzunterricht; das alles kann nur so gut sein, wie die Lehrperson, die sie einsetzt. Guter Unterricht ist der Schlüssel. Mit welchen Medien er erreicht wird, ist dabei zweitrangig. Was für eine Aufgabe!

      Wir laden Sie, liebe Leserinnen und Leser, nun dazu ein, unseren Lieblingsphilosophen Alfred North Whitehead und seine hochaktuellen Überlegungen zu Bildung näher kennenzulernen.

      Ursula Forstner und Harald Lesch

      im Frühjahr 2021

      Prolog

      Bildung, ein hochaktuelles Dauerthema in einer hochkomplexen, sich ständig wandelnden Welt. Ein Thema, das uns alle angeht. Und Whitehead, ein Philosoph aus dem verstaubten viktorianischen England. Auch wenn ihn heutzutage kaum jemand kennt – er hatte höchst interessante Ansichten zum Thema Bildung! So kamen wir dazu, uns mit seinen Ideen zu beschäftigen:

      Bildung soll unser Thema sein!

      Forstner: Ich kann mich an eine Mail von dir erinnern, wo du nur geschrieben hast: Bildung soll unser Thema sein! Keine Erklärung, keine Erläuterung, nichts.

      Lesch: Ja, stimmt …

      Forstner: Bildung soll unser Thema sein! Das scheint für dich so klar und offensichtlich gewesen zu sein, dass ich jetzt doch noch mal wissen will, warum das für dich so klar war.

      Lesch: Als ich anfing, Whiteheads Thesen zur Bildung zu lesen, dachte ich: Meine Güte, das ist ja total modern! Dass jemand die Kinder und Jugendlichen als Persönlichkeiten mit ihrer eigenen Entwicklung ernst nimmt, dass er sie nicht als reine Objekte ansieht, die in einer Bildungsmaschinerie nach einer bestimmten Schablone geformt werden müssen. Sondern da ist jemand, der die Würde auch des kleinen, des jungen Menschen so anerkennt, dass er sagt: So, den werden wir jetzt da reinbringen. Wir haben natürlich unsere Vorstellungen, was jemand aus der Schule mitnehmen soll. Aber wie wir das unterrichten, und vor allen Dingen, wie diese Jugendlichen das dann von uns auch beigebracht kriegen, das muss doch sehr viel organischer werden. Das muss viel menschenfreundlicher, viel großzügiger sein. Und als ich seine Thesen las, dachte ich: Das ist eigentlich die ideale Art, wie man mit Schülerinnern und Schülern umgehen muss. Und ich fühlte mich, um ganz ehrlich zu sein, richtig beseelt. Ich dachte: Oh, ja, das ist aber schön, so etwas zu lesen. Ich hatte noch keinen Philosophen bis dahin gelesen, der so wohlwollend mit den jungen Leuten umgeht wie Whitehead. Das fand ich toll! Ich hatte ja selbst schon ein Video10 gemacht, wo ich mich darüber ausließ, dass das Schulsystem gerade mit Jungs in einem bestimmten Alter11 nicht mehr gerecht umgeht, denn da müssen die einfach anders behandelt werden. Anstatt sie einzusperren muss Sport her, es muss Kunst, es muss Musik her, die Ausdrucksmöglichkeiten müssen stärker werden! Und da fand ich eben, da müssen wir mal was drüber schreiben!

      Forstner: Das heißt, das Thema Bildung und die Idee, dazu etwas zu schreiben, rumort schon viel länger in dir herum, also weit über die Idee mit Whitehead hinaus?

      Lesch: Ja, stimmt. Meist fängt es bei mir so an: Ich hab eine Meinung, ich ändere die Meinung, ich hab dann Gespräche, es gibt viel zu diskutieren. Das Thema Schule und damit auch das Thema Bildung ist ja vor allen Dingen unter Eltern irgendwann Dauerthema, und in Bayern zumal …

      Forstner: Wem sagst du das!

      Lesch: Und man merkt, es gibt einen Konsens unter allen. Zum Beispiel die Sache mit der Zeit, dass man Kindern Zeit lassen muss. Aber in dem System ist es genau andersherum: Die kommen da rein, und dann ist festgelegt, was läuft, und zwar ohne Wenn und Aber. Besonders schlimm wurde es dann, als es auch noch beschleunigt wurde. Als man angefangen hatte, so richtig Gas zu geben. Da hatte ich erst mal ein logisches Problem damit, weil ich auf der einen Seite in den Statistiken hörte, wir werden immer älter, die Lebenserwartung wird immer größer. Und gleichzeitig beschleunigen wir die Schule und für die einen oder anderen dann sogar den Universitätszugang. Ja, warum denn bloß?

      Forstner: Um immer früher fertig zu werden …

      Lesch: Ja, genau!

      Forstner: … für den Arbeitsmarkt letztlich.

      Lesch: Warum denn bloß? Um dann wieder nach ein paar Jahren von zum Beispiel industrieller, also ökonomischer Seite zu hören: »Die Leute, die wir da kriegen, die haben ja gar keine Lebenserfahrung!« Also, wie soll man Lebenserfahrung machen, wenn man keine Lebenserfahrung machen darf? Und Schule soll ja auch darauf vorbereiten, mit Lebenserfahrung umzugehen. Sie soll eine Persönlichkeit so bilden, dass sie aus sich heraus, also aus ihren inneren Motiven heraus mit der Welt umgeht: Eine Person sollte wissen, wo sie herkommt, also die Tradition der eigenen Kultur kennen. Sie sollte aber auch wissen, dass die eigene Herkunft rein zufällig ist, sie hätte auch ganz woanders auf die Welt kommen können. Und sie sollte erkennen, was wichtig und was nicht wichtig ist: Prioritätensetzung! Das muss man ja alles erfahren, und nicht: Da, das ist jetzt das Wichtigste, schreib das mal auf!

      Forstner: Das steht auch alles nicht wirklich im Lehrplan.

      Lesch: Genau! Und ich fand, dass die Thesen von Whitehead genau darauf abzielen, einen »lebensfähigen« Menschen aus der Schule zu entlassen, der in der Lage ist, lebensweltlich vernünftig zu handeln. Als ich das zum ersten Mal las, dachte ich: Der hat in mein Hirn geguckt, ich hab’s nur nicht gewusst.

      Forstner: Das kann Whitehead gut, die Themen, die in einem immer schon rumoren, auf den Punkt zu bringen. Auch wenn man ihm eigentlich vorwirft, dass er nicht besonders gut mit Sprache umgehen konnte, ich habe es immer anders empfunden.

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