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in der Evolution sein als Freiheit. Sollen wir so werden wie die Kakerlaken, weil sie sich am besten an die Umwelt angepasst haben?

      Sie ahnen vielleicht, dass eine naturwissenschaftliche Begründung der menschlichen Freiheit einige Schwierigkeiten bereitet. Sie setzt voraus, dass Überleben gut ist. Ist es das? Und sie setzt voraus, dass in der Geschichte das Gute siegt. Ist das so? Oder umgekehrt, dass das, was in der Geschichte siegt, das Gute sei. Im Hinblick auf die Kakerlaken können einem Zweifel an diesen Voraussetzungen kommen.

      Kurz: Ich habe vorläufig keine Antwort auf die Frage, warum wir Menschen frei sind. Ich weiß nur, dass alles Denken und Planen ausschließlich dann einen menschlichen Sinn haben kann, wenn Denken und Planen die Freiheit voraussetzen. Wenn wir so leben, als ob wir frei wären.

      Sollte sich irgendwann einmal am Ende der Geschichte herausstellen, dass wir Menschen letztlich doch nicht frei waren, so war diese Voraussetzung dennoch richtig – denn eine andere hätten wir gar nicht annehmen können (weil wir ja unfrei waren). Sollte sich jedoch irgendwann definitiv herausstellen, dass wir Menschen frei sind, so war die Voraussetzung auch richtig (weil wir ja tatsächlich frei sind). Wir stehen also immer auf der richtigen Seite, wenn wir immer so denken, entscheiden und handeln, als ob wir frei wären.

      (9) Nur wenn wir frei sind, brauchen wir eine Ethik; jede Ethik setzt Freiheit voraus.

      Wenn unser Denken determiniert sein sollte, brauchen wir uns keine Gedanken mehr zu machen. Dann lassen wir uns denken. Dann denkt irgendetwas für uns. Dann tun wir, was wir tun, ob mit oder ohne Denken. Dann ist alles gleichgültig. Dann könnten wir Forschungsmittel auch für Freikarten in Vergnügungsparks verwenden. Wenn es kommt, wie es kommen soll, kommt es nicht drauf an. Wenn allerdings der Mensch frei ist, dann brauchen wir eine Ethik.

       Du lebst nicht zweimal

      Sittliche Entscheidungen beinhalten nun nicht nur das, was wir tun, sondern auch das, was wir nicht tun. Wenn ich das Wechselgeld zurückgebe, kann ich es nicht gleichzeitig behalten. Etwas zu wählen heißt, etwas anderes nicht zu wählen. Man kann die Optionen manchmal eine gewisse Zeit lang offenhalten, aber einmal muss man sich dann doch entscheiden. Dann macht man etwas, und etwas anderes macht man dann nicht. Gebote sind also umgedrehte Verbote.

      (10) Etwas zu tun heißt, etwas anderes nicht zu tun.

      Wir handeln in diesem Sinne immer endgültig. Eine Vorläufigkeit des Handelns gibt es nicht. Unsere Zeit ist unwiederbringlich. Wir Menschen leben in der Geschichte. Wir vergehen in der Zeit. Für uns ist unser Leben unumkehrbar.

      (11) Wir können immer nur einmal handeln.

      Wir leben nicht probeweise. Man kann nur einmal handeln. Und dieses eine Mal muss es richtig gut sein. Wir können vielleicht die Folgen einer Handlung neu behandeln; aber wir können eine Handlung nicht ungeschehen machen: Wer eine Autobahnausfahrt verpasst hat, kann zwar die nächste nehmen … Aber den Zeitverlust kann er nicht ungeschehen machen.

       Gebote sind Verbote

      Wenn wir uns etwas erlauben, verbietet sich etwas anderes – nämlich die Sache nicht zu tun. Aber ist das noch tolerant, wenn man etwas verbietet? Ist das Pluralismus, wenn wir etwas nicht zulassen? Und wollen wir nicht alle tolerant sein und sollen den Pluralismus schätzen? Haben wir nicht aus Gotthold Ephraim Lessings Ringparabel (aus dem Theaterstück Nathan der Weise, 1779) gelernt, dass niemand weiß, wer der richtige Gott, was also die Wahrheit ist? Mag sein, aber Lessings Parabel setzt voraus, dass es den richtigen Ring immer noch gibt.

      Es ist nicht alles gleich gültig. Wer sagt: „Alles ist gut“, müsste selbstverständlich auch Hunger und Krieg akzeptieren. Wer sagt: „Ich will, dass die Menschen so sind, wie sie sind“, müsste auch diejenigen Menschen akzeptieren, die ihn töten wollen. Eine schöne Konsequenz!

      Unbegrenzte Toleranz kann nicht richtig sein. Wer eine Ethik fordert, die alles zulässt, befindet sich im Prozess der Selbstauslöschung. Die Proklamation der Beliebigkeit („Alles ist möglich“) leitet die eigene Amtsenthebung ein. Sie überlässt die Welt der Herrschaft der Mächtigen. Sie fördert Gewalt. Krieg. Denn wenn alles erlaubt ist, dann siegt faktisch der, der die Macht hat. Dann siegt die Gewalt.

      Die Proklamation von Freiheit bedeutet immer auch die Deklaration von Unfreiheiten. Wer Demokratie einführt, verbietet die Monarchie. Wer Pluralismus fordert, lehnt Einheitlichkeit ab. Das hat Folgen:

      Die Freiheiten dürfen nämlich nicht so weit gehen, diejenigen zu beseitigen, die diese Freiheiten proklamieren. Man kann als Sittengesetz nicht aufstellen, dass das Verbieten verboten wird. Jedenfalls kann man solch ein Gesetz dann nicht aufstellen, wenn man sich selbst nicht widersprechen will.

      Es ist also nicht richtig zu behaupten, dass das Verbieten ausschließlich Ausdruck von Macht ist und damit illegitim. Ein Verbot kann Ausdruck von Freiheit sein und Freiheit sichern.

      Wenn wir voraussetzen, dass sich die Menschen durch Freiheit definieren, entsteht die Verpflichtung, diese Freiheit zu achten und zu bewahren. Andernfalls würde man ihre Entstehungsbedingung zerstören. Und es ergibt sich die Verpflichtung, die Freiheit dort einzufordern, wo sie nicht beachtet wird. Wir können ja schlecht etwas voraussetzen, was wir dann in unseren Handlungen nicht achten, die diesen Voraussetzungen folgen. Das wäre ein Widerspruch zwischen Denken und Tun. Man kann nicht sagen, dass die Menschen frei sind – aber eben diese Freiheit nicht leben dürften. Wenn wir frei sind, dann müssen wir auch frei denken und handeln können.

      Wenn wir für jeden Menschen Freiheit voraussetzen, dann ist die prinzipielle Unfreiheit verboten. Sie ist der logische Gegner. Unfreiheit muss man verbieten. Das ist eine sittliche Pflicht. Die Freiheit hat also – logisch betrachtet – Verbote zur Folge. Damit haben wir eine weitere Regel gefunden, die sich aus dem Gedanken der Freiheit ergibt:

      (12) All unser Denken und Handeln muss sich an das halten, was es voraussetzt: die Freiheit.

       Alle Menschen sind gleich

      Wer also sagt: Ich bin so frei, dir zu verbieten, dass du frei bist – befindet sich in einem Selbstwiderspruch. Denn er missachtet die Grundvoraussetzung für alle Menschen. Damit ist vorausgesetzt, dass in Hinsicht auf die Freiheit alle Menschen gleich sind. Die Freiheit gilt für alle Menschen. Kein Mensch darf die Freiheit des anderen als prinzipiell eingeschränkt ansehen. Und so haben wir einen weiteren Grundsatz gefunden:

      (13) Ethische Prinzipien müssen immer für alle Menschen gelten, weil alle Menschen im Grundsatz gleich sind: Alle Menschen sind frei.

      Man kann demnach keine gruppenspezifische Ethik schreiben. So etwas hat man in der Tat versucht! Aristoteles (384–322) hatte (in seiner Politik) zwischen Bürgern und Sklaven unterschieden und nur den Bürgern Freiheit zugesprochen. Sklaven seien lebende Werkzeuge, mithin so unfrei, wie es Werkzeuge eben sind. Werkzeuge sind Gegenstände, die nur deshalb da sind, weil sie einen Zweck erfüllen. Ein Hammer ist nicht frei. Er ist nur für den da, der ihn gebraucht. Aber wer ihn gebraucht, der ist frei. Zum Beispiel seien dies – so Aristoteles – die Bürger Athens. Denn sie könnten Zwecke setzen. Sie könnten einen Hammer oder Sklaven zur Bearbeitung von Steinen für den Tempel oder aber zur Bearbeitung von Steinen für die Stadtmauer einsetzen.

      Es darf aber nicht eine Ethik für kultivierte Athener und eine für bärtige Barbaren aus dem Norden geben. Eine strenge Ethik für Deutsche und eine lockere für Amerikaner, eine für Gläubige und eine für Atheisten, eine für Christen und eine für Muslime. Es gibt nur eine Ethik, und die muss für all jene Wesen gelten, deren Erkennungsmerkmal es ist, frei zu sein – also für alle Menschen. Es darf also keine Ethiken (im Plural) geben, sondern es kann nur eine Ethik (Singular) geben. Sie gilt für alle. (Gäbe es mehrere Ethiken, dann müsste es eine Oberethik geben, die zuteilt, wann für wen warum welche Ethik gilt. Also gibt es doch wieder nur eine Ethik.)

      (14) Es kann nur eine Ethik geben.

      Die Bibliothek im Philosophischen Institut, Abteilung Ethik, könnte daher sehr überschaubar bleiben. Es dürfte – wenn man es recht bedenkt – nur ein einziges Buch darin stehen,

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