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einem unbeschwerten und damit nicht zielorientierten Leseverhalten zu tun. Aber der Kreis, was dieser beschriebene Gang durch Buchhandlungen mit Kreativität zu tun hat, lässt sich leicht schließen. Der erste Schluss ist ganz einfach: Der Gegenstand der Kreativität ist im Verlauf der letzten Monate und Jahre zu einem Hauptthema geworden. Er taucht in all der genannten Literatur vermehrt auf: Spiritualität und Persönlichkeitsliteratur fragen nach Kreativität, ebenso die Computerbranche und die Wirtschaftswissenschaften. Gleiches gilt sogar für die eher geistfernen Lifestyle-Magazine, die sich ihrer vermehrt annehmen. Nicht zuletzt die Gehirnforschung hat hier ganz wesentliche Impulse geliefert. Kreativität findet als Thema seinen Platz zunehmend in diesem Markt der dominierenden Ideen und Themen. Dabei muss sich Kreativität aber stark der beherrschenden Strömung unterordnen. Am meisten interessieren sich mittlerweile die Wirtschaftswissenschaften und ihre populären Ableger dafür. Kreativität ist schlichtweg ein Kapital. Ein immer stärker an Bedeutung zunehmendes Kapital für die einheimische Wirtschaft, um gegen die zunehmende Dominanz der asiatischen Konzerne bestehen zu können. Ein Kapital aber auch für den Einzelnen. Kreativität hat einen Zweck, nämlich die Steigerung der persönlichen Leistungsfähigkeit. Der Marktwert der persönlichen Ich-AG steht im Vordergrund. Dem französischen Soziologen Bourdieu kommt der Verdienst zu, den Marx’schen Kapitalbegriff aus seiner wirtschaftlichen Verengung gelöst und zu seiner umfassenden Erklärungsmatrix sozialer Phänomene erweitert zu haben. Neben dem ökonomischen Kapital, das dem traditionellen Begriff entspricht, führt er drei weitere Definitionen an: Zum ersten das Konzept des kulturellen Kapitals. Dieses umfasst Bildung und Wissen (inkorporiertes kulturelles Kapital) und Diplome und Titel (institutionelles kulturelles Kapital). Zum zweiten das Konzept des sozialen Kapitals. Jenes umfasst Beziehungen, Bekanntschaften, sowie die Zugehörigkeit zu Seilschaften, Clubs und Korporationen unterschiedlichster Art. Ein dritter Begriff schließlich bildet die übergeordnete Klammer als sichtbarer Ausdruck der beiden Konzepte von kulturellem und sozialem Kapital: das symbolische Kapital. Damit können Phänomene wie Mäzenatentum und Vereinsmitgliedschaften ebenso gedeutet werden wie Engagement im ehrenamtlichen Bereich. Bourdieu hat in einem erweiterten Modell der „Ökonomie der Praxisformen“ betont, dass der Bereich des symbolischen Kapitals den gleichen Spielregeln unterworfen ist wie die wirtschaftlichen Kapitalbewegungen. Auch dort kann man Investitionen, Akkumulationen und Profitmaximierung vorfinden. Nur lassen sich diese Spielregeln und Wirkungszusammenhänge nicht so einfach erklären. Wesentliches Kennzeichen des symbolischen Kapitals ist es nämlich, dass seine Nutzenorientierung nicht offen zutage tritt und größerer Labilität unterworfen ist als im Bereich des ökonomischen Kapitals. So kann sich das Engagement in einer Bürgerinitiative als Fehlinvestition für den beruflichen Einstieg auswirken. Die Wahl konkreter, nicht allein berufsspezifischer Fortbildung sind ebenso nur erste Investitionen in die eigene Ich-AG. Kreativität gehört hier unabdingbar zum Management und wird zum zentralen Mittel, den eigenen Marktwert zu steigern. Es geht darum, bei Kindern Kreativität zu fördern, um sie fit zu machen für die Arbeitswelt. Erwachsene, die möglicherweise ihre Kreativität verloren oder verschüttet haben, müssen sie aktivieren, um als Arbeitnehmer und auch Privatpersonen Prozesse optimieren zu können. Kreativitätsforscher wie Joy Paul Guilford haben betont, dass eine kreative Sinnproduktion im Kindesalter ausgeprägt ist, mit dem Einüben von wissensbezogenen und rein logischen Problemlösungsstrategien aber zunehmend verkümmert. Kreative Denkprozesse können aber auch gezielt gefördert und beschleunigt werden. Ziel dieser Steigerung oder (Wieder-)Erweckung ist zumeist aber der wertschöpfende Mensch im wirtschaftlichen Sinne. Es geht nicht um den homo ludens, den homo socialis, sondern allein um den homo oeconomicus, der die Kreativität nutzen soll. Auch die Kunst, üblicherweise Heimat des Kreativen, wird als Markt definiert und bestimmt. Der Begriff der „Kultur- und Kreativwirtschaft“ hat längst Einzug gehalten in die Fachsprache der Wirtschaft, die immer mehr andere Bereiche wie Politik und Wissenschaft durchdringt. Intellektuelle werden zu Kulturdesignern und Kreativitätstechnikern.

      Kreativität, so das bereits hier formulierte leidenschaftliche Plädoyer, ist dringend nötig und kann der Motor zu einer Veränderung der eigenen Lebensgestaltung, aber vor allem auch zur Humanisierung der Gesellschaft und der Welt sein. Aber dann muss sie einem anderen Zweck untergeordnet werden. Die Herausforderung dieser Zeit ist zweifellos, über Alternativen nachzudenken, die zu einer Vermenschlichung dieser Welt führt. Albert Einstein hat zurecht gesagt, „mit dem Denken, das unsere Probleme geschaffen hat, werden wir sie nicht lösen“. Aber genau vor diesem Dilemma stehen wir, und Kreativität kann der Schlüssel sein, was hier essayistisch ausgeführt werden soll. In einem ersten Schritt soll noch etwas beim Begriff verweilt werden, um Kreativität als Gestaltungswillen zu verstehen. In einem zweiten Schritt werden globale Herausforderungen beschrieben und in einem dritten, abschließenden Punkt geht es um die Schwierigkeit zur Umsetzung in einer „überforderten Gesellschaft“.

       Kreativität als Gestaltungswille

      Versucht man eine Definition, so kommt man auf den einfachen Nenner: „Kreativität ist die Fähigkeit des Menschen zu schöpferischem Denken und Handeln.“ An erster Stelle steht damit der Antrieb, diese Welt gestalten zu wollen. Das Greifen nach den Möglichkeiten des Menschlichen, stellt sich dem Fatalismus und damit der Resignation, sich den Sachzwängen zu ergeben, entgegen. Es ist nicht zuletzt ein Ausbrechen aus gewohnten Denkschemata und damit festgelegten Bahnen. Das entspricht auch den erweiterten Ergebnissen der Hirnforschung. Im übertragenen Sinne könnte man sagen, die üblichen Bahnen, Synapsen, werden verlassen oder neue gesucht. Nicht umsonst wurden Leonardo da Vinci, Alexander Graham Bell und James Watt verlacht und Zeit ihres Lebens ausgegrenzt und als völlig verrückt angesehen, da ihre Ideen, Entdeckungen und Entwicklungen fernab des Üblichen und gesellschaftlich Standardisierten standen. Kreativität ist immer wieder auch Normenbruch. Kreativität ist damit auch immer wieder Aufbegehren und Ausbrechen aus gesellschaftlich anerkanntem und legitimiertem Verhalten. Aber es wird dabei auch schnell deutlich, dass man um die Ziel- und Sinnfrage nicht umhin kommt. Kreativ waren auch Menschen wie Adolf Eichmann mit seiner Logistik der Vernichtungsmaschinerie, ebenso der Schöpfer der Atombombe und des Dynamits. Letztgenannter bietet ein erhellendes Beispiel, denn schließlich hat man dem bekannten Rüstungsindustriellen und Erfinder des zerstörerischen Sprengstoffes lange nachgesagt, er habe seinen Reichtum aus schlechtem Gewissen angelegt, um künftige herausragende Erfindungen, die vor allem auch der Menschlichkeit dienen sollten, zu küren. Ganz entsprechend seines Erfinders ist deshalb der Friedensnobelpreis weiterhin der beachtetste. Und die Geschichte der Guillotine darf nicht fehlen, zumindest als Hinweis für Nichthistoriker. Denn ihr Erfinder, der französische Arzt Joseph-Ignace Guillotin, wollte damit zu einer Humanisierung des Vollzugs der Todesstrafe beitragen. Die oftmals überforderten, erschöpften und auch alkoholisierten Henker benötigten nämlich oft mehrere Hiebe und trennten den Kopf vom Körper erst nach schmerzvollen Fehltreffern. Seine Humanisierung ermöglichte jedoch eine erste Rationalisierung des Mordens und wurde so zum Symbol der jakobinischen Schreckensherrschaft. Kreativität hat keinen Wert an sich. Sie ist ein Mittel zum Zweck. Menschen haben durch ihre Kreativität, durch ihren Gestaltungswillen die Welt verändert. Einzelne Frauen und Männer haben in ihrem Fachbereich oder auch in globalen Zusammenhängen Revolutionen ausgelöst. Ideen, einmal geboren durch kreative Köpfe, ließen sich von keinem Bajonett mehr aufhalten. Aber es geht nicht nur um die „Großen der Geschichte“, den Bewohnerinnen und Bewohnern des Walhalls der Kreativen. Veränderung der eigenen Lebenswelt, und seien es auch noch so kleine Lebenswelten in Wellblechbaracken und Lehmhütten, entspringt der Kreativität. Zweifellos, auch die Not gebiert Kreativität. Aber der Gestaltungswille wird auf die Rettung der Lebensexistenz beschränkt und beschnitten. Menschen werden ihrer Kreativität verlustig oder auch vorsätzlich beraubt, wenn sie zu Arbeitssklaven degradiert werden. Durch Strukturen der Ausbeutung werden Menschen in Unmündigkeit geboren oder haben sich auch selbst freiwillig in sie hineinbegeben. Der (Auf-)Ruf der Aufklärung: „Sapere aude“ gilt weiter! Aber er richtete sich wie im 18. Jahrhundert an jene, deren Lebensunterhalt grundlegend gesichert ist. Unsere Welt braucht Kreativität, braucht kreative Köpfe, um sie zu verändern. Den bekannten Ausspruch Margret Thatchers mit ihrer Formel TINA (There is no alternative) kann nur der bereits zitierte Satz Einsteins gegenübergestellt werden. Edward de Bono, der bereits in den 1950er Jahren eine Definition von Kreativität vorlegte, betonte die Fähigkeit des „lateral thinkings“, was in der deutschen Literatur als

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