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zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen über die Auswirkung vom Vergeben für den Vergebenden.4 Sie zeigen viele positive Auswirkungen für dessen weiteres Leben:

      • Verringerung von körperlichen Leiden (zum Beispiel Herz-Kreislauf-Erkrankungen, erhöhter Blutdruck, chronische Rückenschmerzen)

      • Das Risiko eines Herzinfarktes nimmt ab.

      • Selbstwert und Selbstwirksamkeit nehmen zu

      • Der Vergebende erlebt deutlich mehr positive Gefühle und hat ein glücklicheres Leben.

      • Die Fähigkeit zum Umgang mit negativen Gewohnheiten (Habits) wird verbessert.

      • Der Vergebende ist nicht mehr so stark auf die Tat und die Täterin fokussiert; der Aufmerksamkeitsfokus weitet sich und die Wahrnehmung weitet sich.

      • Das System (die Familie, der Betrieb …) des Vergebenden erfährt Entlastung. Niemand muss mehr »Position beziehen«, »neutral bleiben« oder »das Opfer schützen/verteidigen«. Dadurch können sich die Beziehungen im gesamten System verbessern.

      • Die Beziehung zur Täterin kann sich gegebenenfalls verbessern.

      • Der Vergebende verlässt die Opferrolle und übernimmt mehr Verantwortung und Kontrolle für sein Leben.

      • Feindseligkeit, Ängstlichkeit und Depressivität können abnehmen.

      • In Gruppen erhöht sich die Leistungsfähigkeit.

      Es gibt also viele gute Gründe für das Vergeben.

      3. Was hindert mich am Vergeben?

      Wie eben beschrieben, hat Vergeben sehr viele Vorteile. Allerdings vergeben die meisten Leute nicht gewohnheitsmäßig. Es stellt sich also die Frage: »Warum vergebe ich dann eigentlich nicht sofort, wenn das doch so viele positive Auswirkungen hat?«

      Auch das »Nichtvergeben« bietet einige Vorteile. Es ist sinnvoll, dass ich mir vorher die wichtigsten Aspekte vergegenwärtige. Denn auf genau diese Vorteile werde ich im Vergebensprozess verzichten müssen:

      • Wenn ich nicht vergebe, bin ich derjenige, der in der Familie oder einer Institution die Rollen festlegt. Der andere ist der Täter und ich bin das Opfer.

      • Als Opfer habe ich teilweise wichtige Privilegien. So wird von mir als Opfer einer Kränkung oft nicht verlangt, dass ich mich mit dem Täter im selben Raum aufhalte oder dass ich mit ihm reden muss. Nach einem Vergebensprozess würde ich auf solche Privilegien irgendwann verzichten.

      (Es gibt allerdings auch Situationen, in denen sich ein Opfer auch nach einem Vergebensprozess nicht in der Nähe des Täters aufhalten kann, um nicht retraumatisiert zu werden. Dies wird in einigen Fällen in Traumatherapien auch als Voraussetzung für Heilung angegeben.)

      • Oft habe ich immer noch die Hoffnung, dass der Täter seine Schuld mir gegenüber endlich einsieht und um Vergebung bittet. Vergeben bedeutet allerdings, dass ich diese Hoffnung auf Entschuldigung erst einmal aufgebe und eine Entschuldigung des Täters nicht mehr als Bedingung für mein Vergeben ansehe.

      In vielen Fällen wäre ein Täter aber gar nicht zum Täter geworden, wenn er die moralische Einsicht in die Tatsituation besessen hätte. Oder ein Täter beurteilt die gesamte Situation völlig anders als das Opfer. Deswegen kann ein Opfer häufig ewig warten, ohne jemals eine Entschuldigung zu erleben.

      • Meinen Groll empfinde ich manchmal auch als Bestrafung für den Täter. Vergeben bedeutet dann auch, dass ich auf diese gefühlte Bestrafung verzichte.

      • Auch auf andere Formen der Bestrafung, direkte Beschimpfungen und Angriffe, aber auch abwertende Sprache gegenüber dem Täter oder Sich-Abwenden, wenn die Person den Raum betritt, werde ich im Rahmen eines wirksamen Vergebensprozesses verzichten müssen.

      Der Täter wird wieder zu einem Menschen mit Schwächen und Fehlern – aber auch mit liebenswerten Eigenschaften und Stärken.

      • Wenn ich nicht vergebe, kann ich mich weiter mit meinen Gefühlen von Wut und mit meinem Groll auf den Täter beschäftigen. Ich muss mich dann nicht mit meinen anderen, deutlich unangenehmeren Gefühlen wie z. B. Scham, Trauer, Macht- und Hilflosigkeit auseinandersetzen.

      • Wenn ich Opfer bleibe, bedeutet das auch, dass ich wenigstens diese Beziehung zur Täterin aufrechterhalten kann. Das steht in meiner Macht, auch wenn mich der Täter in unangemessener Weise verlassen hat. In solchen Situationen vermeide ich durch das Opfersein teilweise die Anerkennung des endgültigen Beziehungsendes und die zugehörige Trauerarbeit.

      • Falls ich mich selber in der Situation ebenfalls unangemessen verhalten habe, entfällt durch das Verharren in der Opferrolle auch die Auseinandersetzung mit meiner eigenen Verantwortung – eventuell auch mit meiner Mitschuld an dem zugrundeliegenden Konflikt.

      Die bewusste Entscheidung, auf diese und ggf. weitere Vorteile dauerhaft zu verzichten, vereinfacht die nachfolgenden Schritte auf dem Weg des Vergebens.

      Auch ein weiterer Aspekt verhindert manchmal das Vergeben. Beim Opfer kann der Eindruck entstehen, vergeben würde bedeuten, die Tat sei eine Bagatelle gewesen. Oft hat es auch zu hören bekommen, dass es sich nicht so anstellen soll. Dann fühlt sich das Opfer in seinem Leiden nicht respektiert. Es entsteht der Eindruck, vergeben würde bedeuten, das Missverhalten des Täters quasi rückwirkend zu tolerieren.

      Das ist beim Vergeben allerdings nicht der Fall. Die Tat ist und bleibt verwerflich und eine Wiederholung muss verhindert werden. Beim Vergeben geht es nicht um das Billigen der Tat. Vielmehr geht es um die innere Einstellung des Opfers zur Täterin. Das Opfer wird durch die Vergebung Schritt für Schritt frei und unabhängig von der Täterin.

      Dieser Aspekt des Verhinderns einer Wiederholung der Tat ist gerade im Zusammenhang mit häuslicher Gewalt ernst zu nehmen. Falls ein Opfer häuslicher Gewalt sich immer wieder fügt, unterwirft (ggf. unter dem Vorwand einer Vergebung) und wieder in die alte Situation zurückgeht, nimmt die Gewalt der Täterin sogar zu. Die äußere Sicherheit des Opfers muss während und nach dem Vergebensprozess in jedem Fall gewährleistet sein.

      Insgesamt bietet das Verharren in der Opferrolle also doch einige psychische Vorteile. So erklären sich die teilweise hohen Beharrungskräfte, in der Opferrolle zu bleiben. Darüber hinaus fühlt sich das Alte, das Gewohnte immer vertrauter an als das Neue. Es erfordert Mut und Entschiedenheit, das Neue – das Vergeben – zu wagen.

      4. Vergeben, wie geht das denn?

      Vergeben wird im religiösen Rahmen von uns erwartet. Aber Gott verlangt von uns nichts Unmögliches – er verlangt nicht, dass wir unsere Gefühle ändern! Im Sinne der Bibel bedeutet der Prozess des Vergebens primär erst einmal eine Veränderung meiner inneren Einstellungen und meiner Handlungen. Ich soll mehr und mehr bereit werden, mich mit dem anderen wenn möglich direkt auseinanderzusetzen und auf meine (zum Teil berechtigte) Rache zu verzichten (Lev 19,17–18):

      Du sollst in deinem Herzen keinen Hass gegen deinen Bruder tragen. Weise deinen Mitbürger zurecht, so wirst du seinetwegen keine Sünde auf dich laden. An den Kindern deines Volkes sollst du dich nicht rächen und ihnen nichts nachtragen. Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. Ich bin der Herr.

      Ich soll mich neu auf meine Zukunft ausrichten und meine Vergangenheit immer mehr hinter mir lassen (Jes 43,14.18–19a):

      Denkt nicht mehr an das, was früher war; auf das, was vergangen ist, achtet nicht mehr! Siehe, nun mache ich etwas Neues. Schon sprießt es, merkt ihr es nicht?

      Wenn ich mich wirklich neu auf die Zukunft ausrichte, verändern sich langsam meine alten Gefühle und ich werde immer freier, gesünder und kann mich an meinem Leben deutlich mehr freuen – in meiner Wüste wird ein neuer Weg geschaffen.

      Vergeben ist einerseits ein geistlicher und andererseits ein psychischer Vorgang. Schon Thomas von Aquin sagte, die Gnade setzt die Natur voraus. Gott hat uns geschaffen mit all unseren psychischen Möglichkeiten und Fähigkeiten. Im Vergebensprozess verlangt er »lediglich« von uns, dass wir sie entsprechend nutzen. Gleichzeitig kommt er uns mit seiner Gnade im biblischen Wort, in der

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