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ist nicht nur nicht schädlich; er ist darüber hinaus auch zuträglich. Für Menschen mit einem halbwegs gesunden Herz-Kreislauf-System ist es schon aus rein medizinischen Überlegungen ratsam, gelegentlich zu streiten; das fördert die Blutzirkulation. Darüber hinaus sprechen auch soziale Gründe für das Streiten. Denn nur durch gemeinsame Überlegungen, die Auseinandersetzungen zwingend mit einschließen, überwinden wir die heute weitverbreitete zwischenmenschliche Gleichgültigkeit und kommen einander näher. Ja: näher! Naturgemäß geht es auch innerhalb der Kirche nicht ohne Meinungsverschiedenheiten und die damit verbundenen Konflikte ab, wie gerade das Apostelkonzil zeigt. Einvernehmen erreicht man nicht, indem man blind dem Papst gehorcht oder blindwütig gegen ihn ankämpft, auch nicht, indem man einen Bischof danach beurteilt, ob er einer Ansicht zustimmt, die man selber vertritt. Natürlich verhält es sich nicht so, dass bloß der Kopf des Papstes oder der des Bischofs oder jener des Lieblingstheologen einen geeigneten Landeplatz darstellt für die Taube des Heiligen Geistes. Ein Windhauch seines Flügelwehens kann grundsätzlich jede Stirn streifen. Dennoch sollten wir nicht in jedem Luftzug einen Unfehlbarkeitsbeweis für etwaige persönliche Erleuchtungen sehen, sondern stets bereit sein, die eigenen Überzeugungen mit den Argumenten anderer zu konfrontieren und mit ihnen zu debattieren, mit Ernst und Eifer, mit Überzeugungskraft und Vehemenz. Dabei dürften wir, wir haben ja nur einen Mund, aber zwei Ohren, über dem Sprechen das Zuhören nicht vergessen.

      Wenn immer dies zutrifft, werden die Menschen aufhorchen und staunen und sich erinnern, was der afrikanische Kirchenschriftsteller Tertullian (um 150 – nach 220) seinerzeit feststellte: »Seht, wie sie einander lieben!« Was in diesem Zusammenhang besagt: »Seht, wie vorbildlich sie miteinander streiten!«

       Papst und Kaiseroder Eine Fälscherwerkstatt ampäpstlichen Hof

      Im Jahr 366 steht in Rom wieder einmal eine Bischofswahl an. Zwei Männer, Damasus und Ursinus, streiten sich um den Posten. Eine Minderheit setzt sich für den Diakon Ursinus ein und lässt ihn in der Basilika Santa Maria in Trastevere weihen. Die Mehrheit stellt sich hinter den populären Diakon Damasus. Um seinen Anspruch auf den Bischofsstuhl von Rom durchzusetzen, heuert Damasus einen Schlägertrupp an, der unter den Anhängern des Ursinus ein drei Tage währendes Massaker anrichtet. Am 1. Oktober besetzt Damasus mit seiner Meute die Lateranbasilika und lässt sich dort zum Bischof von Rom weihen. Anschließend veranlasst er den Stadtpräfekten, Ursinus zu verbannen. Es ist dies das erste Mal, dass ein Nachfolger des Petrus die weltliche Obrigkeit für seine persönlichen Interessen in Anspruch nimmt. Die Unruhen indessen halten bis zum 26. Oktober an. An diesem Tag stürmen die Leute des Damasus die Basilika Santa Maria in Trastevere, wo die Anhänger des Ursinus Zuflucht gefunden haben. Bilanz dieser gewaltsamen Auseinandersetzung: 127 Tote und der Verlust der Glaubwürdigkeit.

      Diese Dinge gehen sogar dem freigeistigen Historiker Ammianus Marcellinus ein bisschen zu weit: »Sie brannten in unmenschlicher Gier darauf, sich des Bischofssitzes zu bemächtigen und bekämpften sich aufs Erbittertste. Ihre Anhänger lieferten sich regelrechte Straßenschlachten mit Toten und Verwundeten.« Irgendwie versteht der Chronist zwar, dass, wer in der Reichshauptstadt Bischof werden will, ein gewisses Durchsetzungsvermögen benötigt, um dieses Ziel zu erreichen. Aber dann kommt’s knüppeldick: »Haben sie es erreicht, dann gehen sie einer sicheren Zukunft entgegen. Sie werden reich durch die Spenden adeliger Matronen.«

      Tatsächlich versteht sich Damasus meisterhaft darauf, wohlhabende Damen und vermögende Witwen in kleinen feinen Zirkeln um sich zu scharen, die ihm, dem geselligen und gern gesehenen Gastgeber da ein Erbe überschreiben, dort eine Spende zukommen lassen und hier ein Geschenk übergeben, in der Hoffnung, dass vom Glanz dieses anerkannten Gesellschaftslöwen ein kleiner Lichtstrahl auch auf sie abfalle. Damasus’ späterer Sekretär Hieronymus, der unter anderem als Bibelübersetzer große Bedeutung erlangen wird, scheint in dieser Beziehung ebenfalls nicht ganz ungeschickt gewesen zu sein.

      Ammianus Marcellinus weiß ferner zu berichten, dass auch andere höhergestellte Kleriker den Witwen jeden Alters gern zur Seite stehen, insbesondere dann, wenn es gilt ein Testament aufzusetzen. Dass es sich dabei keineswegs um üble Nachrede handelt, geht aus einem Erlass des Kaisers Valentinianus aus dem Jahr 370 hervor, der dem Klerus den Zutritt zu den Häusern der Witwen strikt untersagte. Aber nicht nur Erbschleicherei, sondern auch der prunkvolle Lebensstil des römischen Bischofs und seiner Umgebung sind vielen ein Dorn im Auge. Ammianus Marcellinus wundert sich, dass diese Leute jetzt » nur noch im Wagen sitzend in der Öffentlichkeit erscheinen, sie tragen prächtige Kleider und halten üppige Mahlzeiten ab, sodass ihre Gastereien sogar eine königliche Tafel übertreffen.« Nicht nur Machtgier und Skrupellosigkeit, sondern auch Luxus und Völlerei also wirft der Chronist den christlichen Würdenträgern in der Hauptstadt vor. Und hält ihnen gleichzeitig das Beispiel der »kleinen Provinzbischöfe« vor Augen, »die sich durch ihre äußerste Bescheidenheit in Speise und Trank der ewigen Gottheit und ihren wahren Verehrern als reine und tugendhafte Männer empfehlen«. Dass Damasus es trotz seiner zweifelhaften Lebensweise schafft, ins kirchliche Guinnessbuch der Rekorde aufgenommen zu werden (im liturgischen Heiligenkalender hat er seinen festen Platz am 11. Dezember), erstaunt nicht weiter. Tatsächlich gelten die ersten 35 Vorsteher der römischen Gemeinde, angefangen von Petrus bis Julius I. († 352), allesamt als heilig. Unterbrochen wird die Reihe erst von Damasus’ Vorgänger, dem etwas wankelmütigen Liberius († 366). Es war eben nicht die Lebensführung, sondern das höchste Amt, welches den Nimbus gewissermaßen ex nihilo, also ganz von selbst zum Leuchten brachte.

      Bekanntlich ist Rom nicht an einem Tag erbaut worden. Das gilt auch für das Rom der Päpste. Allmählich nur vermochte sich die ehemals verfolgte Minderheit der Christen in der Hauptstadt des römischen Kaiserreiches zu etablieren. In dem Maße als die Neugläubigen dort Fuß fassten, verstanden es die Päpste, die Hauptstadt schrittweise zu einem Machtzentrum auszubauen, indem sie ihre anfänglich rein geistliche Autorität zusehends weltlich vermummten.

      Diese politische Entwicklung wird später mit der berühmten Verheißung religiös verbrämt, die Jesus dem Matthäusevangelium zufolge an Petrus gerichtet hatte: »Du bist Petrus [d.h. der Fels], und auf diesem Felsen werde ich meine Gemeinde bauen« (16,18). Allerdings hat der Verfasser des Matthäusevangeliums dabei den persönlichen Glauben des Petrus im Blick und nicht einen Sonderstatus im juristischen Sinn, der sich auch auf die Nachfolger des Apostels erstreckt (wie manche Interpreten später entgegen jeder historischen und exegetischen Evidenz behaupten werden). Erst in nachkonstantinischer Zeit, also um die Mitte des 4. Jahrhunderts, beginnt sich die Vorrangstellung des Bischofs von Rom in der gesamten Kirche durchzusetzen. Vorher waren es die römischen Kaiser (die sich zunächst als Schutzherren der neuen Glaubensgemeinschaft ausgaben), welche sich als Herren über die Kirche gebärdeten (das Konzil von Nikaia wird vom Kaiser einberufen und tagt im Jahr 325 unter seinem Vorsitz!). Nachdem durch die Verlegung des kaiserlichen Hofes nach Konstantinopel in Rom ein Machtvakuum entstanden ist, verlangt die neue Konstellation nach einem Gegenspieler. Naturgemäß fällt diese Rolle dem geistlichen Oberhaupt der Christen zu, das inzwischen eine nicht unbedeutende gesellschaftliche Position erlangt hat. Ein erstes Zeichen dafür bildet ein 343 erlassenes Dekret der Kirchenversammlung von Sardica (heute Sofia), welches abgesetzten Bischöfen die Appellationsmöglichkeit beim Bischof von Rom ermöglicht. Wenig später verfällt Damasus I. (366–384) auf den Gedanken, die an Petrus ergangene Verheißung auch auf die späteren Vorsteher der Christengemeinde auszuweiten. Von Damasus stammt auch die Idee, die Bezeichnung Apostolischer Stuhl für den römischen Bischofssitz zu reservieren. Bis dahin nämlich schmückten auch andere Bischöfe, deren Gemeinden angeblich von einem Apostel gegründet worden waren, ihren Amtssitz mit diesem Titel.

      Im Römischen Reich ist die Kirche inzwischen in fünf Großräume aufgegliedert, an deren Spitze ein Patriarch steht. Der einzige und alleinige Patriarch im Westreich ist der Bischof von Rom, während das Ostreich unter vier Patriarchen aufgeteilt ist, die in Alexandreia, Jerusalem, Antiocheia und Konstantinopel residieren.

      Siricius, der 384 zum Bischof von Rom gewählt wird, verfolgt die Linie seines Vorgängers Damasus konsequent weiter. Kaum im Amt, kramt er aus Schränken und Schubladen die alten Dokumente seiner Vorgänger hervor und stößt dabei auf einen Erlass, mit dem Kaiser Gratianus (367–383), ein erklärter Förderer des Christentums, allen römischen Bischöfen die oberste Gerichtsbarkeit

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