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Mörderisches Vogtland. Roland Spranger
Читать онлайн.Название Mörderisches Vogtland
Год выпуска 0
isbn 9783839270301
Автор произведения Roland Spranger
Жанр Триллеры
Издательство Автор
Als er beim Anlegen der Skier für einen Moment die Handschuhe auszog, biss ihn die Kälte in die Finger. Die Berührung mit dem Metall der Bindung jagte Gänsehaut über seinen Körper. Obwohl er gleich danach wieder seine Handschuhe anzog, bemerkte er ein leichtes Taubheitsgefühl in seinen Fingern. Da musste er jetzt durch, dachte er, während er nach einer Biegung talaufwärts einem geräumten Waldweg folgte. Ein schweißtreibender Aufwärtssprint sorgte dafür, dass wieder Blut in seine Finger gepumpt wurde und ihm der Schweiß das Brustbein und den Rücken hinunterrann. Eine Zeit lang kam er gut voran. So gut, dass er die nächste Serpentine abzukürzen beschloss, indem er direkt den bewaldeten Hang hinaufstieg. Während er sich durch den tiefen weichen Schnee vorankämpfte, erschien der Vollmond am Himmel und übergoss die Landschaft mit silbrigem Licht. Norbert dachte, dass es eine ideale Nacht zum Skilaufen war. Obwohl er sich zwischendurch immer wieder an der Karte zu orientieren versuchte, war er mittlerweile längst nicht mehr sicher, ob er sich noch auf dem richtigen Weg befand. Als er einen steilen Abhang hinunterfuhr, passierte es. Seine Skispitze berührte einen eingeschneiten Baumstamm. Norbert segelte mit dem Kopf voran durch die Luft und landete bäuchlings im Schnee. Für eine Weile lag er reglos da. Um ihn herum herrschte Totenstille, lediglich unterbrochen vom Pulsieren des Blutes in seinen Ohren. Sein Knöchel schmerzte und er hatte sich den Kopf angeschlagen. Am Schlimmsten jedoch war, dass sein rechter Ski beim Aufprall in die Brüche gegangen war. Schnee hatte sich unter seinen Schal geschoben und war aufgrund seiner Körperwärme geschmolzen. Nun rann ihm das Wasser über Nacken und Rücken. Augenblicklich begriff Norbert, dass er vor einem Problem stand. Wie sollte er ohne Skier durch den Meterdicken Schnee vorankommen? Für jeden anderen wäre das der Moment gewesen, zurückzukehren. Nur für Norbert nicht. Schließlich war es doch genau das, weswegen sie hergekommen waren. Er und Stefanie. Der Gedanke an seine Geliebte beschleunigte seinen Pulsschlag und pumpte Adrenalin durch seine Adern. Er musste daran denken, wie sie ihn in der Hütte erwarten würde. Im Kamin würde ein Feuer brennen und es würde nach Glühwein duften. Vielleicht gab es sogar ein Bärenfell, auf dem sie es treiben konnten. Die Vorstellung jagte ihm einen wohligen Schauer über den Rücken.
Vergessen waren die unangenehmen Begleitumstände. Wenn es nicht anders ging, würde er eben zu Fuß weitergehen. Schon der erste Schritt ließ ihn bis zu den Knien im Schnee einsinken. Ein Blick auf die Karte zeigte, dass es ihn viel Kraft kosten würde, zur Hütte zu gelangen. Wenn seine Berechnungen stimmten, hatte er noch mehr als die Hälfte des Weges vor sich. Dazwischen weit und breit nichts als Wald. Für einen kurzen Moment erwog Norbert, Stefanie anzurufen und ihr von seinem Missgeschick zu erzählen. Doch dann verwarf er den Gedanken. Zumal er sich nicht vorstellen konnte, dass er hier draußen Empfang für sein Handy hatte. Als er auf das Display blickte, wurde seine Vermutung bestätigt. Zum ersten Mal befielen ihn Bedenken, ob er unbeschadet aus der Situation herauskäme. Vielleicht sollte er besser umkehren? Am Ende siegte sein Kampfgeist. Stefanie würde ihm das nie verzeihen, wenn er jetzt zum Auto zurückgehen würde. Er zweifelte keinen Moment daran, dass sie in der Hütte auf ihn warten würde, um ihn nach Kräften für seine Strapazen zu entschädigen.
Inzwischen hatte die Kälte seinen müden Körper und seine schweißgetränkte Kleidung durchdrungen. Du darfst nicht schlappmachen, ermahnte er sich. Doch die Anstrengung kehrte sich jetzt gegen ihn. Die durch seine Bewegung geweiteten Kapillaren leiteten die Wärme seines Körpers über die Haut ab, und seine feuchte Kleidung wiederum gab sie rasch an die nächtliche Umgebung ab. Die Folge war, dass seine Körpertemperatur binnen weniger Minuten rapide sank. Seine Nacken- und Schultermuskeln spannten sich an und er begann zu zittern. Hände und Füße fingen vor Kälte an zu schmerzen. Obwohl sich Norbert durchaus der Gefahr bewusst war, in der er sich befand, kämpfte er sich mit verbissener Miene Meter um Meter durch den Schnee in Richtung Hütte. Das Laufen fiel ihm immer schwerer. Mit jedem weiteren Schritt nahm das Bewusstsein zu, dass es ein Fehler war, in dieser kalten Nacht draußen herumzulaufen. Schon längst hatte er keinen Blick mehr für die Schönheit der von gleißendem Mondlicht überfluteten Landschaft.
Zu spät begriff er, dass es falsch gewesen war, sich auf dieses Abenteuer einzulassen. Was waren Wildwasserfahrten, Bungeejumping oder ein Fallschirmsprung im Gegensatz zu dem hier? Norbert verfluchte seinen Leichtsinn, der ihn in diese Situation gebracht hatte. Er hätte besser auf den Wetterbericht hören und ihr Treffen absagen sollen. Allerdings war das leichter gesagt als getan. Schließlich wollte er Stefanie unbedingt sehen. Sie waren wie zwei Süchtige auf der Suche nach immer neuen Herausforderungen. Es war die Gefahr, die sie reizte. Deshalb waren sie jetzt hier. Nur dass Stefanie klüger gewesen war als er. Sie war bereits am frühen Morgen aufgebrochen. Zu einer Zeit, als sie das Tageslicht auf ihrer Seite hatte. Er hingegen war erst losgezogen, als es draußen bereits zu dämmern begann. Noch dazu in ein ihm völlig unbekanntes Gebiet. Und das bei der Kälte!
Obwohl Norbert einsah, dass er den Trip hätte besser planen sollen, ignorierte er die Stimme in seinem Kopf, die ihn zur sofortigen Umkehr mahnte. Statt ihr zu folgen, blieb er unentschlossen stehen und zog die Karte zurate. Er warf noch mal einen Blick drauf und schätzte ab, welchen Weg er nun einschlagen würde: Zurück zum warmen Auto oder weiter zur Hütte. Norbert rang mit sich. Inzwischen zitterte sein ganzer Körper, was dazu führte, dass er nicht mehr klar denken konnte. Sonst hätte er womöglich kehrtgemacht, um seiner eigenen Spur zurück zu folgen. So jedoch entschied er sich fürs Weiterlaufen. Wobei Herumirren passender gewesen wäre. Seine Muskeln waren kalt und verhärtet. Jeder Schritt wurde zur Herausforderung. Längst hatten Stefanie und ihr nackter Körper ihre Reize verloren. Er sehnte sich nur noch danach, endlich ins Warme zu kommen. Es verging eine weitere Stunde, die Norbert wie eine gefühlte Ewigkeit vorkam. Er war jetzt in dem Stadium, indem die ersten Ausfallerscheinungen einsetzten. Norbert hatte keinerlei Zeitgefühl. Ein Blick auf die Uhr zeigte ihm, dass es nach Mitternacht war. Er fragte sich, ob Stefanie schon nach ihm suchte. Würde sie ihn vermissen und sich um ihn sorgen? Es gelang ihm nicht, den Gedanken zu Ende zu führen. Kurz darauf schaute er wieder auf die Uhr. Er konnte sich die Ziffern nicht merken. Voller Verzweiflung ließ er sich in den Schnee fallen. Nur um sich gleich wieder aufzurappeln.
Komm schon, du schaffst das, sprach er sich Mut zu, während er auf allen vieren weiterkroch. Immer wieder sank er ein. Seine Körperwärme verlor sich im weichen Schnee, der ihn umfing. Inzwischen hatte er die Grenze zur mittelgradigen Unterkühlung unterschritten. Die Pumpleistung seines Herzens betrug jetzt nicht einmal mehr zwei Drittel der Normalleistung. Doch Halt! Was war das? Hatte da nicht jemand nach ihm gerufen? Er hob den Kopf, um zu lauschen. Aber das Ganze war nur eine Halluzination, hervorgerufen durch den Sauerstoffmangel.
Norbert versuchte, sich aufzurappeln, tappte ein paar Schritte durch den Schnee. Er konnte spüren, wie seine Kräfte mit jedem Meter schwanden, den er sich stolpernd vorankämpfte. Als er wieder einmal stürzte, kroch er nur noch vorwärts. Es gelang ihm, sich Meter um Meter vorwärtszuschieben. Auch wenn er dabei immer wieder auf dem Schnee zusammenbrach und einsank. Sein Kopf glich einer zentnerschweren Last. Nicht nachlassen, befahl er sich, sonst bist du erledigt. Plötzlich sah er die Hütte. Seine letzten Kräfte mobilisierend, rappelte er sich hoch und taumelte auf die Tür zu. Doch die war abgeschlossen. Verzweifelt rüttelte er an der Klinke. Keiner da. Und das aus gutem Grund. Nur dass Norbert das nicht wissen konnte. Dazu hätte ihn Stefanies Mail erreichen müssen, in der sie das Treffen in allerletzter Minute abgesagt hatte. Ihre Nachricht war von seiner Frau abgefangen und gelöscht worden. Es hatte nur eines Tastendruckes bedurft.
Norbert würde nie erfahren, dass seine Frau von seinen Seitensprüngen wusste. Sie hatte nur auf eine günstige Gelegenheit gewartet, um ihm seine Untreue heimzuzahlen. Eine Gelegenheit wie diese. Es hatte sie zwar einiges an Zeit und Mühe gekostet, das Passwort seines Computers zu knacken. Doch der Aufwand hatte sich gelohnt. Durch die Mails, die Norbert mit Stefanie gewechselt hatte, war sie stets auf dem aktuellen Stand. Ihre anfänglichen Skrupel, ihrem Ehemann nachzuschnüffeln, hatte sie längst abgelegt. Zu tief